# taz.de -- Nahostexperte über Iran: „Afghanistan hoch zehn“ | |
> Der Westen hat sich nie bemüht, mit dem Iran auf Augenhöhe zu verhandeln. | |
> Es wurde immer versucht, das Land zu isolieren, sagt der Nahostexperte | |
> Michael Lüders. | |
Bild: Demo im Iran: Die Feindbilder sind klar definiert. | |
taz: Herr Lüders, Ihrer Meinung nach serviert uns die westliche Politik | |
gerade ein grausliches Dejavue. Die aktuelle Dämonisierung des Iran gleiche | |
der des Irak „bis hin zu einzelnen Formulierungen“. | |
Michael Lüders: Wir haben im Irak erlebt, wie eine Behörde aus Wien über | |
Jahre hinweg nach Massenvernichtungswaffen gesucht, aber keine gefunden | |
hat. Trotzdem wurde ein Krieg begonnen – auf Grundlage eines nie erhärteten | |
Verdachts. Das Vertrackte ist: Die Ergebnisse der Internationalen Atom - | |
Aufsichtsbehörde (IAEA) können sehr unterschiedlich interpretiert werden. | |
Für den Iran gilt: natürlich gewährt er keine Einsicht in seine | |
Militärgeheimnisse, die dann in Wien veröffentlicht, also auch dem | |
israelischen und amerikanischen Geheimdienst zugänglich würden. | |
Es kann also sein, dass der Iran über atomare Waffen verfügt? | |
Im Prinzip ja. Bislang sagen der Chef der IAEA, die CIA und der israelische | |
Geheimdienst aber übereinstimmend, dass sie keine belastbaren Hinweise | |
dafür haben, dass der Iran eine Atombombe baut. Das sollte man ernst | |
nehmen. | |
Das ist noch keine Dämonisierung des Iran. | |
Natürlich nicht. Die findet auf der politischen Ebene statt. Spätestens | |
seitdem Präsident Bush 2002 die „Achse des Bösen“ ausrief, gilt Iran als | |
der Inbegriff des Bösen. Als Ahmadinedschad mit seinen antisemitischen | |
Ausfällen zusätzlich Öl ins Feuer goss, war das ein gefundenes Fressen für | |
all diejenigen, die den Iran ohnehin als eine große geopolitische Bedrohung | |
sehen. | |
Es geht ja nur vordergründig darum, ob der Iran die Bombe baut oder nicht. | |
De facto ist diese Frage Mittel zum Zweck, um eine ganz andere Frage zu | |
beantworten: Wir halten wir es im Westen mit dem Iran, neben Syrien dem | |
letzten Staat im Nahen und Mittleren Osten, der keine prowestliche Politik | |
betreibt? | |
„Keine prowestliche Politik“ - verwechseln Sie hier nicht Auslöser und | |
Reaktion? Wenn der Iran Israel bedroht, dann sollte der Westen doch | |
reagieren. | |
Jetzt müssen wir „Bedrohung“ definieren. Dem Iran wird ja zweierlei | |
vorgeworfen. Erstens betreibe er ein Nuklearprogramm in der Absicht eine | |
Atombombe herzustellen. Dafür gibt es keine Beweise. Zweitens soll er | |
Organisationen wie Hamas und Hisbollah unterstützen, die im Westen als | |
Terrororganisationen gelten. | |
Dafür gibt es Beweise. | |
Ja, aber das tut er aus bestimmten politischen Gründen. Wenn man wollte, | |
dann könnte man hier sicher einen Kompromiss finden. Man hat sich aber nie | |
bemüht, mit dem Iran auf Augenhöhe zu verhandeln, sondern immer nur | |
versucht, das Land unter Druck zu setzen und zunehmend zu isolieren. | |
Vergessen wir nicht: Der damalige Präsident Khatami hat 2003 angeboten, die | |
Unterstützung von Hisbollah und Hamas einzustellen und selbst sein | |
Nachfolger Ahmadineschad hat eine Normalisierung der Beziehung zu den USA | |
vorgeschlagen. Doch die Bush-Regierung hat jedes Gesprächsangebot | |
abgelehnt. | |
Sie sprechen sich strikt gegen die gerade erst wieder verschärften | |
