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# taz.de -- Guggenheim Lab in Berlin: Eine Nummer kleiner
> Was bleibt, wenn am Sonntag die gesponserte Denkfabrik abgebaut wird?
> Nicht viel, abgesehen von der Erkenntnis: Berlin diskutiert seine Zukunft
> längst selbst.
Bild: Ein Projekt, das im Rahmen des Labs Aufmerksamkeit erhielt: Das "Ein-Quad…
Da stehen sie, zu vierzehnt, und blicken auf das einst besetzte Haus in der
Linienstraße, auf verwitterte Graffiti an der Fassade, zerfranste
Transparente. Was sie empfänden, hier vor dem Gebäude, sollen sie sagen.
Die Antwort tippen die vierzehn in Smartphones, die zu Beginn der Tour an
jeden verteilt wurden. Sprechen sollen sie nicht. Um die Ergebnisse „nicht
zu verfälschen“.
Zwei Bewohner stellen vor dem Besetzerhaus ihre Räder ab, schauen auf die
Gruppe mit unverhohlener Skepsis. Die Lab-Flaneure sprechen sie nicht an.
Sie sehen sie nicht mal, sie schauen ja in ihre Handys. Und ziehen weiter
zur nächsten Station.
„Testing Berlin“ nennt sich diese Lab-Einheit, ein Rundgang durch Mitte,
anderthalb Stunden lang. Was die Architektur mit den Gefühlen der Städter
mache, wolle man erkunden, erklärt der Tourleiter. Am Ende stellt er fest,
dass vor dem Hausprojekt die Stimmung gut gewesen sei. „Wahrscheinlich
auch, weil sich die Tour dem Ende neigte.“
Ist es das, was hängen bleibt, wenn am Sonntag, nach sechs Wochen, das BMW
Guggenheim Lab zu Ende geht? Nach all der anfänglichen Aufregung um die aus
New York eingereiste Ideenwerkstatt? Der Fußabdruck des Labs in der Stadt
werde subtil sein, sagt Künstler und Architekt Le Van Bo, einer der
Berliner, die dem Projekt ihre Expertise schenkten. Das dürfte es treffen.
Im Grunde hatte das Lab schon verloren, bevor es überhaupt begann. Als es
noch nach Kreuzberg sollte, aber nach Muskelspielen lokaler Autonomer
Reißaus auf den Pfefferberg nahm, genau gesagt: auf den dortigen Hinterhof.
Als es das wilde Experiment ausschlug, seine Debatten mitten auf der
verwunschenen Cuvrystraßen-Brache, im Auge der Widersacher, auszufechten.
Und als die Erwartungen ins Kraut schossen, wo doch ohne das Tohuwabohu im
Vorfeld wohl wenige überhaupt von dem Projekt erfahren hätten. „Confronting
comfort“ aber, das Leitthema, im heimeligen Prenzlauer Berg zu diskutieren,
ist schon eine schräge Idee.
Man hat das erst kürzlich gesehen bei der Berlin Biennale. Erst als die
Künstler eine Mauer auf die Friedrichstraße stellten, als die Anwohner eine
Petition für den Abriss starteten, wurde das Kunstfestival präsent,
entstand eine Verbindung zur Stadt. Dem Lab fehlte diese Reibung. Man
diskutierte unter sich, für eigens angereiste Interessenten, vielfach auf
Englisch. Das alles blickdicht versteckt im Hinterhof, in einem offenen,
überdachten Karbonwürfel. Tatsächlich blieben bis auf eine kleine
Auftaktdemo alsbald alle Proteste aus. Wen sollte das auch aufregen?
Le Van Bo ging mit seinen Ein-Quadratmeter-Häusern einmal raus zum
Kottbusser Tor. Selbst gezimmerte Hüttchen, 250 Euro fürs Material,
transportabel, falls man mal wieder verdrängt wird. Und einer der raren
Kommentare des Labs zur Gentrifizierungsdebatte. Die Leute kamen und
begutachteten seine Hütte. Als van Bo sie einlud, selbst ein Haus im Lab zu
bauen, winkten die Kreuzberger ab. Senefelder Platz? Keine Ahnung, wo das
sei.
