# taz.de -- Massendemonstrationen in Spanien: Millionen gegen das Sparprogramm | |
> In 80 spanischen Städten haben fast 4 Millionen Menschen gegen das | |
> Sparprogramm der Regierung demonstriert. Die Maßnahmen seien ein Angriff | |
> auf die Rechte der Bürger. | |
Bild: „Maximaler Raub“: Demonstranten in Madrid. | |
MADRID taz | Das Motto war ein Hilferuf und eine Drohung zugleich: „Sie | |
wollen das Land ruinieren! Das muss unterbunden werden. Wir sind mehr!“ | |
lautete der Slogan mit dem am Donnerstagabend in über 80 spanischen Städten | |
die Menschen gegen das größte Sparpaket der Geschichte des Landes auf die | |
Straße gingen. Insgesamt 3,6 Millionen Teilnehmer folgten nach Angaben der | |
Veranstalter dem Aufruf von über 20 Gewerkschaften und Berufsverbänden, | |
gleich welcher politischen Couleur, sowie über 1.000 Organisationen, | |
Verbände und politische Parteien. | |
Brüssel verlangt von Spanien einen harten Sparkurs als Gegenleistung für | |
das 100-Milliarden-Rettungspaket für die angeschlagenen Banken und | |
Sparkassen. Nur wenige Stunden vor den Protesten hat das spanische | |
Parlament beschlossen, in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 65 Milliarden | |
Euro einzusparen. 2011 hatten die Staatsausgaben bei 468 Milliarden Euro | |
gelegen. Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy nahm an der | |
Parlamentsdebatte nicht teil. Er kam nur zur Abstimmung und verschwand dann | |
wieder durch den Hinterausgang. | |
Um den Einschnitt hinzubekommen, wird Beamten und Angestellten im | |
öffentlichen Dienst das Weihnachtsgeld gestrichen sowie die Lohnfortzahlung | |
im Krankheitsfalle gekürzt. Die Ausgaben für das Pflegegeld werden | |
„rationalisiert“, die Arbeitslosenhilfe gesenkt und Massenentlassungen in | |
öffentlichen Betrieben beschleunigt. Außerdem wird die Mehrwertsteuer von | |
18 auf 21 Prozent erhöht. Die Besserverdienenden und die großen Vermögen | |
bleiben einmal mehr verschont. | |
Der größte Protestmarsch fand in Madrid statt. Es kamen laut Gewerkschaften | |
800.000 Menschen. Die Polizei will nur 40.000 gezählt haben. Mehrere große | |
Boulevards waren kilometerlang völlig blockiert. Das Haupttransparent | |
hinter dem die Vorsitzenden der beiden großen Gewerkschaften, CCOO und UGT, | |
sowie aller wichtigen Berufsverbände und die Generalsekretärin des | |
Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB), Bernadette Segol, gingen, brauchte | |
über zwei Stunden, um sich durch die Massen bis zum Kundgebungsort an der | |
zentralen Puerta del Sol zu kämpfen. | |
## „Ein Angriff ohnegleichen“ | |
Erstmals in der Geschichte Spaniens nahmen die Polizeigewerkschaften, die | |
Berufsverbände der Richter- und Staatsanwälte sowie der Soldatenverband | |
teil. Unter den Demonstranten befanden sich auch namhafte Vertreter der | |
Kultur, unter ihnen der Schauspieler Javier Bardem. | |
Anstatt der üblichen Reden von Gewerkschaftsvertreter verlasen zwei | |
Schriftsteller einen Text: „Die Maßnahmen sind ein Angriff ohnegleichen, | |
nicht nur auf die Rechte der Arbeiter und Bürger, sondern auf die | |
Grundlagen der Demokratie als solche“, hieß es. Es würden einmal mehr „die | |
Gleichen wie immer“ zur Kasse gebeten, während die Regierung „ihre | |
Freunde“, die großen Unternehmen und Vermögen des Landes, nicht behellige. | |
Nach Ende der Kundgebung, um 23 Uhr, zogen Tausende vor das Parlament. Als | |
die Demonstranten an mannshohen Absperrgittern rüttelten, setzten die | |
Polizisten Schlagstöcke und Gummigeschosse ein. 15 Menschen – darunter ein | |
Feuerwehrmann – wurden verhaftet, über 30 wurden verletzt. Sechs so schwer, | |
dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. | |
Die Veranstalter der Demonstrationen haben sich zu einer Plattform | |
zusammengeschlossen, um den ganzen Sommer über weitere Protestaktionen | |
abzuhalten. Die CCOO verlangt eine Volksabstimmung über das Sparpaket. | |
20 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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