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# taz.de -- Jimi Hendrix 70. Geburtstag: Der große Blitzableiter
> Als er klein war spielte er Gitarre auf dem Besen: Heute würde Jimi
> Hendrix seinen 70. Geburtstag feiern. Ein Salut für einen großen
> Gitarristen.
Bild: Die aufgeplatzte Matratze auf dem Kopf. Hendrix mit ungezähmter Mähne.
Empfehlung der Woche für junge Leute … Sieben Beat-Bands und vier
Solosänger warfen sich für die LP ’Beat Club 67‘ in einen musikalischen
Eintopf“, heißt es im Stern vom 11. Juni 1967. Hendrix ist auch mit zwei
Songs vertreten.
„Mit seinem Haarschopf, ähnlich einer aufgeplatzten Matratze, und dem
Oberlippenbärtchen, schmal, wie mit einem Bleistift gezogen, konzentrierte
er sich glücklicherweise darauf, das britische Inselreich rhythmisch zu
beleben. Lang dehnt sich sein Aufschrei ’Purple Haze‘ über die
Plattenrillen und bis auf Platz drei der englischen Hitparade.
Ob die Einmannrevolution aus Seattle die Gitarre mit Händen, Füßen oder
Zähnen bearbeitet, ist auch bei dem Song ’Stone Free‘ einerlei. Sein
pulsierender Takt zuckt gleichmäßig durch den Körper.“ – Man hatte offen…
Probleme, diese Musik zu beschreiben.
Schon als kleiner Junge wird Jimi Hendrix gern hochgenommen, weil er
ständig den Besen zweckentfremdet. Seine erste Gitarre hat nur eine Seite,
also muss er die entsprechenden Soli mündlich imitieren. Er kann das auch.
Er trägt sie quer über den Rücken spazieren, mit der Kopfplatte nach unten,
wie er das bei Sterling Hayden in Nicholas Rays Spielfilm „Johnny Guitar“
gesehen hat.
## Die Beziehung der Eltern
Ein Showman ist er schon lange vor seiner Karriere. Dass es dann
tatsächlich eine Karriere gibt, ist ebenso folgerichtig wie unmöglich. Das
alte Außenseiter-Paradox: Du hast keine Chance, also nutze sie! Seine
Eltern saufen, treiben sich herum, haben Affären, kommen aber nicht los
voneinander.
Selbst als sie längst geschieden sind, treibt sie irgendeine animalische
Anziehungskraft immer wieder zueinander. Sie haben weitere Kinder, mehrere
davon behindert, alle werden irgendwann bei Pflegeeltern landen. Bei einer
solchen Kindheit lag es nahe, in der Gitarre den großen Blitzableiter zu
sehen, wie dies zum Beispiel auch Marshall McLuhan tat.
Mit überdrehten, von langen Fuzz-Soli tranchierten Coverversionen solcher
Hits wie „House of the Rising Sun“, „Like a Rolling Stone“ und „Wild …
avanciert Hendrix 1966 zum Geheimtipp im New Yorker Szeneviertel Greenwich
Village. Das Geraune dringt an das Ohr von Mike Bloomfield.
Er wittert Konkurrenz und sieht ihn sich an. „Hendrix wusste, wer ich war,
und an jenem Tag hat er mich regelrecht umgeblasen. Ich kann kaum
beschreiben, welche Geräusche er seiner Gitarre entlockte. Atombomben
fielen, Marschflugkörper flogen durch den Raum.“
## Der Star in Europa
Nach drei erfolgreichen Singles Ende 1966, Anfang 1967 („Hey Joe“, „Purple
Haze“ und „The Wind Cries Mary“) erscheint im Mai Hendrix’ Debütalbum …
You Experienced“, zunächst nur in England und Deutschland, und macht ihn in
Europa endgültig zum Star.
Drei Monate später steht die USA auf dem Welteroberungsplan. Auch die
Heimat nimmt Jimi Hendrix im Handstreich. Seine akustischen Aufzeichnungen
von „Vermischungs-Räuschen“ (Klaus Theweleit) sind der Soundtrack zum
„Summer of Love“.
Er ist für das Monterey Pop Festival gebucht, und Hendrix weiß, was auf dem
Spiel steht. Es sind nicht nur 90.000 Zuschauer vor Ort, ABC-TV überträgt
den Spaß, und D. A. Pennebaker dreht einen Konzertfilm. „Heute Abend wird
das Raumschiff abheben“, verspricht er vor dem Konzert. Und hält Wort.
