| # taz.de -- Krise in Spanien: Supermarkt aus Protest ausgeräumt | |
| > In Spanien sind 1,2 Millionen Menschen auf gespendete Lebensmittel | |
| > angewiesen, doch die haben sich seit 2011 halbiert. Inzwischen | |
| > protestieren Familien in Supermärkten. | |
| Bild: Erfolgreicher Protest: Aktivisten schieben vollgeladene Einkaufswagen an … | |
| MADRID taz | In kurzen Hosen und Sandalen wandern mehrere hundert | |
| andalusische Arbeiter seit zwei Wochen durch ihre Heimat. In jeder Provinz | |
| gibt es „überraschende Aktionen“, haben sie angekündigt. So wie vor wenig… | |
| Tagen, als sie einen Herzogspalast in der Nähe von Córdoba besetzten. Mit | |
| der Aktion wollten sie dagegen protestieren, dass Großgrundbesitz | |
| vielerorts in Andalusien sich noch in den Händen der spanischen | |
| Aristokraten befindet. Nach nur einem Tag verließen sie den Palast. Die | |
| Polizei schritt nicht ein. | |
| Für großes Aufsehen sorgte auch der erste dieser Proteste. Familien gingen | |
| in zwei Supermärkte, füllten ihre Einkaufswagen mit Reis, Nudeln, Milch und | |
| anderen Lebensmitteln und schoben sie an den Kassen vorbei, ohne zu zahlen. | |
| Inzwischen findet die Aktion auch Nachahmer, so etwa letzte Woche in der | |
| Extremadura. In der Provinz Malaga wurden ein Protestzug verboten, weil er | |
| nicht rechtzeitig angemeldet worden war. | |
| Seither diskutiert die spanische Öffentlichkeit darüber, ob es sich dabei | |
| um strafbare Überfälle handelt oder um legitime Protestaktionen. Einer der | |
| Köpfe der Proteste ist Juan Manuel Sánchez Gordillo, Bürgermeister des bei | |
| Sevilla gelegenen Dorfs Marinaleda und Mitglied des andalusischen | |
| Regionalparlaments für die Vereinigte Linke. Wenn er nicht mit den | |
| Arbeitern durch seine Heimat marschiert, ist er meist Gast in irgendeiner | |
| Talkshow. | |
| In Spanien werde viel zu wenig über die Opfer der Krise gesprochen und zu | |
| viel über Risikoaufschläge und Staatsanleihen, sagt er dort. Die | |
| Sparprogramme der spanischen Behörden seien „ein Überfall auf die Armen im | |
| Land“, während die Superreichen kaum einen Beitrag zur Überwindung der | |
| Krise leisten müssten, erklärt Gordillo. | |
| Der Bürgermeister ist berühmt. In Marinaleda fällen Bürgerversammlungen die | |
| wichtigsten Entscheidungen. Größter Arbeitgeber ist eine | |
| Landwirtschaftskooperative, die Landarbeitern einen überdurchschnittlichen | |
| Lohn von rund 1.100 Euro zahlt. Im Zuge der Gerechtigkeitsdebatten in der | |
| Krise sehen viele in dem anarchistischen Dorf ein Modell für | |
| antikapitalistisches Wirtschaften. Gegner werfen Gordillo jedoch vor, sein | |
| Dorf sei in hohem Maße von staatlichen und regionalen Subventionen | |
| abhängig. | |
| ## „Wir können den Staat nicht ersetzen“ | |
| Auch die Aktion in den Supermärkten findet nicht nur Beifall. Das Rote | |
| Kreuz meint etwa, Gordillo weiche einer ernsthaften Debatte über eine | |
| angemessene Versorgung der Bedürftigen aus. Allerdings gibt Sprecher | |
| Fernando Cuevas auch zu, dass die Mittel in diesem Jahr nicht mehr | |
| ausreichen. Seine Organisation rechnet in diesem Jahr mit 1,2 Millionen | |
| Menschen, die auf Lebensmittelspenden angewiesen sind, 300.000 mehr als | |
| letztes Jahr. | |
| Der Umfang der zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel hat sich hingegen auf | |
| 33 Millionen Kilo reduziert, nur noch halb so viel wie 2011. Hauptursache | |
| seien gestiegene Preise und das EU-Programm „Lebensmittel für Bedürftige“, | |
| dessen Volumen von 500 Millionen Euro seit Jahren nicht erhöht werde. | |
| Zudem ziehen sich die spanischen Behörden zunehmend aus der Sozialpolitik | |
| zurück. Viele in soziale Notlagen geratene Menschen suchten bei den | |
| Wohlfahrtsverbänden Hilfe, nachdem sie von den Sozialämtern abgewiesen | |
| worden sind, erklären das Rote Kreuz und die katholische Caritas | |
| übereinstimmend. „Wir können den Staat nicht ersetzen“, klagte eine | |
| Sprecherin der Caritas schon vor Wochen. | |
| Der anarchistische Bürgermeister Gordillo sowie einige Mitstreiter haben | |
| wegen der Aktion in den Supermärkten nun eine polizeiliche Vorladung | |
| bekommen. „Das ist Werbung für uns“, freut er sich. Und er stellt der | |
| Regierung ein Ultimatum: „Wenn die Regierung unsere Aktionen vermeiden | |
| will, soll sie ein Dekret erlassen: Die Supermärkte müssen Lebensmittel | |
| fünf Tage vor Ablauf des Verfallsdatums spenden.“ Heute will seine | |
| Gewerkschaft die Proteste in die Provinz Cádiz tragen, wo die | |
| Arbeitslosigkeit in manchen Kommunen bei 45 Prozent liegt. Auch hier soll | |
| es wieder „überraschende Aktionen“ geben. | |
| 26 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Hans-Günter Kellner | |
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