# taz.de -- Ausstellung „A House Full of Music“: Der Rest ist Stille | |
> Produktive Destruktion: Die Ausstellung „A House Full of Music“ auf der | |
> Darmstädter Mathildenhöhe gilt den Wechselbeziehungen zwischen Kunst und | |
> Musik. | |
Bild: Ein Blick in die Ausstellung: Im Vordergrund Bernhard Leitners Installati… | |
BERLIN taz | „If you celebrate it, it’s art, if you don’t, it isn’t“ … | |
in großen Lettern über dem Eingang des Darmstädter Hauptbahnhofs. Angeblich | |
definierte so der amerikanische Komponist und Künstler John Cage, dessen | |
100. Geburtstag sich am 5. September jährt, wann es sich beim Öffnen einer | |
Tür um einen künstlerischen Akt handle. „Cage 100 – Künstlerische | |
Interventionen am Hauptbahnhof Darmstadt“ ist eines von vielen Projekten, | |
die die Ausstellung „A House Full of Music. Strategien in Musik und Kunst“ | |
begleiten. | |
Die Schlüsselfiguren der Ausstellung sind neben Cage, Nam June Paik, Joseph | |
Beuys vor allem Erik Satie und Marcel Duchamp, die als Urväter eines | |
künstlerischen Neuanfangs im 20. Jahrhundert gelten. Sie alle haben die | |
inneren Zusammenhänge zwischen Musik und Kunst erforscht und das | |
Kunstverständnis revolutioniert. | |
Satie komponierte 1893 „Vexations“, ein atonales Stück, das 840 mal | |
wiederholt wurde und als erste interaktive Klanginstallation gilt. Zu den | |
Vorläufern einer Konzeptmusik, wie sie erst in den 1960er Jahren entstehen | |
sollte, zählt auch Marcel Duchamps zufallbasierte Komposition „Erratum | |
Musical“ von 1913. Darin fehlt jede Angaben zu Dynamik oder Rhythmus. | |
Einmal aufgeschrieben, so Duchamp, werde es jedoch als Musik wahrgenommen. | |
John Cage meinte dazu: „If you want to write music: study Duchamp.“ Dieser | |
hatte das Konzept aus „Erratum Musical“ mit seinen Readymades später auf | |
die bildende Kunst übertragen und erklärte schon die Auswahl eines | |
Gegenstandes zum künstlerischen Akt: „Ein Kunstwerk existiert dann, wenn | |
der Betrachter es angeschaut hat.“ | |
## Das Schweigen wird überbewertet | |
Der Ausstellung gelingt es elegant, die epochenübergreifenden Einflüsse | |
aufzuzeigen. Die Rubrizierung in zwölf Strategien in der Kunst wirkt | |
zunächst etwas didaktisch: Speichern, Collagieren, Würfeln, Möblieren oder | |
Wiederholen. Sie stehen für Konzepte, nach denen bildende Künstler und | |
Komponisten wie Laurie Anderson, Robert Filliou, Dieter Roth, Iannis | |
Xenakis bis hin zu Frank Zappa arbeiteten. Zum Kunstverständnis Duchamps, | |
den die Fluxus-Bewegung als geistigen Vater wählte, bezog Joseph Beuys 1964 | |
Stellung, als er in der ZDF-Sendung „Drehscheibe“ „Das Schweigen von | |
Duchamp wird überbewertet!“ mit Schokolade auf ein Plakat schrieb. | |
Doch bereits Arnold Schönberg befand: „Pausen können niemals schlecht | |
klingen!“ Stille ist eines der großen Themen dieser Ausstellung. So stammt | |
eines der zahlreich präsentierten Notenblätter von Erwin Schulhoff. Die | |
„Fünf Pittoresken für Klavier“ (1919) machen das Schweigen der Instrumente | |
zum Thema. Die dadaistische Partitur besteht lediglich aus | |
Pausen-Notationen. In die Partitur für die legendäre Komposition „4:33“ | |
schrieb John Cage nur „tacet“ und formulierte so – inspiriert von den Whi… | |
Paintings Rauschenbergs – einen zeitlich festgelegten Moment der Stille. | |
Für Nam June Paik, der Karlheinz Stockhausen und John Cage 1958 bei den | |
Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt kennengelernt hatte, wurde bald | |
das Zertrümmern des Instruments zum Credo: „Das Klavier ist ein Tabu. Es | |
muss zerstört werden.“ In der Ausstellung „Exhibition of Music – Electro… | |
Television“ präsentierte er 1963 präparierte Klangobjekte. Joseph Beuys, | |
damals ebenfalls unter den Gästen, nahm Paiks Anspruch, die Besucher | |
einzubeziehen, besonders ernst und zerstörte spontan das einzige nicht | |
präparierte Klavier, was wiederum Teile der Kunstszene nachhaltig | |
verstimmte. | |
## Informationsüberdosis | |
Seitdem wurde in der Kunst viel zerstört: Jimi Hendrix setzte 1967 seine | |
E-Gitarre in Flammen, bevor er sie unter jaulenden Rückkopplungen in Stücke | |
schlug. Ein rätselhaftes Notenbild der Zerstörung lieferte 1980 der Musiker | |
Idris Khan mit „Struggling to Hear … After Ludwig van Beethoven Sonatas“. | |
Die fotografische Überlagerung von 32 Partituren hinterlässt als schwarze | |
Balken das Rauschen einer Informationsüberdosis. | |
Zu den bekanntesten Vertretern einer Klangpoesie der Zerstörung gehört die | |
Band Einstürzende Neubauten, um die Kunstfiguren Blixa Bargeld und N. U. | |
Unruh im Berlin der 80er Jahre gebildet. Eines der letzten Alben hieß dann | |
ausgerechnet „Silence is Sexy“, dennoch blieben sie Symbol für die | |
produktive Destruktion musikindustrieller Standards. Heute produzieren sie | |
internetbasierte Unterstützeralben. Ein Verfahren zeitgenössischer | |
Kunstproduktion mithilfe moderner Medien, die in der Ausstellung nur durch | |
Kutimans YouTube-basierte Splitscreen-Montage [1][„ThruYou – The Mother of | |
All Funk Chords“] (2009) vertreten ist. | |
Rund 350 Werke stehen exemplarisch für 100 Jahre Wechselbeziehungen, die | |
ein neues Kunstverständnis beförderten, das angesichts der aktuellen | |
Auseinandersetzungen um Kunst und Commons verblüffend aktuell geblieben | |
ist. Zuletzt stimmt den Besucher Johannes Kreidlers Video „Charts Music – | |
Songsmith fed with Stock Charts“ (2009) noch einmal froh. Unter Verwendung | |
der Microsoft Komponiersoftware „Songsmith“ entstand ein tragikomischer | |
Billion-Dollar-Song zur Wirtschaftskrise. Entlang abstürzender Börsenkurse, | |
Wachstumsraten von Pornoindustrie und steigenden Kriegsopferzahlen trällert | |
ein rhythmisch unterlegter Orgelsound. Wunderbar. | |
Noch bis zum 9. September im Museum Künstlerkolonie Darmstadt. Katalog | |
Hatje Cantz, 45 Euro | |
21 Aug 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=tprMEs-zfQA | |
## AUTOREN | |
Antonia Herrscher | |
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