Wirtschaftssanktionen aus, denn am Ende würden diese nur den Mullahs | |
helfen. | |
Natürlich wird auch das Regime getroffen durch den Rückgang der Ölexporte. | |
Aber die Mittelschicht, also der gesellschaftliche Träger des sozialen | |
Wandels, das waren ja auch die Anhänger der grünen Bewegung, werden durch | |
diese massiven Boykottmaßnahmen in die Verarmung getrieben. Über Inflation, | |
über Warenverknappung und eine immer schwierigere finanzielle Situation für | |
die Familien. | |
Passiert gerade aber nicht auch etwas anderes? Die Regierung Ahmadinedschad | |
wird zunehmend von der iranischen Handelskammer kritisiert. Die | |
Regierungspolitik heize die Inflation an, die Zollbestimmungen seien | |
katastrophal. Anfang des Jahres drohte der Justizminister | |
Währungsspekulanten mit der Todesstrafe, weil die Wechselkurse in den | |
Keller stürzten, worauf der Direktor der Handelskammer sich genötigt sah zu | |
erklären, dass man Wechselkursen nicht mit der Todesstrafe beikommt. Regt | |
sich da nicht Widerstand von innen heraus? Hätten die Sanktionen dann nicht | |
auch einen positiven Effekt? | |
Ich sehe nicht, dass sich die Mittelschicht gegen das Regime wehrt, sondern | |
sie hat vor allem Angst. Sie gerät ökonomisch immer weiter unter Druck und | |
hat überhaupt nicht mehr die Energie, sich politisch zu engagieren. Das ist | |
auch der Grund, warum alle iranischen Oppositionsbewegungen mit Ausnahme | |
der stalinistischen Volksmudschadin die Sanktionen ablehnen. Die Sanktionen | |
drängen alle, die nach marktwirtschaftlichen Kriterien und westorientiert | |
Geschäfte machen wollen, aus dem Markt. | |
Es wird gerade viel darüber spekuliert, ob Israel nicht doch schon vor den | |
US-Präsidentschafts-Wahlen Iran angreift. | |
Ob es trotzdem dazu kommt, ist derzeit völlig offen. Die Chancen stehen | |
Fifty/Fifty. Obama hat überhaupt kein Interesse daran, vor den Wahlen gegen | |
den Iran vorzugehen. Trotzdem haben die Amerikaner ihre militärische | |
Präsenz in der Region massiv ausgeweitet und vier Flugzeugträger im | |
persischen Golf stationiert. Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud | |
Barak haben aber noch ein weiteres Problem: Israelische | |
Sicherheitsexperten, Generäle und auch der renommierte Ex-Mossadchef Halevy | |
haben sich öffentlich gegen einen israelischen Alleingang ausgesprochen. | |
Der israelische Schriftsteller David Grossman hat unlängst in der FAZ den | |
im Land weitgehend akzeptierten Größenwahn von Netanjahu als Grund für die | |
Kriegsgefahr angegeben. Leuchtet Ihnen das ein? | |
Unbedingt. Ich finde es sehr beunruhigend, dass die Frage von Krieg und | |
Frieden von einem Politiker abhängt, der offenbar den Bezug zur Realität | |
verloren hat. Wenn westliche Staaten damit drohen würden, im Falle eines | |
völkerrechtswidrigen Angriffs durch Israel die diplomatischen Beziehungen | |
abzubrechen, das würde bei Netanjahu ankommen. Aber eine solche Drohung | |
wäre vor allem für die deutsche Regierung ja völlig undenkbar. | |
Iran hat dieser Tage erneut beteuert, im Falle einer westlichen | |
Intervention auf der Seite Assads in einen Krieg einzutreten. Was bedeutet | |
das für die Gemengelage in der Region? | |
Die Forderung nach dem Sturz Assads seitens der EU, der USA, der Türkei und | |
auch der Saudis hat nichts mit den unsäglichen Verbrechen des syrischen | |
