# taz.de -- Serie Landkreis XXL: Die Sammler aus der Seenplatte | |
> Der neue Landkreis Mecklenburgische Seenplatte startet mit einem riesigen | |
> Defizit. Vermutlich werden die Gelder für Museen gekürzt – und alle haben | |
> Angst, dass es sie trifft. | |
Bild: Eine der ältesten naturkundlichen Sammlungen: Das Müritzeum in Waren. | |
WAREN/CARWITZ/ANKERSHAGEN/STAVENHAGEN/BURG STARGARD taz | Wie ein | |
gestrandetes Schiff liegt das Müritzeum am Ufer des Sees. Der spektakuläre | |
Bau wurde von einem schwedischen Architekten entworfen und 2007 eröffnet. | |
Eine gewaltige ovale Konstruktion aus Glas und verkohltem Lärchenholz, die | |
sich organisch in die Moränenlandschaft ringsum fügt. Das „Haus der tausend | |
Seen“ ist ein Naturerlebnis-Zentrum, das den Müritz-Nationalpark „in | |
kompakter Form“ repräsentiert. So erklärt es Pressesprecherin Irene | |
Hartwig. | |
Es beherbergt das größte Süßwasserfisch-Aquarium Deutschlands und eine der | |
ältesten naturkundlichen Sammlungen: Vogeleier, Samensorten, Gesteinsarten, | |
175.000 Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten – sowie die Mollusken, | |
ein Zwischending zwischen Schnecke und Muschel. Mit diesen Weichtieren hat | |
der Gründervater des Museums, Hermann von Maltzan, den Grundstock für die | |
naturhistorischen Sammlungen einst gelegt. | |
Das Müritzeum liegt in Waren. Zu DDR-Zeiten war die Gemeinde ein | |
verschlafenes Kaff, inzwischen ist es, zumindest im Sommer, ein lebendiges | |
touristisches Zentrum in der Region. Es gibt einen ICE-Anschluss, eine | |
restaurierte Altstadt und Läden der Mittelklasse, ausgerichtet auf die | |
Besucher, die an den Fischbrötchenbuden Schlange stehen. | |
„Wir sind die touristische Attraktion“, sagt die Pressesprecherin des | |
Müritzeums. Als gemeinnützige GmbH organisiert – Gesellschafter sind je zur | |
Hälfte die Stadt und der Landkreis – „trägt sich das Müritzeum von allei… | |
erklärt Irene Hartwig. Pro Jahr kommen 180.000 Besucher. Touristen, sagt | |
Irene Hartwig, seien „ganz ganz wichtig.“ | |
Das Müritzeum ist einer der sogenannten kulturellen Leuchttürme des | |
Landkreises Mecklenburgische Seenplatte. Der Landkreis ist erst mit der | |
Kreisgebietsreform im vergangenen September entstanden; der neue Großkreis | |
hat insgesamt 42 Museen, die davor auf unterschiedliche Kreise verteilt | |
waren. Ein Orgel- und ein Hexenmuseum sind darunter, Regionalmuseen, das | |
Drei-Königinnen-Palais, zu sehen sind auch DDR-Alltagsobjekte, | |
Luftfahrttechnik oder Agrarhistorisches. | |
Drei Museen werden vom Kreis betrieben, ein weiteres bekommt | |
institutionelle Förderung, zusätzlich vergibt der Landkreis Fördergelder | |
und Projektzuschüsse in Höhe von 350.000 Euro. Manche Heimatstube wird rein | |
ehrenamtlich betrieben. Ehrenwert und liebenswert. Aber welches dieser | |
Museen ist auf Dauer erhaltenswert? Wer bekommt in Zeiten knapper Kassen am | |
meisten Förderung? | |
## Genug um zu zeigen, nicht um zu forschen | |
Der Landkreis startet mit einem riesigen Defizit. Von 20 Millionen Euro ist | |
die Rede und der Haushalt 2012 noch nicht verabschiedet. Es ist abzusehen, | |
dass die Mittel nicht für alle Museen und Ausstellungsräume reichen werden. | |
Der Leuchtturm, der seine Signalwirkung auf den Touristen nicht verfehlt, | |
muss nicht um seine Existenz bangen. Und die anderen? | |
Viel hänge von der Lage und Infrastruktur eines Hauses ab, erklärt Stefan | |
Knüppel. Das Museum, das er leitet, das Hans-Fallada-Haus in Carwitz, liegt | |
weit ab vom Schuss. Idyllisch, auf einem kleinen Zipfel der Feldberger | |
Seenplatte. Hier hat der Schriftsteller Hans Fallada die Jahre der „inneren | |
