# taz.de -- Ex-Geheimdienstchef Roewer zum NSU: Der Verfassungsbeschmutzer | |
> Der Auftritt des ehemaligen Geheimdienstchefs Helmut Roewer vor dem | |
> NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen ist bizarr. Er klärt nichts auf. | |
> Er bereut nichts. | |
Bild: „Grotesk“, so kommentiert ein FDP-Politiker den Auftritt Roewers in E… | |
ERFURT taz | Um 18.23 Uhr setzt sich Helmut Roewer nach mehr als vier | |
Stunden Verzögerung endlich auf den Zeugenstuhl. Er trägt einen dunklen | |
Anzug, ein gestreiftes Hemd und himbeerrote Schuhe. Vorne rechts im | |
langgezogenen Sitzungssaal F 101 prangt das Thüringer Landeswappen, ein | |
rot-silbern gestreifter Löwe auf blauem Schild. | |
Links stehen Stahlschränke voller Akten, die das Versagen der Behörden im | |
Zusammenhang mit dem NSU dokumentieren. Helmut Roewer könnte hier einiges | |
zur Aufklärung beitragen. Nicht wenige sehen in ihm und seinem früheren | |
Amt, dem Thüringer Verfassungsschutz, die Hauptverantwortlichen dafür, dass | |
das Entstehen der rechten Terrorzelle nicht erkannt wurde. | |
Zehn Morde, zwei Anschläge, mehr als ein Dutzend Raubüberfälle – auch Demut | |
oder Mitgefühl wären Dinge, die man erwarten könnte. In Berlin, wo seit | |
Anfang des Jahres ebenfalls ein Untersuchungsausschuss tagt, hat letzte | |
Woche der scheidende Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz | |
Fromm, von einer „Niederlage für die Sicherheitsbehörden“ gesprochen und | |
von einer „schweren Last“. | |
Roewer dagegen stellt sich am Montagabend vor dem Erfurter Ausschuss nur | |
kurz und knurrig vor: „63 Jahre, Schriftsteller, wohnhaft in Weimar.“ Auf | |
das sonst übliche Eingangsstatement verzichtet er. Er sagt nicht: Wir haben | |
versagt. Er sagt nicht: Ich bedauere das alles. | |
Er sagt nicht: Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen. Er sagt nur: „Mir wäre | |
es lieber, wenn Sie mir Fragen stellen. Ich bin nicht auf einen | |
abendfüllenden Vortrag vorbereitet.“ Neben ihm sitzt sein Anwalt. Man weiß | |
ja nie. Was dann in Saal F 101 des Thüringer Landtags folgt, sind vier | |
Stunden, die so zäh sind wie Kaugummiautomatenkaugummi. | |
## „Ich war betrunken“ | |
Auf noch so banale Fragen brummt Roewer Sätze ins Saalmikrofon wie diesen: | |
„Ich weiß es nicht mehr.“ Oder: „Ich kann das nicht beantworten.“ Oder: | |
„Ich habe dazu keine Erinnerung.“ Dabei sollte an diesem Montagabend im | |
Ausschuss noch nicht einmal das Versagen der Behörden nach dem Untertauchen | |
des Neonazitrios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Januar | |
1998 behandelt werden, sondern erst einmal die Zeit davor. | |
Doch auch hier weigert sich Roewer, den Abgeordneten des Thüringer Landtags | |
mehr zu sagen als das minimal Nötige. Auf die fünfmal wiederholte Frage der | |
Linken-Abgeordneten Katharina König, ob er die Entwicklung der | |
rechtsextremen Szene in seiner Amtszeit kurz skizzieren könne, antwortet | |
Roewer fünfmal fast wortgleich: „Gucken Sie in die | |
Verfassungsschutzberichte aus dieser Zeit.“ Noch nicht einmal wer ihm im | |
Sommer 1994 seine Ernennungsurkunde überreichte, die ihm seltsamerweise am | |
späten Abend gebracht wurde, fällt Roewer ein. „Das weiß ich nicht mehr | |
genau“, sagt er. „Ich war betrunken.“ | |
„Abenteuerlich“, entfährt es einem CDU-Mann. „Grotesk“, raunt ein | |
FDP-Bundestagsabgeordneter, der von Berlin angereist ist. Das monotone | |
Surren der Lüftung steigert die Beklemmung ins Unerträgliche. | |
Wie konnte einer wie Roewer jemals Chef eines Landesverfassungsschutzes | |
werden? Warum landete der ehemalige Panzeroffizier, Jurist und Beamte beim | |
Bundesinnenministerium an dieser Stelle? Roewer selbst hat eine Antwort: | |
„Ich galt als Spitzenkraft. So ist das.“ | |
Aus Sicht anderer hat Roewer in seiner Amtszeit von 1994 bis 2000 den | |
Thüringer Verfassungsschutz in eine Chaosbehörde verwandelt. Es seien | |
„gravierende Fehler des Behördenleiters festzustellen, die dazu geführt | |
haben, dass die nachrichtendienstliche Funktionsfähigkeit des Amtes | |
beeinträchtigt war“, heißt es in einem jahrelang geheim gehaltenen Bericht, | |
den der Rechtsanwalt und spätere Landesinnenminister Karl Heinz Gasser nach | |
