# taz.de -- Künstler Wael Shawky in Berlin: Wer zog die Fäden der Geschichte? | |
> Mit seinem Videoprojekt zur Geschichte der Kreuzzüge begeistert Wael | |
> Shawky die internationale Kunstszene. Jetzt stellt er in den Berliner | |
> Kunst-Werken aus. | |
Bild: Fantastisch, grausam und kindlich zugleich: Marionetten spielen dunkle Ve… | |
Waren die Kreuzzüge etwa ein Kinderspiel? In Wael Shawkys Videoserie | |
„Cabaret Crusades“ stehen sich die verfeindeten Lager des Jahres 1095 | |
plötzlich wieder gegenüber. Richard Löwenherz trifft auf Sultan Saladin. | |
Jerusalem steht in Flammen. Schwerter werden gezückt, Köpfe rollen. Doch | |
vor dem Betrachter rollt ein Puppenspiel ab. Versucht sich der neue | |
Liebling der internationalen Kunstszene an einem ägyptischen Remake der | |
Augsburger Puppenkiste? | |
So naiv ist die Kunst des 1971 in Alexandria Geborenen natürlich nicht. In | |
dem vierteiligen Videoprojekt, das Shawky 2010 begann und 2013 beenden | |
will, ruft der Videokünstler und Regisseur die historischen Ereignisse in | |
ihrer ganzen Brutalität auf: blutrünstige Geschichten von Rittern, die im | |
Namen des Glaubens töteten, von Schlachten und Eroberungen, Henkern und | |
Gehenkten, von Gewinnern und Verlierern. | |
Doch Shawky will sich nicht noch einmal für die historische Demütigung der | |
Araber durch das Abendland rächen. Deswegen agieren in diesem „Kabarett“ | |
nur Marionetten. Ob es Christen oder Muslime sind, Könige, Kalifen oder | |
Päpste, Märtyrer oder Heilige. Und niemand weiß, wer ihre Fäden in der Hand | |
hält. Ihn interessiere, so erklärte es der 41-Jährige einmal in einem | |
Interview mit Blick auf die berühmte Rede Papst Urbans, die „Wirkung von | |
Manipulationen auf die Menschen“. | |
Der Geschichtenerzähler Shawky zielt neben der Ideologiekritik aber auch | |
auf ein historisches Narrativ. Seine Arbeit transportiert nämlich die Idee, | |
dass die Kreuzzüge weniger aus religiösem Eiferertum vom Zaun gebrochen | |
wurden, sondern wegen einer Wirtschaftskrise im Europa des sechsten | |
Jahrhunderts. So sieht es der libanesische Historiker Amin Maalouf. Auf | |
dessen 1986 erschienenem Werk „Die Geschichte der Kreuzzüge aus arabischer | |
Sicht“ Shawkys Arbeit fußt. | |
## Doppelter Verfremdungseffekt | |
Um diese Ambivalenzen von Geschichte sichtbar zu machen, arbeitet Shawky | |
mit einem doppelten Verfremdungseffekt. Seine sanft zappelnden Puppen | |
rücken die scheinbar bekannte Historie in die Nähe von Spiel und Fiktion. | |
Und die erschlafften Puppen, die er jetzt in den Berliner Kunst-Werken für | |
seine erste Einzelausstellung in Deutschland in einer Glasvitrine | |
hintereinandergereiht hat, zeigen das Material der Inszenierung, die | |
Geschichte immer ist. | |
Dadurch, dass Shawky seine Puppen in digitalen Landschaften, die auf | |
Filmaufnahmen der authentischen Kriegsschauplätze basieren, aufeinander | |
losgehen lässt, taucht er die Szenerie ins Surreale. Und zieht so die | |
Betrachter ins Geschehen. Schon auf der Biennale Venedig 2003, der in | |
Istanbul 2011 und auf der Documenta 13 in Kassel konnten sich die Besucher | |
nicht von seinen Animationswelten losreißen – fantastisch, grausam und | |
kindlich zugleich. | |
In „The Horror Show File“, dem ersten Part des Kreuzzugvierteilers, | |
