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# taz.de -- BMW Guggenheim Lab startet: Die offenen Fragen vom Pfefferberg
> Ab Freitag will das BMW Guggenheim Lab ausloten, was urbane Zukunft
> ausmacht. Die taz hat bei Berliner Experten nachgehakt, worum es für die
> Metropole von morgen tatsächlich geht.
Bild: Hier wird ab Freitag sinniert: Das BMW Guggenheim Lab im Pfefferberg.
Zum Auftakt wird der Regierende persönlich aufkreuzen: Am
Freitagnachmittag, wenn das BMW Guggenheim Lab zu seiner ersten
Veranstaltung auf den Pfefferberg lädt, will Klaus Wowereit (SPD) ein paar,
wohl freundliche, Worte sprechen. Schon vor Wochen hat er das Lab als
„hochinteressant“ gelobt.
Für das Lab ist es ein Start im zweiten Anlauf. Eigentlich sollte das
Freiluft-Forum Ende Mai beginnen – am Kreuzberger Spreeufer.
Protestankündigungen verschreckten die Planer, man wechselte in den
Prenzlauer Berg und verschob die Eröffnung.
Nun soll in dem Carbon-Bau sechs Wochen lang mit Experten und Besuchern
über die Zukunft von Großstädten im Allgemeinen und Berlin im Konkreten
diskutiert werden. Über 100 kostenfreie Veranstaltungen sind geplant. Zum
Auftakt am Freitag gibt es ab 15 Uhr einen „Marathon of Making“: Es darf
mit Laserschneidern und 3-D-Scannern experimentiert werden.
Ließ der erste Programmentwurf, anders als angekündigt, das Thema
Gentrifizierung außen vor, haben die Kuratoren nun nachgelegt. Jetzt soll
über Liegenschaftspolitik, Architektur, Mobilität, Kultur und Altern in der
Metropole diskutiert werden. Daneben wird’s ganz praktisch: Spielplätze
sollen umgestaltet, Nachbarschaftsgärten und Tiere in der Stadt entdeckt
werden. Es gibt Workshops zu Meditation, zum Basteln von
Solarkaffeemaschinen oder zur „Vergesellschaftung“ der Müllentsorgung.
Fahrradtouren führen an den Stadtrand, zu Nachtclubs, den „besten
Bäckereien und dreckigsten Imbissen“.
Lab-Planerin Maria Nicanor sagte, BMW und Guggenheim hätten die
„kuratorische Freiheit in jeder Hinsicht respektiert“. Sie erhoffe nun
einen „sinnvollen Dialog“ mit den Berlinern.
Und das sagen die anderen:
"Die Zukunft ist längst da"
Die Zukunft ist schon längst da. Die Themen liegen wie zum Beispiel bei den
Mieten buchstäblich auf der Straße. Deshalb bringt eine Diskussion über
Zukunft wenig, wenn sie die aktuellen Probleme nicht angeht.
Andrej Holm, Stadtsoziologe, Humboldt-Universität
"Raum erobern"
Reclaim the city! In den Städten müssen öffentliche Räume wieder frei
zugänglich und nutzbar werden. Leerstand und freie Flächen der Stadt müssen
Projekten zur Verfügung stehen, um politischer, kultureller und sozialer
Arbeit eine selbstbestimmte Entfaltung zu ermöglichen. Berlin könnte noch
viel bunter und lebenswerter werden, wenn die Stadt die vorhandenen
Ressourcen den Bürgern unbürokratisch zur Verfügung stellen würde.
Florian Raffel, Occupy-Aktivist
"Stadt von unten"
Das wichtigste Thema in der Stadtentwicklung ist der Umgang mit den
Menschen. Raus muss man gehen und dann, wie mein leider verstorbener
Mitstreiter Matthias Rick immer sagte, den Schwenkgrill anwerfen. Nur so
erfährt man, was die Leute bewegt. Und nicht in einem Raumschiff wie dem
Pfefferberg und dem BMW Guggenheim Lab, das sich hermetisch abriegelt. Wie
kann man die großen Fragen kleinteilig denken? Das ist ein Thema, das uns
derzeit in Tempelhof beschäftigt. Da gibt es viele Planungen von oben und
Investoreninteressen. Wir verleihen den Menschen die Sprache.