der Suspendierung Roewers im Sommer 2000 erstellte. Von einer Spaltung des | |
Geheimdienstes in zwei Gruppen war dort die Rede. Ehemalige sprechen sogar | |
von einem „gewaltigen Krieg“. | |
## Mit dem Fahrrad auf dem Flur | |
Zwei von Helmut Roewers früheren Gegnern sagten am Montag unmittelbar vor | |
ihrem einstigen Chef stundenlang im Untersuchungsausschuss aus. Und was sie | |
über die Zeit unter Roewer erzählten, dafür ist „abenteuerlich“ und | |
„grotesk“ noch untertrieben. | |
Der inzwischen pensionierte Norbert Wießner ist einer dieser ehemaligen | |
Geheimdienstler. Er war in den Neunzigerjahren vom hessischen | |
Verfassungsschutz nach Thüringen gekommen. „Das war kein Nachrichtendienst | |
mehr“, sagt der nüchterne Beamte über die Roewer-Ära. Der sei im Amt auf | |
dem Flur mit dem Fahrrad herumgefahren. In der Kaffeeküche sei offen über | |
eigentlich streng geheim zu haltende Quellen gequatscht worden. | |
Und als Weimar 1999 Kulturhauptstadt Europas war, trat der | |
Verfassungsschutzchef dort im Ludendorff-Kostüm auf – samt Pickelhaube. Da | |
habe man sich amtsintern gefragt, ob Roewer bald nach Stadtroda gehe, sagt | |
Wießner – dort steht eine der Psychiatrien im Freistaat. | |
Noch mehr skurrile Details aus der Roewer-Zeit schilderte der ehemalige | |
Referatsleiter Rechtsextremismus, Karl Friedrich Schrader, ein 67 Jahre | |
alter Rheinländer mit Schnauzbart und Jankerl, der vor seiner Zeit beim | |
Geheimdienst Polizist war und selbst nicht ohne Hang zur Extravaganz ist. | |
Zwei Monate im Jahr verbringt er heute als Farmverwalter in Namibia. | |
Dem Untersuchungsausschuss berichtet Schrader, dass Roewer gerne mal barfuß | |
durchs Amt gelaufen sei. Seine schmutzigen Füße habe er dann sogar bei | |
Besprechungen auf den Tisch gelegt. Einmal abends nach einer Observation, | |
so erzählt Schrader, habe er zu später Stunde bei Roewer hinter den | |
Jalousien noch Licht gesehen. Wie ein balzender Auerhahn sei Roewer dort | |
bei Kerzenschein, Wein und Käse mit sechs Damen zusammengesessen. „Und ich | |
sollte dann vor diesen Damen geheime Dinge preisgeben.“ | |
Roewer sagt zu den angeblichen Ausschweifungen in seinem Amt nur: „Das kann | |
ich ausschließen.“ Seine Sicht der Dinge ist eine ganz andere: Als er nach | |
Thüringen gekommen sei, habe er im Amt fast nur Nichtskönner vorgefunden. | |
Niemand habe die erforderlichen Voraussetzungen mitgebracht – „außer mir�… | |
## „Meine Konzentration ist jetzt zu Ende“ | |
Man könnte über all das lachen, hätten die chaotischen Zustände nicht | |
fatale Folgen gehabt. Mitte Mai hat der ehemalige Bundesrichter Gerhard | |
Schäfer ein Gutachten vorgelegt, in dem der Thüringer Geheimdienst | |
maßgeblich dafür verantwortlich gemacht wird, das Entstehen der Terrorzelle | |
nicht erkannt zu haben. Ein Grund von vielen könnten die „Querelen mit dem | |
Präsidenten“ gewesen sein. | |
Zu alldem sagt Roewer am Montag kaum etwas. Nur, dass es ja eigentlich gar | |
nicht die Aufgabe seines Amtes gewesen wäre, nach dem im Januar 1998 | |
untergetauchten Neonazitrio aus Jena zu suchen. Auf Drängen des | |
Innenministeriums habe er sich trotzdem beteiligt: „Die Suchmaßnahmen waren | |
sehr intensiv.“ In einem Interview unmittelbar nach Auffliegen des NSU | |
hatte sich Roewer sogar zu der Aussage verstiegen: „Ich suche ernsthaft | |
nach meinem Fehler. Aber ich finde ihn nicht.“ | |
Um 22.10 Uhr beendet Helmut Roewer die Schmierenkomödie im | |
Untersuchungsausschuss selbst – wegen Müdigkeit. „Ich pflege meinen Tag um | |
fünf zu beginnen, deshalb ist meine Konzentration jetzt zu Ende.“ Schon | |
bald wird man aber mehr hören von Roewer, dem Schriftsteller. Auf seiner | |
Homepage kündigt er an, dass er demnächst das „Tagebuch des Amtschefs“ | |
veröffentlichen will. Untertitel: „Politik, Korruption und Gewalt im Osten | |
Deutschlands“. | |
Es wird seine Wahrheit über seine Amtszeit und über das NSU-Trio sein. Im | |
Klappentext spricht er von einem „brisanten Gemisch“ aus labilen | |
Polizeistrukturen, Altlasten und unfähigen Westimporten – sich selber meint | |
er damit nicht. | |
10 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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