benutzte der ägyptische Künstler, der in Alexandria das Atelierhaus MASS | |
betreibt, noch 200 Jahre alte Puppen aus dem italienischen Piemont. Im | |
zweiten Teil, „The Path to Cairo“, der jetzt in den Kunst-Werken zu sehen | |
ist, hat Shawky die Puppen aus Keramik ebenso selbst hergestellt wie das | |
Bühnenbild für die Installationen. | |
Stadtpläne und kanonische Texte sind in den Film montiert, Perlenfischer | |
und Kinderchöre intonieren die Reden. Das Ganze ist von elektronischer | |
Hintergrundmusik unterlegt, die Shawky mit französischen Studierenden | |
komponiert hat. Seine Videoinstallationen sind kein ästhetisch geadelter | |
Historismus. Schritt für Schritt setzt der Multimediakünstler vielmehr ein | |
scheinbar bekanntes Kapitel der Weltgeschichte neu zusammen. | |
So ist Shawkys Werk ein faszinierendes Beispiel für eine zeitgemäße | |
politische Ästhetik: Er arbeitet präzise, aber kunstfertig, er unterhält, | |
verschiebt dabei aber unmerklich (politische) Perspektiven. Kein Wunder, | |
dass die Schering-Kunststiftung dem aufstrebenden Künstler 2011 ihren mit | |
10.000 Euro dotierten Kunstpreis zuerkannte. | |
## Der Weg zu den pharaonischen Reichtümern | |
Fakten und Fiktion mischt der Künstler auch bei seiner neuesten Arbeit. „Al | |
Araba Al Madfuna“ nennt er den 21-minütigen Videofilm, in dem er die | |
Geschichte eines Schamanen verarbeitet, die er selbst vor zehn Jahren in | |
der gleichnamigen ägyptischen Stadt miterlebt hat. Der Schamane hatte deren | |
Bewohnern versprochen, ihnen den Weg zu den pharaonischen Reichtümern zu | |
verraten. | |
Der zentrale Ausstellungsraum der Kunst-Werke ist abgedunkelt. 125 Tonnen | |
haben den Boden in eine Sandwüste verwandelt. Auf ein paar Steinblöcken | |
sitzend verfolgt der Besucher auf der wandgroßen Leinwand das seltsame | |
Geschehen, das an eine Séance erinnert. Das Versprechen auf großen | |
Reichtum, inszeniert in den historischen Kulissen einer antiken Stadt, | |
demonstriert die Kluft zwischen dem kulturellen Erbe und den materiellen | |
Bedürfnissen in der modernen ägyptischen Gesellschaft. | |
Statt Puppen agieren diesmal lebendige Jugendliche, die sich Schnurrbärte | |
ins Gesicht geklebt haben. Mit ihnen hatte Shawky schon in seiner Arbeit | |
„Telematch Sadat“ von 2007 erfolgreich gearbeitet. In dem 14-minütigen | |
Video, komponiert nach dem Vorbild der deutschen TV-Serie „Spiel ohne | |
Grenzen“ aus den 70er Jahren, spielen ägyptische Kinder die Ermordung und | |
die Grablegung von Anwar as-Sadat 1981 so begeistert und unbelastet von | |
eigenen Erinnerungen nach, wie es eben nur Kinder können. | |
Es wirkt seltsam paradox, auf einen arabischen Künstler zu treffen, der zu | |
Zeiten der arabischen Rebellion so beharrlich im ästhetischen Retro-Modus | |
des Re-Enactment agiert. Und doch verbindet etwas Shawkys Neuinterpretation | |
der Vergangenheit und die Geschichte, die in seiner Heimat nach vorne | |
aufbricht: Beide eröffnen einen anderen Zugang zu ihr. | |
Wael Shawky:„Al Araba Al Madfuna“. Kunst-Werke, Berlin, bis zum 21. | |
Oktober. Katalog Verlag der Buchhandlung Walther König | |
31 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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