Benjamin Förster-Baldenius, Architekt bei Raumlabor
"Bürger einbeziehen"
Da gibt es gleich eine Vielzahl an Fragen: Wie bewahrt Berlin seinen
kreativen und lebendigen Charakter und lässt gleichzeitig auch
Entwicklungen in der Stadt zu? Wie kann Berlin die fahrradfreundlichste
Stadt Europas werden? Welche partizipativen Prozesse kann die Stadt
anbieten, um die BürgerInnen, all die Stadtinitiativen und urbanen Blogger
wirkungsvoller in die Planungen für ihre gebaute Umwelt einzubeziehen? Wie
können wir dem Klimawandel begegnen? Und schließlich die Frage: Können wir
Modelle entwickeln, günstigen Wohnraum zu schaffen, um die soziale Spaltung
Berlins zu reduzieren?
Galene Haun, Netzwerk für urbane Kultur "Urbanophil"
"Drei Fragezeichen"
Die Zukunftsforschung identifiziert drei große Problemfelder, die aufgrund
ihrer aktuellen Brisanz zukünftig entscheidend sein dürften. Zum ersten: Es
gilt, die Multikulturalität als Ressource für die internationale
Attraktivität der Stadt zu begreifen. Es zeichnet sich aber ab, dass nicht
alle sozialen Gruppen gleichermaßen am kulturellen und ökonomischen
Wohlstand der Stadt partizipieren, was wesentlich am schulischen Erfolg
hängt. Es gilt also eine nachhaltige, vielfältige und durchlässige
Bildungslandschaft für alle zu verwirklichen. Nur so lässt sich das
Innovationspotenzial dieser Stadt nutzen. Die zweite Herausforderung: Die
Verdrängung von Einwohnern mit geringen Einkommen aus attraktiven
Stadtteilen ist ein großes Problem. Da muss Berlin eine nachhaltige,
partizipative Stadtentwicklungspolitik umsetzen. Kleine, lokale Netzwerke,
die die Interessen der Bewohner vor Ort vertreten, werden an Bedeutung
gewinnen. Die dritte zentrale Frage ist der öffentliche Verkehr. Für eine
nachhaltige Stadtentwicklung stellt der Individualverkehr ein großes
Problem dar. Hier stellt sich die Frage, wie ökologisch sinnvollere
Alternativen auf die jeweiligen Bevölkerungsgruppen zugeschnitten und
angeboten werden, auch unter Berücksichtigung zukünftiger technischer
Entwicklung.
Robert Fischbach, Zukunftsforscher am Institut Futur der FU Berlin
"Mehr grün!"
Görlitzer oder Mauerpark sind heute schon komplett übernutzt. Wir brauchen
mehr Grünflächen, ohne diese zu überformen. Das Tempelhofer Feld zeigt,
dass auch eine weite Wiese angenommen wird. Wir brauchen auch mehr
Straßenbäume und Gebäudesanierungen, um bei den künftig steigenden
Temperaturen die Kaltluftschneisen dieser Stadt zu bewahren. Und wir
brauchen eine Mobilität, die konsequent den steigenden Radverkehr ausbaut,
und zwar auf Autospuren.
Andreas Jarfe, Geschäftsführer Bund
"Radikal radial denken"
Wie gehen wir mit der zunehmenden sozialen und räumlichen Spaltung Berlins
und den Problemen außerhalb des S-Bahnrings um? Wie kann die städtische
Anpassung an den Klimawandel gelingen? Die Innen- und Außenstadt müssen
dabei zusammengedacht und der soziale Zusammenhalt gestärkt werden. Unser
Vorschlag: die Wiederbelebung von Hauptstraßen. Radikal radial! Die
Kraftlinien der Stadt stellen eine ideale, räumlich-übergreifende Struktur
dar, um die großen Fragen von integrierter Stadtentwicklung, nachhaltiger
Mobilität und zukunftsfähiger Anpassung an den Klimawandel zu beantworten.
Wir schlagen dafür eine Art "Urban Task Force" vor, eine zunächst
temporäre, kleine, transparente und schlagkräftige Planungsabteilung
innerhalb der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Die soll
ressortübergreifend, mit den Bezirken und Beteiligten von Wirtschaft und
Zivilgesellschaft konkrete Lösungen für planerische Probleme vor Ort
finden.