„Jimi Hendrix, baby believe me, set the world on fire, yeah“, wird Eric
Burdon nur kurze Zeit später in „Monterey“ singen. Konzert folgt nun auf
Konzert. Grandiose Sets in Bill Grahams Fillmore West, dann schickt Jeffery
die Experience auf eine desaströse Tour mit den Monkees, die nach fünf Gigs
abgebrochen wird. Zu obszön für die vielen kleinen Kinder unter den
Zuschauern.
## Zu obszön für Fahrradschlecker
„Was bei den Leuten rüberkommt“, meinte Hendrix, „ist deren Sache. Es ko…
ganz auf die Perspektive des Betrachters an. Wenn du jeden Morgen die
Fahrradsättel von kleinen Mädchen abschleckst, bevor sie zur Schule gehen –
ja klar, dann kannst du auch davon ausgehen, dass ich meiner Gitarre auf
der Bühne einen runterhole.“
Hendrix zieht es zurück ins Village. Er jammt mit Frank Zappa, B. B. King,
Al Kooper, dann geht es nach England, auf ausgedehnte Europatour,
zwischendurch spielt er die restlichen Songs für das zweite Album „Axis:
Bold As Love“ ein. Melody Maker vom 9. Dezember 1967: „Es ist einfach
unfassbar. Macht Eure Ohren auf, es wird Euch schwindelig, Eure Augen
werden flackern, macht was ihr wollt, aber beschäftigt Euch mit Hendrix,
ihr werdet so etwas noch nie gehört haben.“
Doch langsam hört der Spaß auf. Es wird echte Arbeit. Ohne chemische
Hilfsmittel läuft für Hendrix nichts mehr. Dazu kommt noch Alkohol. In
Göteborg klinkt Hendrix zum ersten Mal aus, zerlegt in Wut ein Hotelzimmer.
Er muss in die Ausnüchterungszelle. „Ich würde gern mal sechs Monate Pause
einlegen und auf die Musikhochschule gehen.“
## Sehen, ohne zu hören
Seine Manager, Michael Jeffery und Chas Chandler, treiben ihn unermüdlich
an, als Headliner ist er ab Februar 1968 erneut in den USA auf Tour. Die
Veranstalter reißen sich um ihn. Er spielt in den größten Hallen, kassiert
Rekordgagen. Seine Bühnenexzesse beginnen ihn zu langweilen. Die
Erwartungshaltung der Zuschauer wächst. Verbrennt er sich heute?
„Wir wollten Aufmerksamkeit erregen“, sagt Hendrix, „doch dann sind die
Leute nur noch gekommen, um uns zu sehen, nicht um uns zu hören, und das
war nicht okay.“ Er will sich musikalisch weiterentwickeln, das
Powertrio-Konzept transzendieren.
Er lädt zum Ärger von Band und Management andere Musiker zu Sessions ein,
verbraucht enorme Mengen an Studiozeit im New Yorker Record Plant. Entnervt
von den Alleingängen „seiner“ Entdeckung, schmeißt Chas Chandler das
Handtuch und lässt sich von Jeffery ausbezahlen. Die Reibereien machen sich
auch auf der Bühne bemerkbar. Da erscheint „Electric Ladyland“, im Herbst
1968, und der Erfolg dieses Albums (Platz 1/USA) trägt alle noch ein
Stückchen weiter.
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich meinen 28. Geburtstag noch erleben werde.
Ich meine, in dem Moment, wo ich merke, dass ich musikalisch nichts mehr zu
geben habe, werde ich von diesem Planeten verschwinden“, sagt er bald
darauf in einem Interview.
## Sein Tod
In der Nacht vom 17. auf den 18. September 1970 bedient er sich bei den
starken Vesparax-Schlaftabletten seiner Freundin Monika Dannemann. Um
durchzuschlafen, soll man eine halbe einnehmen, Hendrix nimmt gleich neun,
wird bewusstlos, übergibt sich, ist zu sediert, um das Erbrochene abhusten
zu können und erstickt daran.
Die postume Ausbeutung nahm vielfältige Formen an. Noch im selben Jahr nahm
Kaplan Flury den denkwürdigen Christenrockfetzer „Jimi, oh Jimi Hendrix“
auf. „Ji-mi Hendrix / Ein Weg, der seinen Weg nicht kennt / Ji-mi Hendrix /
Ein Licht, das an sich selbst verbrennt / Ji-hi-hi-hi-mi, Ji-hi-hi-hi-mi /
Dein Traum hielt mit dem Leben nicht Schritt, / Du nahmst viel von uns
mit.“
27 Nov 2012
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Gitarre
Selbstmord
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