# taz.de -- Krise in Spanien: Kämpfen um das eigene Zuhause | |
> Dutzende Wohnungen werden jeden Monat in Madrid zwangsgeräumt. María | |
> Luisa Brañas droht das selbe Schicksal. Aber sie wehrt sich. | |
Bild: „Diebe“, ist an diese Bank in Madrid gesprüht. | |
MADRID taz | María Luisa Brañas umarmt Verwandte und Freunde. „Danke, danke | |
…“, stammelt sie erleichtert. Die 51-Jährige hat soeben einen Aufschub der | |
Zwangsräumung herausgehandelt. Zwei weitere Monate kann sie mit ihrer | |
sechsköpfigen Familie in der Wohnung im Madrider Außenbezirk Villaverde | |
bleiben. Die Vertreter der Bank und der Gerichtsvollzieher haben dem nicht | |
ganz freiwillig zugestimmt. | |
Denn Brañas ist nicht allein: Sie wird unterstützt von einem Anwalt der | |
Gruppe der Hypothekengeschädigten (PAH), einer Selbsthilfeorganisation der | |
von Zwangsräumung Bedrohten, sowie vom 15-M, Spaniens Bewegung der | |
Empörten. Rund 50 Menschen hatten sich vor der Tür der Erdgeschosswohnung | |
versammelt. Sie machten klar, dass sie den Zutritt ohne polizeiliche | |
Aufforderung nicht freigeben würden. Der Einsatz blieb aus. | |
Die Familie Brañas ist kein Einzelfall. Dutzende Wohnungen werden jeden | |
Monat allein in der Stadt Madrid zwangsgeräumt. In ganz Spanien waren es im | |
vergangen Jahr 58.241. Nur selten verhindern Proteste, dass die Bewohner | |
auf die Straße gesetzt werden. | |
Dahinter stecken fast immer Schicksale wie das von María Luisa Brañas. „Wir | |
sind alle arbeitslos“, sagt die Frau, die bis 2006 in einem Betrieb | |
gearbeitet hat, der Gemüse abpackt. 17 Jahre war sie dabei, als das | |
Unternehmen schloss. Brañas’ Mann Francisco ist Koch und findet in Zeiten | |
der Krise nur gelegentlich Aushilfsjobs für wenige Tage. „Dabei hat er | |
früher richtig gut verdient“, erzählt Brañas eine Woche vor dem Besuch des | |
Gerichtsvollziehers in ihrem kleinen Wohnzimmer. „Und die Kinder haben auch | |
keine Arbeit und beziehen auch kein Arbeitslosengeld mehr“, fügt sie hinzu. | |
## Für die Monatsrate reicht es schon lange nicht mehr | |
Nur der Älteste mit seinen 32 Jahren findet ab und an etwas Schwarzarbeit | |
als Fahrer. Von dem wenigen, was er verdient, steckt er seinen Eltern etwas | |
zu. Aber: „Für die Monatsrate von 600 Euro für den Wohnungskredit reicht es | |
schon lange nicht mehr. Im Augenblick habe ich gerade mal 20 Euro“, sagt | |
Brañas und blickt auf das Portemonnaie vor ihr auf dem Tisch. Die | |
verquollenen Augen zeugen von langen schlaflosen, besorgten Nächten. | |
Überall stehen gepackte Umzugskartons. | |
Zahlen, im Gespräch Brañas dreht sich alles um Zahlen. 150.000 Euro kostete | |
2005 die 86-Quadratmeter-Wohnung. Das war auf dem Höhepunkt des spanischen | |
Immobilienbooms sogar noch billig, denn es handelt sich um ein Gebäude, das | |
von der Stadtverwaltung für sozial schwache und kinderreiche Familien | |
errichtet wurde. Mittlerweile sind 16.000 Euro an Verzugszinsen, Gerichts- | |
und Anwaltskosten hinzugekommen. „Außerdem schulde ich meinem Schwager und | |
meiner Schwester große Summen. Sie haben uns unterstützt, bis auch sie | |
nicht mehr konnten“, erzählt Brañas. | |
Im Fernsehen ist zu sehen, was auf sie zukommt. Bei einer Zwangsräumung in | |
Madrid griff die Polizei ein. 20 Protestierende wurden verhaftet, viele von | |
ihnen verletzt. „Ich hoffe, dass es hier friedlich bleibt“, sagt die Frau | |
besorgt. Den Kredit nahm die Familie Brañas bei der CAM auf. Die Sparkasse | |
aus Valencia ist mittlerweile dem Bankrott nahe. Sie steht ganz oben auf | |
der Liste derer, die mit EU-Geldern saniert werden sollen. „Warum wird den | |
Banken geholfen und den Menschen nicht?“, fragt Brañas. | |
## Die Schulden bleiben nach der Räumung | |
„Das System ist völlig ungerecht“, beschwert sich auch Vicente Pérez. Der | |
Soziologe ist Vorsitzender der PAH in Madrid. „Wer aus der Wohnung geräumt | |
wird, sitzt einfach auf der Straße. Die Schulden bleiben dennoch“, | |
berichtet Pérez. Die Bank versucht die Wohnung meist erfolglos zu | |
versteigern oder nimmt sie zu einem geschätzten Wert zurück. Nachdem die | |
Spekulationsblase geplatzt ist, ist die Wohnung höchstens halb so viel wert | |
wie die Summe, die im Kreditvertrag steht. „In anderen Ländern, wie den | |
USA, gibst du die Wohnungsschlüssel ab und gehst schuldenfrei. Wir wollen, | |
dass das auch hier so ist.“ | |
Doch trotz Zehntausender Unterschriften kann sich Spaniens Politik nicht zu | |
einem solchen Gesetz durchringen. Das würde Banken und Sparkassen noch | |
tiefer in die Krise treiben, fürchten Regierung und Teile der Opposition. | |
Dabei sind die privaten Wohnungskäufer nicht in erster Linie | |
verantwortlichen dafür, dass 153 Milliarden an Krediten nicht mehr bedient | |
werden. Nur 3 Prozent der Wohnungskäufer zahlen nicht oder unregelmäßig. | |
Hingegen tilgen Bauindustrie und Immobilienhändler mittlerweile 22Prozent | |
ihrer Kredite nicht mehr. Große Unternehmen, wie jene, die unrentable | |
Mautautobahnen rund um Madrid gebaut haben, erhalten staatliche | |
Millionenhilfen. | |
Pérez und die PAH wollen die zwei Monate Aufschub für die Familie von María | |
Luisa Brañas nutzen, um mit der Bank zu verhandeln. Das Ziel: „… dass sie | |
für eine Sozialmiete bleiben können und ihnen die Schulden erlassen | |
werden.“ Und wenn die Wohnung letztlich doch zwangsgeräumt wird? „Dann | |
kommen wir einfach wieder und besetzen unsere Wohnung“, sagt Brañas. Die | |
Nachbarn im Block haben ihr zugesichert, sie dabei zu unterstützen. | |
11 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
USA | |
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