Diktators zu tun. Sondern damit, dass Syrien der letzte verbliebene | |
Verbündete des Iran in der Region ist. Umgekehrt eint Teheran, Peking und | |
Moskau der Wille, nicht noch ein Land an die westliche Einflusssphäre zu | |
verlieren. Es ist ja allen klar, dass Russland, China und der Iran nach | |
einem Sturz von Assad in Syrien nichts mehr zu melden haben. Daher werden | |
sie sich bis zum letzten für Assad einsetzen. | |
Sie werden nicht müde sich darüber zu ärgern, dass „der Westen“ gar nicht | |
begreift, wie gefährlich ein Krieg gegen Iran auch für ihn, insbesondere | |
für Europa sein kann. | |
Wir haben es vom Libanon und Syrien bis nach Pakistan mit einem massiven | |
Staatszerfall zu tun. Iran ist der einzige Ruhepol in der Region. Wenn man | |
den Iran angreift, dann gibt es in einer Region so groß wie Westeuropa | |
keine Grenzen mehr für gewalttätige Gruppierungen, die sich irgendeinen | |
Dschihad auf ihre Fahnen schreiben, und den Westen bekämpfen. Militärisch | |
wie politisch ist das eine nicht mehr zu kontrollierende Situation. | |
Vergleichbar mit Afghanistan? | |
Afghanistan potenziert mit dem Faktor 10. Es ist doch klar: Greift man den | |
Iran an, wird dieser sich rächen und alle möglichen gewalttätigen Gruppen | |
unterstützen, um den Westen nach Kräften zu beschädigen. Ein Angriff auf | |
den Iran würde die gesamte Region in Brand setzen. Die Europäer haben noch | |
immer nicht begriffen, welche Gefahren dann auf sie zukommen. | |
Und die wären? | |
Als Vergeltung wird es Terroranschläge geben und die Ölpreise werden | |
explodieren. Hinzu kämen massive Flüchtlingsbewegungen. Die USA sind von | |
diesen Problemen noch durch den Atlantik geschützt, Europa nicht. Bis heute | |
aber wiederholt die EU nur US-amerikanische Standpunkte. Bis heute hat die | |
Bundesregierung nicht eingestanden, dass die Politik in Afghanistan falsch | |
war, einfach falsch. | |
Welche Rolle spielen die Medien bei der Aufarbeitung von Fehlern? | |
Keine rühmliche. Die Leitartikler der führenden Medien sind mehrheitlich | |
der Meinung, im Falle eines israelischen Angriffs müssten wir Partei | |
ergreifen für Israel. Selbst wenn der Angriff völkerrechtswidrig ist. Das | |
ist eine törichte und gefährliche Position. Die kann man doch nach den | |
Erfahrungen mit Irak und Afghanistan nicht ernsthaft einnehmen! Mit Hilfe | |
westlicher Militärinterventionen pro-westliche Regime in der Region | |
einzusetzen, sind sämtlich gescheitert. | |
Manche richten ihre Hoffnungen jetzt auf den französischen Präsidenten | |
Hollande. | |
Hollande ist noch zu frisch im Amt. Kommt es hart auf hart, wird er sich | |
nicht gegen die USA stellen. | |
Es gibt also keine Gegenstimme mit Einfluss? | |
Im Moment ist keine sichtbar. Dabei ist das Eskalationspotential enorm: | |
Denn Rußland und China werden keine Intervention im Iran dulden, sie werden | |
sich auf die Seite Teherans stellen.Beide sind ja schon in Syrien zu | |
keinerlei Zugeständnissen an den Westen bereit. Die USA werden Israel | |
unterstützen, die EU auch – und was dann passiert, das Szenario mag man | |
sich gar nicht ausmalen. | |
Was passiert, wenn Mitt Romney an die Macht kommt? | |
Dann ist der Krieg gegen den Iran eine beschlossene Sache. | |
19 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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