# taz.de -- Bericht zum Thüringer Verfassungsschutz: Die Chaos-Behörde | |
> „Ich brauche keine Aufsicht“, soll der ehemalige Chef des Thüringer | |
> Verfassungsschutzes gesagt haben. Nun wird deutlich: Ende der 90er war | |
> das Amt außer Kontrolle geraten. | |
Bild: Abenteuerliche Verhältnisse: Thüringer Verfassungsschutz in Erfurt. | |
BERLIN taz | Das Untertauchen des Jenaer Neonazitrios fällt in eine Zeit, | |
in der das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz eine defekte Behörde | |
war. Das geht aus einem lange geheim gehaltenen Bericht über die | |
chaotischen Zustände unter Helmut Roewer hervor, der von 1994 bis 2000 | |
Thüringer Verfassungsschutzchef war. Es seien „gravierende Fehler des | |
Behördenleiters festzustellen, die dazu geführt haben, dass die | |
nachrichtendienstliche Funktionsfähigkeit des Amtes beeinträchtigt war“, | |
heißt es dort. | |
Es ist nicht der einzige vernichtende Satz in dem nach der Suspendierung | |
Roewers im Sommer 2000 vom Rechtsanwalt und späteren Landesinnenminister | |
Karl Heinz Gasser erstellten Bericht. „Die Fachaufsicht, die dem | |
Innenministerium oblag, war praktisch über Jahre ausgeschaltet“, steht | |
dort. Roewer selbst wird mit dem Satz wiedergegeben: „Ich brauche keine | |
Aufsicht.“ | |
Jahrelang war dieser Bericht streng geheim, dennoch sickerten immer wieder | |
Details durch. Inzwischen hat sich das Thüringer Innenministerium | |
durchgerungen, die Geheimhaltungsstufe auf „VS – Nur für den | |
Dienstgebrauch“ herunterzustufen, und das Dokument auch den | |
NSU-Untersuchungsausschüssen des Landtags und des Bundestags zur Verfügung | |
gestellt – schließlich fallen die Aktivitäten des Neonazitrios im | |
„Thüringer Heimatschutz“ (THS) und ihr Abtauchen im Januar 1998 genau in | |
die Zeit, die Gasser untersucht hatte. | |
Was die Abgeordneten in dem 26-seitigen Papier nun zu lesen bekommen, ist | |
abenteuerlich. Zwar werden im Gasser-Bericht die drei Jenaer Neonazis und | |
der THS nicht erwähnt. Man bekommt jedoch erschreckende Einblicke in den | |
Zustand der Verfassungsschutzbehörde unter Helmut Roewer, der eigentlich | |
mit dem Versprechen angetreten war, das Amt zu modernisieren. Am Ende hatte | |
er es in eine Chaos-Behörde verwandelt. | |
Roewer habe junge, vollkommen unerfahrene Wissenschaftler eingestellt, | |
darunter Pädagogen, Chemiker und Altphilologen, und sie gleich zu | |
Referatsleitern gemacht, kritisiert Gasser. Sie hätten „Aufgaben und | |
Führungsfunktionen ohne die erforderlichen Fachkenntnisse“ übernommen, | |
heißt es weiter. Bei den altgedienten Verfassungsschutzmitarbeitern sei der | |
Eindruck der „Günstlingswirtschaft sowie ihrer ständigen Bespitzelung und | |
Überwachung“ entstanden. | |
## Jahrelanges Hickhack | |
Kritisiert wurde von Gasser außerdem, dass das Rechtsextremismus-Referat | |
aufgelöst und vom neu geschaffenen Referat „Neue Formen des Extremismus“ | |
mitübernommen wurde. Gleichzeitig sei die aus Gründen der Geheimhaltung | |
sonst übliche strikte Trennung von Informationsbeschaffung und Auswertung | |
aufgehoben worden. | |
Unter dem falschen Namen Stephan Seeberg fungierte Roewer zudem als | |
Geschäftsführer eines Tarnverlags, der von seinem Verfassungsschutzamt | |
zehntausende Mark schwere Aufträge bekam. Ein deshalb aufgenommenes | |
Untreueverfahren gegen Roewer wurde nach jahrelangem Hickhack 2010 gegen | |
eine Zahlung von 3.000 Euro eingestellt. | |
Schier unglaublich ist auch, was in dem lang geheim gehaltenen | |
Gasser-Bericht über die Zusammenarbeit des Thüringer Verfassungsschutzes | |
mit dem V-Mann Thomas D. steht. Der vorbestrafte Neonazi war von 1996 an | |
unter dem Tarnnamen „Küche“ als bezahlter Spitzel in der rechten Szene | |
engagiert worden. 1997 soll D. dann aber Kontakt zur Iranischen Botschaft | |
in Bonn aufgenommen haben, von der er um „Material über jüdische und | |
jüdisch abstammende Personen des öffentlichen Lebens gebeten“ worden sei. | |
Bei einzelnen Exposees, darunter eines über Gregor Gysi, habe er mit der | |
Übermittlung wohl schon begonnen, heißt es im Gasser-Bericht. Trotz dieses | |
skandalösen Vorgangs habe es auf Veranlassung Roewers weitere Treffen mit | |
dem V-Mann gegeben. | |
Ex-Behördenchef Roewer hatte sich nach Auffliegen des NSU im November 2011 | |
nur kurz zu Wort gemeldet und Vorwürfe gegen sich und sein früheres Amt | |
zurückgewiesen. Man sei bei der Suche nach dem Neonazitrio bis „an die | |
Leistungsgrenzen gegangen“. Seitdem war von Roewer nichts mehr zu hören. | |
Auf seiner Homepage beklagt er sich über angebliche „Denunzianten“. | |
15 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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