# taz.de -- Ausstellung „Waiting for the Revolution“: Heilige, Hure, Mutter… | |
> In ihrer Luxemburger Ausstellung „Waiting for the Revolution“ spielt die | |
> kroatische Künstlerin Sanja Ivekovic mit Geschlechterrollen und | |
> verdrängter Erinnerung. | |
Bild: Schwangere Kunst: Das Original der „Gelle Fra“ (r.) und die Replik vo… | |
Als die kroatische Künstlerin Sanja Iveković vor gut 10 Jahren ihren | |
Beitrag zur Luxemburger Manifesta 2 konzipierte, verwarf sie ihren ersten | |
Einfall als zu provokativ. Der sah vor, die „Gelle Fra“, eine vergoldete | |
Schöne, von ihrem Obelisken am Boulevard Roosevelt zu holen und sie vor dem | |
Haus für misshandelte Frauen zu platzieren. | |
Das 1923 errichtete Monument, für viele Einwohner ein Nationalheiligtum, | |
war für die Künstlerin Ausdruck der Erinnerungskultur in einer | |
patriarchalischen Gesellschaft, in der die männlichen Kriegshelden den | |
Siegerkranz aus den Händen einer allegorischen Frauengestalt empfangen. | |
Waren nicht auch Frauen Opfer von Kriegen und hatten die Luxemburgerinnen | |
nicht ebenfalls im antifaschistischen Widerstand gekämpft? Die Feministin | |
Iveković, 1949 in Zagreb geboren, schuf eine, allerdings leicht veränderte | |
Replik der „Gelle Fra“ und platzierte sie unweit des Originals. Ihre Statue | |
ist hochschwanger mit dickem Bauch. | |
Eine Schwangere deshalb, weil diese, ebenso wie alte oder arme Frauen, | |
bisher wenig als Vorlage für die Medien taugen. Iveković’ Anliegen ist es, | |
unter den von der Öffentlichkeit konstruierten fiktiven Frauenbildern das | |
Leben der wirklichen Frauen, vor allem das der erniedrigten und | |
beleidigten, zu suchen und zum Objekt ihrer Kunst zu machen. Deshalb gab | |
sie ihrer Schwangeren den Namen einer realen, beispielhaft aktiven Frau und | |
nannte sie „Lady Rosa of Luxembourg“. | |
Die Flut an kontroversen Debatten, die Lady Rosa hervorrief, ist nun in | |
einer 40-seitigen großformatigen Broschüre nachzulesen, die als Ergänzung | |
der aktuellen Ausstellung von Sanja Iveković im Luxemburger Musée d’Arte | |
Moderne, kurz Mudam genannt, gedruckt wurde. Und auch Lady Rosa ist | |
auferstanden und thront auf ihrer Stele im zentralen Lichthof des erst 2006 | |
eröffneten Museums. Musealisiert provoziert die Figur nun keine | |
Heftigkeiten mehr, aber immer noch Fragen. | |
## „Ich gebe keine Antworten, sondern stelle Fragen“ | |
Ihr Sockel ist nämlich mit den tief verankerten, zählebigen Rollenklischees | |
beschriftet, nach denen Frauen noch immer kategorisiert werden: Heilige, | |
Hure, Mutter und Schlampe. Eine stringente Aussage des Gesamtkunstwerks | |
sucht man vergebens, sie ist wohl auch nicht gewollt, so erzeugt es | |
Assoziationen, ruft eigene Erlebnisse oder die wechselhaften historischen | |
Phasen der gesellschaftlichen Stellung der Frau wach. „Ich bin keine | |
Künstlerin, die Antworten gibt, sondern eine, die Fragen stellt“, so | |
definiert Sanja Iveković, die bis heute in Zagreb lebt, ihre Rolle. | |
Ihre Arbeiten variieren alle die beiden Themen, die sich in ihrer „Lady | |
Rosa“ vermischen: Die Diskrepanz zwischen dem öffentlich lancierten | |
Frauenbild und der realen Situation von Frauen sowie die öffentlichen | |
Formen der Erinnerung oder der Verdrängung. Iveković gehört also zu den | |
seltenen „politischen“ KünstlerInnen, die für gesellschaftlich relevante | |
Themen angemessene künstlerische Formen suchen. Auf der Kasseler Documenta | |
12 hatte sie ein rotes Mohnfeld säen lassen. In ihrer aktuellen Ausstellung | |
„Waiting for the Revolution“ im Mudam, die ähnlich zuvor im New Yorker MoMa | |
zu sehen war, nutzt sie die Möglichkeiten der Fotomontage und | |
Videoinstallation. | |
## Werbefotos und Widerstandskämpferinnen | |
Als Basis mehrerer ihrer Serien nimmt sie etwa großformatige Werbefotos | |
bekannter Modefirmen wie Hugo Boss, Gucci oder Armani. Unter die groß | |
abgebildeten stereotyp lächelnden Models druckt sie in der Serie „GenXX“ in | |
winziger Schrift die Schicksale antifaschistischer Widerstandskämpferinnen, | |
die im jungen Staat Kroatien verdrängt werden. Man liest etwa „Nada Dimic: | |
Charged with anti-fascist activities. | |
Tortured and executed in Nova Gradiska in 1942. Age at the time of death | |
19“. Oder sie kontrastiert die wie geklont wirkenden Modelgesichter mit den | |
erlebten Geschichten misshandelter Frauen aus europäischen Frauenhäusern. | |
Zwar hätte die Idee der künstlerischen Umsetzung auch von einer | |
Kunststudentin stammen können, sie funktioniert aber und packt die | |
BetrachterInnen durch den Zusammenprall von schöner Manipulation und | |
schockierender Wirklichkeit und setzt Denken und Gefühl in Gang. | |
Ebenso eindrucksvoll wirken die Arbeiten der „Lebendigen Erinnerungen“, die | |
mit einer kollektiven Erinnerungskultur experimentieren und dabei auf die | |
traditionellen Denkmäler verzichten. Auf einem halbstündigen Video ist das | |
„Rohrbach Living Memorial“ von 2005 für die in der Nazizeit deportierten | |
Sinti und Roma dauerhaft festgehalten. Die Einwohner des österreichischen | |
Städtchens Rohrbach stellten, in Gruppen aufgeteilt, ein historisches Foto | |
nach, auf dem Roma und Sinti auf ihre Deportation warten. Die Vergangenheit | |
wird sozusagen Echtzeit und ergreift die Rollenakteure offenbar heftiger | |
als ein klassisches Monument, wie die eingestreuten Großaufnahmen der | |
Gesichter zeigen. | |
Die jüngste Arbeit von 2010 „On the Barricades“ memoriert das Massaker von | |
Gwangju in Südkorea, das 1980 an der Demokratiebewegung verübt wurde. Man | |
sieht Aufnahmen von der Beerdigung der Opfer, für die ein Trauerlied | |
komponiert wurde. Auf zehn im Raum hängenden Bildschirmen zeigt die | |
Künstlerin beliebige Einwohner dieser Stadt. | |
Während sie nacheinander mit geschlossenen Augen die Trauermelodie laut | |
summen, werden sie in Farbe herausgehoben. Der ruhige Wechsel der Bilder | |
und das endlose Gesumm der Trauermelodie bewirkt eine Art Trance, oder ist | |
es Identifizierung, jedenfalls eine tiefe Verbundenheit mit den | |
Demonstranten für eine bessere Welt. | |
Waiting for the Revolution. Noch bis zum 16. September. | |
16 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Ursula Wöll | |
## TAGS | |
Aufstand | |
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