| # taz.de -- Ausstellung „Der frühe Dürer“: Schluss mit kunstreligiöser A… | |
| > In der Nürnberger Dürer-Ausstellung wurde nun der 200.000. Besucher | |
| > begrüßt – keine drei Monate nach der Eröffnung. Die Öffnungszeiten | |
| > mussten verlängert werden. | |
| Bild: Auf den Blickwinkel kommt es an: In der Ausstellung können die Besucher … | |
| Albrecht Dürers Werk hat noch jeden Hype überlebt. Und das seit 500 Jahren. | |
| Bereits vor Eröffnung der Ausstellung Der frühe Dürer bildeten sich vor dem | |
| Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg lange Schlangen. | |
| Trotz Verlängerung der Öffnungszeiten wartet das internationale Publikum | |
| mitunter bis zu zweieinhalb Stunden geduldig auf Einlass. Selbst die Macher | |
| hegten zuvor einige Zweifel, ob das wissenschaftlich fundierte Konzept | |
| einem breiten Publikum zu vermitteln sei. Doch das Kalkül ging auf. | |
| Schon zu Lebzeiten galt Albrecht Dürer als größter deutscher Maler. Die | |
| edel anmutende Präsentation in Nürnberg verstärkt zunächst den Eindruck | |
| einer bewusst weihevollen Inszenierung. Doch ist die geringe Luxzahl allein | |
| konservatorischen Gründen geschuldet. Zu recht freuen sich Publikum und | |
| Kritiker, Meisterwerke wie die Anbetung der Könige und die Haller-Madonna | |
| erleben zu können. | |
| Ebenso spektakulär ist die Wiedervereinigung von Bildern, die ursprünglich | |
| zusammen gehörten, etwa das Diptychon der Eltern und die beiden Flügel des | |
| Jabach-Altars. Indes unterscheidet sich die Strategie der Schau von anderen | |
| Blockbuster-Events eben darin, mehr als nur möglichst viele Werke | |
| zusammenzutragen, was der Werbeslogan „größte Dürer-Ausstellung in | |
| Deutschland seit 40 Jahren“ vermuten lässt. | |
| Diesmal wird ein völlig neuer Ansatz verfolgt. Schluss mit der | |
| kunstreligiösen Anbetung und den biografisch-psychologischen Spekulationen. | |
| Zeit für abgesicherte Fakten und neueste interdisziplinäre | |
| Forschungsergebnisse. Nun ist klar, dass der 1471 in Nürnberg geborene | |
| Dürer kein geniales Wunderkind war. Auch er musste sich seinen Ruhm hart | |
| erarbeiten. | |
| ## Portrait eines Jungen | |
| Das Selbstporträt des Dreizehnjährigen, mit dem die Ausstellung eigentlich | |
| startet, ist nicht etwa so bedeutsam, weil es sich um die älteste erhaltene | |
| Zeichnung Dürers handelt, sondern weil ersichtlich wird, wie der Knabe mit | |
| den Proportionen rang. Es dauerte weitere Jahre, bis er die | |
| Zentralperspektive ebenso gut wie seine italienischen Vorbilder | |
| beherrschte. | |
| An Korrekturen am allgemeinen Dürer-Bild mangelt es in der Ausstellung | |
| nicht. In der Fachwelt war längst bekannt, dass Dürer die Künstlersignatur | |
| nicht erfunden hat. Aber in dieser Konsequenz und in Kombination mit der | |
| Erfindung seines Markenzeichens, dem großem A mit dem darunter gestellten | |
| D, war er einzigartig. Auch widerlegt die Ausstellung die Annahme, Dürer | |
| sei der erste deutsche Landschaftssmaler gewesen. Zwar fertigte der | |
| Künstler vor Ort Skizzen an, doch handelt es sich bei den ausgefertigten | |
| Bildern um Kompositionen von Versatzstücken. | |
| Während seiner Lehrzeit schulte sich Dürer im „Abmachen“, im Kopieren von | |
| bekannten Meistern. Von Andrea Mantegnas Kupferstich Bacchanal mit Silen | |
| übernahm er die Komposition und Kontur der Figuren, gestaltete hingegen die | |
| Binnenzeichnung eigenständig. Statt paralleler Striche setzte Dürer auf | |
| Kreuzschraffuren, wodurch die Darstellung plastischer wirkt und eine andere | |
| Tiefenwirkung erzielt. Dagegen nimmt sich die Vorlage beinahe grob aus. In | |
| seinem Ehrgeiz verbesserte und perfektionierte Dürer die Originale. | |
| Neben dem Vergleich mit Meistern seiner Zeit rückt die Ausstellung erstmals | |
| das liberale und weltoffene Klima der spätmittelalterlichen Gesellschaft in | |
| den Fokus. Ohne die nachbarschaftliche und freundschaftliche Vernetzung im | |
| Nürnberger Burgstraßenviertel wären seine künstlerische Entwicklung und | |
| sein ökonomischer Erfolg nicht möglich gewesen. Albrecht Dürer wuchs in | |
| einem Umfeld auf, in dem einige der einflussreichsten Vertreter aus den | |
| Bereichen Wirtschaft, Politik, Handwerk, Wissenschaft und der Künste | |
| lebten. Hier erwarb er sein Rüstzeug. | |
| ## Die Wirkung bedenken | |
| Sein Lehrherr Michael Wolgemut führte ihn in die Tradition der fränkischen | |
| Malerschule ein, und humanistisch gebildete Freunde machten ihn mit Motiven | |
| antiker Kultur bekannt. Dürer lernte schnell, unbedingt die Wirkung mit zu | |
| bedenken. | |
| Je dramatischer der Inhalt, umso besser. Große Kunst müsse gewaltig sein, | |
| also den Betrachter durch Glaubwürdigkeit beeindrucken. Europaweite Furore | |
| verschaffte ihm nach seiner Rückkehr von einer vierjährigen Wanderschaft | |
| ein Buch mit Illustrationen zur Apokalypse des Johannes. Auf den | |
| Holzschnitten scheinen alle Figuren in angespannter Bewegung zu sein, der | |
| Weltuntergang wirkt bedrohlich nahe. | |
| Mit dem vorzüglichen Bilderkreis erprobte sich Albrecht Dürer nicht nur | |
| künstlerisch, sondern auch als Selfmade-Man, der alle Produktionsvorgänge | |
| in einer Hand vereint, vom Entwurf über den Druck bis zum Vertrieb, bei dem | |
| er von seiner Frau Agnes unterstützt wurde. Die notwendigen kaufmännischen | |
| Kenntnisse vermittelte ihm sein Pate Anton Koberger, der vom | |
| Burgstraßenviertel aus eines der größten Buchimperien managte. | |
| Obgleich Albrecht Dürers wildes Äußeres (lange Korkenzieherlocken und Bart) | |
| nicht den Konventionen entsprach und seine Bekannten ihn deswegen sogar | |
| belächelten, war er fest in seinem Kiez verwurzelt. Die richtige Mischung | |
| aus künstlerischem Genie, Risikobereitschaft, Kommunikationskompetenz und | |
| Innovationstalent machte aus dem Netzwerker einen frühen Vorläufer der | |
| heutigen Start-up-Unternehmer und medial versierten Künstler. Seine Kunst | |
| hat jedenfalls überdauert und erklärt die langen Besucherschlangen. | |
| Der frühe Dürer, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, bis 2. September, | |
| Katalog 34,90 Euro. | |
| 13 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Weckesser | |
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