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# taz.de -- Piraten in Somalia: Staatschef stützt Verbrecherchef
> Einer der obersten Piratenbosse Somalias konnte mit einem somalischen
> Diplomatenpass herumreisen. Er stand unter dem Schutz des Präsidialamtes.
Bild: Das war ein Piratenboot, das auf die britische Royal Navy traf.
BERLIN taz | Mohammed Abdi Hassan Afweyne ist einer der bekanntesten
Piratenbosse Somalias. Als er Anfang April nach Malaysia reiste, um seine
dort lebende Familie zu besuchen, wurde er von den Einwanderungsbehörden
aufgehalten. Er zückte einen somalischen Diplomatenpass und zusätzlich ein
offizielles Schreiben des Präsidialamtes aus Somalias Hauptstadt
Mogadischu, ausgestellt vom Kabinettschef des Präsidenten. Darin stand,
Afweyne sei zur Piratenbekämpfung unterwegs.
Dies ist eine von vielen vernichtenden Erkenntnissen, die die
Expertengruppe der UNO zur Überwachung des Waffenembargos gegen Somalia
sowie der Sanktionen gegen bewaffnete Gruppen in dem Bürgerkriegsland in
ihrem jüngsten Bericht ausbreitet. Der unveröffentlichte Bericht liegt der
taz vor.
Eigentlich unterstützen UNO und internationale Gemeinschaft in Somalia eine
Übergangsregierung in der Hauptstadt Mogadischu, die sich mit Unterstützung
afrikanischer Eingreiftruppen gegen die islamistischen Shabaab-Milizen zu
Wehr setzt und auch als Partner bei der internationalen Bekämpfung der
Piraterie im Indischen Ozean gilt. Nun enthüllt der Bericht der
UN-Experten, wie korrupt diese Regierung ist – kurz vor Ablauf ihres
Mandats am 20. August.
68 Prozent der Staatseinnahmen der Jahre 2009 und 2010 seien spurlos
verschwunden, schreiben die UN-Experten unter Berufung auf einen
Weltbankbericht vom Mai. Sie selbst gehen davon aus, dass der wahre Anteil
noch viel höher liegt. „Die fehlenden Gelder – 72 Millionen Dollar im Jahr
2009 und 39 Millionen im Jahr 2010 – waren ausreichend, um zwei Jahre lang
alle öffentlichen Bediensteten, Parlamentarier und Sicherheitskräfte zu
bezahlen“, heißt es. Als der Weltbankbericht am 30. Mai veröffentlicht
wurde, so die UN-Experten, habe Präsident Sheikh Sharif Ahmed mit der Bitte
um mehr internationale Hilfe reagiert, weil das Geld ja weg sei.
## Viertel der Staatseinnahmen gehen an Präsident
Der Präsident hänge vermutlich selbst mit drin, so der UN-Bericht weiter.
„Von den 30 Prozent der Staatseinnahmen, für die die Übergangsregierung
Rechenschaft ablegen kann, laufen fast ein Viertel über die Büros des
Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten“, heißt es.
Wichtigste Einnahmequelle, mit 85 Prozent der Staatseinnahmen, seien
Gebühren und Zölle am Hafen von Mogadischu. „Die Regierung ist weniger das
Opfer korrupter Interessen“, analysiert der UN-Bericht. Sie bestehe aus
„Institutionen, die von politischen und kommerziellen Eliten für korrupte
Zwecke gekapert worden sind. Viele Regierungsbeamte unterscheiden nicht
zwischen öffentlichen und privaten Finanzen und sehen Regeln und
Institutionen als zu umgehende oder zu vernachlässigende Hindernisse an.“
Was den Diplomatenpass für Afweyne angeht, habe die Regierung das mit der
Begründung gerechtfertigt, der Pass habe ein Anreiz sein sollen, die Seite
zu wechseln. Die unkontrollierte Ausstellung von Pässen, selbstverständlich
gegen viel Geld, wird von den UN-Experten aber als Hauptquelle der
Korruption gewertet. Möglicherweise, mutmaßt der Bericht, reisten sogar
hochrangige Angehörige der islamistischen Shabaab-Miliz, die sich dem
Terrornetzwerk al-Qaida angeschlossen hat, mit echten Diplomatenpässen
herum.
Somalias Regierung hat die UN-Erkenntnisse zurückgewiesen. Präsident Sharif
Ahmed sagte, die Erkenntnisse über Afweynes Pass seien „einseitig“.
19 Jul 2012
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Somalia
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