Emigration“ verbracht. Sein Arbeitszimmer kann man besichtigen, auf | |
Falladas Gartenbank am Seeufer sitzen. Das kleine Museum mit | |
angeschlossenem Archiv ist als Verein organisiert, Träger ist die | |
Hans-Fallada-Stiftung. | |
Vier Mitarbeiter des Museums sind beim Verein angestellt, eine zusätzliche | |
Stelle wird seit 2011 über den Kreis finanziert. „So sind wir unabhängig | |
und als Museum modern“, sagt Knüppel. Das Geld von der Stiftung reiche | |
allerdings nur für das „Schaufenster“, die Präsentation. Wissenschaftliche | |
Mitarbeiter kann sich das Museum nicht leisten. „Ich mache alles selbst. | |
Aber Aufgabe eines Museums ist es, nicht nur zu zeigen, sondern auch zu | |
archivieren, zu forschen, zu sammeln.“ Das Erbe pflegen. | |
Auch das Heinrich-Schliemann-Museum, mehr als eine Stunde Autofahrt von | |
Carwitz entfernt, hat so eine besondere Erbmasse. Es firmiert wie das | |
Fallada-Haus offiziell unter den „kulturellen Gedächtnisorten“ der neuen | |
Bundesländer. Das ist kein „Leuchtturm“ von landesweiter Bedeutung, sondern | |
eine Art Adelsprädikat auf nationaler Ebene. | |
Dieses Label macht es möglich, beim Bund Anträge für zusätzliche Mittel | |
stellen. Und die sind heiß erwünscht, denn hier im kleinen Ankershagen, wo | |
der Archäologe Heinrich Schliemann seine ersten Lebensjahre im Pfarrhaus | |
verbracht hat, ist nicht nur das Museum untergebracht, sondern auch das | |
Zentrum der internationalen Schliemann-Forschung. 35.000 Briefe an | |
Schliemann, digitalisiert und kopiert, lagern im Keller eines kleinen | |
heruntergekommenen Hauses in der Nachbarschaft. Schliemann sprach 20 | |
Sprachen, reich war er auch – nur leider hat er keine Stiftung gegründet. | |
„Zu uns kommt man nicht durch Zufall“, sagt Reinhard Witte. „Es ärgert | |
mich, dass wir bei den Besucherzahlen mit dem Müritzeum verglichen werden.“ | |
Sein Haus, mit etwa 13.000 Besuchern jährlich, ist zu hundert Prozent eine | |
Tochter des Kreises. Witte will sein Museum nicht als schlecht | |
wirtschaftenden Kulturbetrieb sehen, sondern als Bildungseinrichtung. Er | |
hat große Pläne und eine missionarische Ader: Die Dauerausstellung soll | |
überarbeitet werden, die Scheune neu erstehen, die Café, Bibliothek, | |
Kinosaal und das berühmte Archiv aufnehmen soll. | |
## Kultur läuft unter Wirtschaftsförderung | |
Hans-Fallada-Haus, Schliemann-Museum, Müritzeum, sie präsentieren, | |
bewahren, forschen – fürs Sammeln haben sie kein Geld. Und sie sind | |
abhängig vom Zuspruch der Touristen. Wie sollte es auch anders sein in | |
einem Landstrich, der menschenleer ist, aus dem immer mehr junge Leute | |
abwandern. | |
Doch was ist mit dem Kulturauftrag für die Einheimischen? Witte hält jeden | |
vierten Sonntag einen Vortrag und übersetzt mit Schulklassen lateinische | |
Briefe, Knüppel lädt den Liedermacher Stephan Krawzcyk zum Konzert – da | |
kommen sie selbst aus Rostock und Berlin angereist. Wolle man das kreative | |
Potenzial anlocken und verhindern, dass junge Menschen in die rechte Szene | |
abdriften, dann „brauchen wir möglichst viel Kultur in der Region“, sagt | |
Ralf-Peter Hässelbarth. Das Mitglied von Bündnis 90/ Die Grünen ist | |
stellvertretender Leiter des Kulturausschusses im Landkreis. | |
Dieser tagt an einem Spätnachmittag im August in Stavenhagen, ganz im | |
Norden des Landkreises. Drei bis vier Mal im Jahr trifft er zusammen, jedes | |
Mal in einer anderen Kultureinrichtung des neuen Kreises. Zum Kennenlernen. | |
Alle im Kreistag vertretenen Parteien, auch die NPD, entsenden hierhin | |
anteilig Vertreter oder benennen Sachkundige Bürger. Der Grüne Hässelbarth | |
ist so einer. „Es ist schon ein Fortschritt, dass wir überhaupt einen | |
