# taz.de -- Repression ist kein Mittel gegen Piraterie: „Notwendig sind Aktiv… | |
> Gegen die Piraterie in Somalia helfen militärische Mittel nur bedingt. | |
> Investiert werden muss in die zivile Kriminalitätsprävention, meint | |
> Friedensforscherin Kerstin Petretto. | |
Bild: Deutsche Marine kämpft gegen somalische Piraten. Nur eine „Behelfsmaß… | |
taz: Frau Petretto, wer sind eigentlich die somalischen Piraten – | |
soziologisch betrachtet? | |
Kerstin Petretto: Es gibt nicht „den“ somalischen Piraten. Jeder hat einen | |
anderen Hintergrund und andere Motive. Allerdings handelt es sich gerade | |
beim Fußvolk, also bei denjenigen, die tatsächlich die Schiffe überfallen | |
oder die entführten Schiffe bewachen, meist um Leute ohne Ausbildung, die | |
darin ihre einzige Chance sehen, an Geld zu kommen. | |
Ist Piraterie eine kommerzielle Veranstaltung oder hat sie einen | |
politischen Hintergrund? Werden junge Männer von bestimmten Warlords auch | |
gezwungen, sich einer Gruppe von Piraten anzuschließen? | |
Davon habe ich noch nichts gehört. Es gibt zwar Berichte von Leuten, die | |
erzählen, sie seien zur Piraterie gezwungen worden, aber da ging es nicht | |
um politischen Druck, sondern um persönliche Lebensumstände. Die Männer | |
hatten also beispielsweise Schulden, die sie auf diese Weise abarbeiten | |
sollten. Übrigens haben in den Küstengebieten einzelne Dörfer begonnen, | |
sich gegen die Piraterie zu wehren. Zum einen aus ethischen Gründen, aber | |
auch, weil infolge der Lösegeldzahlungen plötzlich sehr viel Geld im Umlauf | |
ist und das für soziale Unruhe sorgt. Stichworte in diesem Zusammenhang | |
sind Drogenhandel, Prostitution, auch Alkohol. | |
Finanzieren die Lösegelder auch den Bürgerkrieg? | |
Natürlich fließen Gelder an die politischen Akteure, aber nicht direkt, | |
sondern indirekt. Es handelt sich da eher um Steuern aus Einnahmen der | |
Geschäftsleute, die an der Piraterie verdienen. | |
Wer verdient denn am meisten an der Piraterie? | |
Die Organisatoren im Hintergrund, und die werden selten vor Gericht | |
gestellt. Sie sitzen nicht auf den Schiffen, sondern an Land. Es ist | |
allerdings bisher kein Fall bekannt, in dem einer der Warlords zu den | |
Drahtziehern gehört. Es geht nicht um politischen Einfluss oder | |
Gebietskontrolle, es geht schlicht um Geld. | |
Nun ist ein Hamburger Gericht ja sehr weit weg von Somalia. Können sich | |
deutsche Richter überhaupt ein realistisches Bild von den Umständen machen, | |
unter denen Angeklagte diese Straftat begangen haben? | |
Das ist in der Tat extrem schwierig. Das Bild wird immer verzerrt sein, und | |
man kann ja auch nicht verlangen, dass alle Richter Somalia-Experten sind. | |
Aber dieses Problem lässt sich nicht auflösen. Sonst müsste man Piraten | |
einfach freilassen, wenn man sie erwischt hat. Völkerrechtlich besteht | |
universelle Zuständigkeit – Piraten können also überall vor Gericht | |
gestellt werden. | |
Was muss passieren, um das Problem langfristig in den Griff zu bekommen? | |
Ein militärischer Einsatz ist nur eine Behelfsmaßnahme. Notwendig sind | |
Aktivitäten an Land. Derzeit wird einfach viel zu wenig mit lokalen | |
Behörden zusammengearbeitet. Es gibt überhaupt keine Projekte, außer dem | |
Bau von Gefängnissen und Unterstützung der Gerichte. Die Mittel für zivile | |
Kriminalitätsprävention stehen in keinem Verhältnis zu dem Geld, das für | |
die Militäroperation ausgegeben wird. Aber man muss das Gespräch mit den | |
Leuten vor Ort suchen. Das Problem lässt sich nicht über die Köpfe der | |
Somalis hinweg lösen. | |
11 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
## TAGS | |
Somalia | |
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