Dabei war das, was dort diskutiert wurde, nicht uninteressant. Bostoner
Professoren redeten da, Kasseler Psychologen oder Mauerpark-Karaokist Joe
Hatchiban. Und als SPD-Staatssekretär Ephraim Gothe kam, ließ der sich auf
einen runden Tisch für eine neue Liegenschaftspolitik festnageln und auf
mehr Bürgermitsprache bei der Vergabe kommunaler Grundstücke.
Oder als die eingeschlafene Debatte über den Checkpoint Charlie
aufgeschnürt wurde. Als sich alle Diskutanten einig waren über den
„unwürdigen Kirmesplatz“ und über den Bedarf eines neuen, internationalen
Museums. Und die junge TU-Soziologin Sybille Frank dagegen hielt: Die
Touristenströme zeigten ja, dass der Ort „auch so funktioniere“. Da war die
Debatte wieder da. Und sie traf diese Stadt.
Nur blieben diese Momente rar. Stattdessen wurden Lego-Kameras gebastelt,
meditiert und in Mülltonnen gegrillt. Anders als auf der ersten Station in
New York wolle man nicht nur diskutieren, sondern machen, hatte
Lab-Kuratorin Maria Nicanor erklärt. Nett. Aber auch nicht neu.
So berichtete im Lab Sprayer Thomas Bratzke über seine „City of Names“.
Eine vier Wochen pulsierende Spanplattenstadt, aufgebaut von 30 Sprayern am
Mariannenplatz. Kinder versteckten sich in den schiefen Hütten, Anwohner
schimpften. „Jeder sollte den Raum in Beschlag nehmen, wie er wollte“,
sagte Bratzke. „Es hat funktioniert.“ Das war 2005. Im Lab flimmerten nur
noch die Bilder über große Bildschirme.
Das immerhin zeigte das Lab: An Zukunftsideen mangelt es dieser Stadt
nicht, am Ausprobieren auch nicht. Schon eine Weile wird hier ja urban
gegärtnert, in Schenkboxen Gebrauchtes getauscht oder gegen Verdrängung
okkupiert, neuerdings selbst in Rentnertreffs in Pankow.
## Freiflächen aufgespürt
So ist nicht zufällig eines der wenigen Projekte, die vom Lab bleiben,
eines, das in die Stadt vorstieß. Mit einem roten Feuerwehrauto stöberten
die „freespace“-Leute um den Stadtsoziologen Florian Schmidt Freiflächen
auf, befragten Anwohner zu ihren Ideen für diese Orte. Am Ende wurde alles
auf einer Onlinekarte festgehalten – was fortgesetzt werden soll. Gut
20.000 Euro spendierte das Lab dafür.
Was man denn erwartet habe, fragt Carsten Joost, Mediaspree-Aktivist, der
auf dem Lab über Bürgerwiderstand referierte. „Das Lab war ein Ort von
vielen in Berlin, wo Stadtentwicklung diskutiert wurde.“ Kuratorin Nicanor
sagt, man habe Diskussionen „kickstarten“, Menschen verbinden wollen. Mehr
sei gar nicht Ziel gewesen.
Aber warum braucht man dafür ein Team aus New York, das sich erst
monatelang einarbeiten muss? Weil der trendige Urbanism eben doch der
Markenpolitur dient. Eine, wie Joost betont, von vornherein „unsägliche
Idee“ – auch wenn BMW im Laufe des Labs immer öfter unerwähnt blieb. So h…
Berlin wohl am meisten vom Lab gelernt, als es noch in Anreise war. Als
Autonome und der Bürgermeister über die Aufwertung dieser Stadt stritten
und darüber, wie offen dieser Ort ist und wofür.
In New York, im East Village, hat ein Bürgerverein wieder den Platz
übernommen, den das Lab innehielt. Ein Kunstpark soll dort nun hin,
Skulpturen vielleicht. Florian Schmidt schwebt für Berlin anderes vor.
Warum könne es nicht jedes Jahr ein Berlin-Lab geben? Nur fortan mit
lokalen Initiativen, „neutral“ organisiert. „Ein Ort“, so Schmidt, „a…
dann alle schauen.“
Am Pfefferberg sagt ein Nachbar, vom Lab habe er „fast nichts“ bemerkt. Nun
hoffe er vor allem eines: dass auf dem Hinterhof bald wieder Rasen wächst.
26 Jul 2012
## AUTOREN
Konrad Litschko
Konrad Litschko
## TAGS
Stadtplanung
Berlin
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