Kulturausschuss haben“, sagt der Kulturwissenschaftler. „Ein Kulturamt gibt | |
es leider nicht. Kultur läuft hier unter Wirtschaftsförderung.“ | |
Bei diesem Punkt kommt in der Sitzung gereizte Stimmung auf. Verschiedene | |
Ausschussvertreter beklagen, dass Kultur im Organigramm des Kreises nicht | |
verankert sei. Man brauche konkrete Ansprechpartner. Doch die fehlen | |
bislang. „Wir sind jeder für alles zuständig, etwas platt gesagt“, | |
verteidigt sich Axel Müller, der das dem Landrat zugeordnete Amt für | |
Wirtschaft, Regionalförderung und Planung leitet. Nebenbei ist Müller auch | |
für das soeben mit großem Aufwand eröffnete Agroneum in Alt-Schwerin | |
zuständig, das frühere Agrarhistorische Museum. Ein Lieblingskind des | |
Landrats, heißt es. | |
Viel gibt es an diesem Nachmittag im Kulturausschuss zu besprechen. Wem | |
werden die drei Musikschulen zugeordnet – der Kultur oder der Bildung? | |
Immerhin hat es der neue Großkreis nun mit drei verschiedenen Rechtsformen | |
zu tun. Die leidige Fusion der Theater-Orchester-GmbH. Zur Wiedervorlage. | |
Genervt fragt zwischendurch ein Ausschussvertreter: „Ist es mal wieder so, | |
dass das Land etwas beschlossen hat, das uns zwingt, das hier zu | |
beschließen?“ | |
Auch der Punkt „Kulturelle Leuchttürme“ wird vertagt. Ein Fragebogen ist in | |
Vorbereitung, der die Ausstattung, die Sammlungsschwerpunkte der einzelnen | |
Museen erfassen soll. Außerdem ist eine neue Förderrichtlinie zu erwarten, | |
wonach das Land nur noch Museen von landesweiter Bedeutung unterstützen | |
will. Den Rest werden dann die Kreise, die Kommunen übernehmen müssen. | |
„Im Moment belassen wir erst mal alles, wie es ist“, sagt Klaus-Michael | |
Körner (SPD), der Leiter des Kulturausschusses. „Aber das ist kein | |
Automatismus.“ Die Frage sei: Spielen die Museen alle in einer Liga? | |
Körner, ehemaliger kulturpolitischer Sprecher der SPD im Landtag, hat gute | |
Drähte nach Schwerin. Er wünscht einen Kulturbeirat, | |
Kreiskulturkonferenzen, Museen, die kulturelle Bildung machen. „Die Schüler | |
mit Fallada und Schliemann traktieren.“ | |
## Missionar in eigener Sache | |
Dennoch, auch die kleinen Heimatmuseen liegen ihm am Herzen. Wie das Museum | |
in Burg Stargard, wo der Grüne Hässelbarth zuhause ist. Auf dessen Anruf | |
hin kommt Frank Saß, Leiter des örtlichen Burgmuseums, am Abend | |
herbeigeeilt. Auch er ein Missionar in eigener Sache. Der Mann mit dem | |
grauen Pferdeschwanz führt die Besucher durch die mittelalterliche | |
Höhenburg, die erst von pommerschen, später von brandenburgischen Herzögen | |
beherrscht wurde. | |
„Na, Herr Platzeck, was macht Ihr Erbe?“, fragt er kokett. Dem Museum, das | |
der Stadt gehört, wurden die Mittel für Archivräume gekürzt. Nun besteht | |
Gefahr, dass ein Teil der Agrarabteilung verscherbelt, „entsammelt“ wird. | |
Warum gibt es in Mecklenburg-Vorpommern kein Gesetz, das Schutz für | |
Museumsgut garantiert? Wieder so eine Frage, mit der sich der | |
Kulturausschuss befassen muss. Das nächste Mal. | |
Dem Stargarder Ralf-Peter Hässelbarth schwebt eine Interreg-Partnerschaft | |
mit einer polnischen Stadt vor, um den abgebrannten Burgturm wieder | |
aufzubauen. Weniger fördern, mehr gestalten, findet er. Die Vergrößerung | |
des Kreises bringe eine Entzerrung mit sich, größere Distanzen, mehr | |
Individualisierung. „Die Kultur könnte das wieder zusammenbringen.“ | |
Dumm, dass sie keinen eigenen Haushaltstitel hat, sondern eine „freiwillige | |
Leistung“ ist. | |
1 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Sabine Seifert | |
Sabine Seifert | |
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