Johanna Schlaack, Think Berlin
"Debatte braucht kein BMW"
BMW findet keinen Parkplatz mehr und fragt nach "Ideen für die Großstadt".
Die Antwort liegt nicht auf neuen Autobahnen, sondern im Ausstieg aus dem
Geschäft mit der Stadt. Vergesellschaftung von S-Bahn und Stadtwerken, von
Wohnraum und Energie - diese Debatte braucht kein "Lab", sondern wird
abseits von panzerverglasten Marketingprojekten längst geführt.
Matthias Klaukien, Undogmatische Linke Avanti
"Sozialer Friede"
Gestellt werden muss die Frage nach dem sozialen Frieden. Wie können wir
den Wohnungsmarkt wieder so beeinflussen, dass es auch in Zukunft
bezahlbare Wohnungen für Bewohner mit geringen Einkommen geben wird und
dasss wir sozial gemischte Kieze bewahren? Dass wir Innenstädte ohne
Geringverdiener wie in Paris, London, teils auch in München verhindern? Das
wird mit Geld, das Berlin ohnehin nicht hat, nicht zu machen sein. Dafür
braucht es gesetzgeberische Initiativen. Das Zweite: der Umgang mit
öffentlichem Raum. Da hat die Nutzung jetzt schon zugenommen, siehe
Admiralbrücke. Hier muss eine Privatisierung oder Quasiprivatisierung, etwa
durch Einkaufscenter mit Schließzeiten und eigenem Sicherheitspersonal,
Einhalt geboten werden. Ich bin da verhalten optimistisch: In Berlin haben
sich, immer wenns entscheidend wurde, doch Initiativen gebildet, die die
Entwicklung beeinflussen konnten.
Sigmar Gude, Topos Stadtforschung
"Experten, vereint euch!"
Man nimmt, was man kriegen kann! So und nicht anders muss das
BMW-Guggenheim Lab bewertet werden. Die Debatte um die Zukunft der Stadt
wird in Berlin schon lange geführt, dafür bräuchte es nicht einen
Lab-Import aus New York. Hier leben und forschen auch die ExpertInnen,
deren Wissen in eine systematische Debatte eingespeist werden könnte. Nur
leider haben Verwaltungen und Politik daran bisher herzlich geringes
Interesse gezeigt. Ein interdisziplinärer, systematischer und
professioneller Austausch mit allen Beteiligten über die Lebens- und
Arbeitsperspektiven, nicht nur der gegenwärtigen, sondern auch der
zukünftigen Generationen in unserer Stadt findet nicht statt. Wenn nun
finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit sich unter dem
Label Guggenheim gemeinsame Diskurse entwickeln, Fragen gestellt werden
können und nach Lösungen gesucht wird - um so besser. Bleibt zu hoffen,
dass der Ball, der so ins Rollen kommt, von den Verantwortlichen in den
Senatsverwaltungen aufgegriffen wird und ihm nicht sang- und klanglos die
Luft ausgeht, wenn der große Name davor verschwindet, der schon bald wieder
neue Städte beehren wird. Der Guggenheim Dependance in Berlin ist's ja
genauso gegangen. Macht zu, verschwindet von der Berliner Bildfläche und
niemanden hat's aufgeregt.
Leonie Baumann, Rektorin Kunsthochschule Weißensee
"Partizipative Normalität"
In meiner Vision vom Berlin der Zukunft sind Bürgerbegehren und
Volksentscheide zum selbstverständlichen Bestandteil der politischen Kultur
geworden. Bei Wahlen sind alle Menschen ab spätestens 16 Jahren unabhängig
von Staatsangehörigkeit wahlberechtigt. Amtsgeheimnisse gibt es nur noch in
seltenen Ausnahmefällen und der Senat betreibt eine aktive
Informationspolitik. Wesentliche Bereiche der Daseinsvorsorge sind in
Bürgerhand und unter demokratischer Kontrolle.
Michael Efler, Mehr Demokratie e. V.
14 Jun 2012
## AUTOREN
Uwe Rada
Konrad Litschko
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