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# taz.de -- Landkreis XXL: Eine Grube für die Bauern
> Eine Abfalldeponie im Vogelschutzgebiet? Nicht nur Bauer Witte ist
> dagegen. Auch der Kreistag der Region lehnt die 400-Tonnen-Schutthalde
> ab.
Bild: Hier soll sie hin: Bauer Witte auf dem Platz der geplanten Deponie.
FRIEDLAND/NEUSTRELITZ/KRAKOW AM SEE taz | Der Wind schiebt dickleibige
Wolken über die Äcker und Weiden, die sich hinter Ramelow erstrecken. Bauer
Witte manövriert seinen Allradwagen über den Feldweg; das Dröhnen des
Motors wirbelt einen Schwarm Spatzen hoch. „Hier würden die Lkws ankommen“,
sagt er. Links verliert sich der Blick im Dickicht des Waldes, rechts
grasen stämmige Charolais-Rinder mit sahnecremefarbenem Fell, ein Teil von
Wittes Herde.
Hans-Albrecht Witte ist Öko-Landwirt bei Friedland, Kreis Mecklenburgische
Seenplatte, irgendwo zwischen der Autobahn B 20 und Polen. Er hat seinen
Betrieb kurz nach der Wende aufgebaut. Inzwischen laufen die Geschäfte. Das
Fleisch seiner Kälber und Rinder wandert in Alete-Gläser und ins
Biosortiment großer Supermarktketten.
Doch nun, sagt er, steht alles auf dem Spiel. Hier, zwei Kilometer von
Ramelow entfernt, inmitten von Vogel- und Naturschutzgebieten, soll eine
Deponie entstehen, die einmal knapp 2,5 Millionen Tonnen Schutt fassen
wird, Sand, Ton, Schlacke, darunter auch Asbest und schadstoffbelastete
Stoffe. 400 Tonnen soll sie jeden Tag schlucken, das sind 16 Laster mit je
25 Tonnen, die alle an Wittes Feldern und Weiden vorbeimüssten. „Und alles,
was herunterweht“, sagt er, landet auf dem Acker.“
Nach einer Weile springt er aus seinem Wagen. Vor ihm klafft eine Lücke in
der Landschaft, zwischen Bergen aus Sand ruhen kolossale Baumaschinen. Seit
Mitte der neunziger Jahre fördert die Güstrower Kies + Mörtel GmbH (GKM)
hier Straßenbaustoffe. Inzwischen gibt die Kiesgrube nicht mehr viel her;
daher will die Firma auch Schutt deponieren.
## Bauer Witte verzwergt
Das riesige Loch verzwergt Witte, der hoch gewachsene, kräftige Mann in
seinen Latzhosen wirkt plötzlich hilflos, er sagt: „Eine Abfalldeponie in
einem Vogelschutzgebiet. Das passt doch nicht zusammen.“
Hans-Albrecht Witte ist nicht der Einzige, der das so sieht. Anfang des
Jahres sind die Pläne zu den 84 Bewohnern von Ramelow durchgesickert.
Seither ist Aufruhr. Eine Bürgerinitiative hat sich formiert. Zunächst
sprach sich die Stadt Friedland, zu der Ramelow gehört, gegen das Projekt
aus, dann der Kreistag. Der forderten den Landrat auf, „alles rechtlich
Mögliche“ zu tun, um die Deponie zu verhindern.
„Alle waren sich einig: Wir brauchen dieses Ding nicht“, sagt Kathrin
Grumbach, Kreistagsmitglied der Grünen und Leiterin des Bau- und
Umweltausschusses. Grumbach, füllig, mit dunklem Pagenkopf und bunten
Klunkern, sitzt in einem Büro in Neustrelitz. Immer wieder betont die
Agraringenieurin, dass man das Thema fachlich angehen müsse. Doch ihr ist
klar, dass das nicht so einfach ist. Es ist ein Aufregerthema, ideal, um
Volksnähe zu demonstrieren.
Die Ersten waren die Rechten. Kaum hatte sich die Bürgerinitiative
gegründet, da brachte die NPD einen Antrag im Kreistag ein. „Das hat die
Sache enorm verkompliziert“, sagt sie. Zwar fand sich schnell eine formale
Lösung: Der NPD-Antrag wurde abgelehnt, ein neuer aufgesetzt. Doch der
Vorfall wirft ein Schlaglicht auf ein grundlegendes Problem: Viele der
Rechten kommen aus der Region Friedland. Den anderen Fraktionen „fehlt
manchmal die regionale Kenntnis“, räumt die Grüne ein.
Seit September 2011 ist es noch schwerer. Da wurde der Landkreis
Mecklenburgische Seenplatte geschaffen, der größte Deutschlands. Kathrin
Grumbach kommt aus Röbel, Ramelow liegt rund 100 Kilometer entfernt. Häufig
weiß sie nicht einmal, woher sie erfahren soll, was am anderen Ende des
Kreises geschieht. In ihrer Zeitung, sagt sie, „steht kein Wort über
Ramelow“.
## Entscheidung treffen Behörden
Ohnehin spielt die Meinung der Politiker keine große Rolle. Die
Entscheidung über die Deponie wird in den Behörden getroffen, nach rein
rechtlichen Kriterien. Die Politik, sagt Kathrin Grumbach, hat keinen
Einfluss, „außer, der Druck wird so hoch aufgebaut, dass es dem
Antragsteller zu anstrengend wird“.
Damit ist das, was ein juristisches Verfahren sein sollte, auch zu einem
Wettstreit der Willenskraft geworden. Eberhard Kellermann, Geschäftsführer
der GKM, will nicht derjenige sein, der nachgibt. Der Weg zu ihm führt
durch ein gefliestes Treppenhaus in den ersten Stock eines Gebäudes in
Krakow am See, knapp zwei Stunden von Friedland entfernt.
Kellermann, über 70 Jahre alt, tritt ein, gefolgt von einem sehr jungen
Mann mit Jeans und bravem blonden Seitenscheitel. Jens Eckhoff, stellt er
sich vor, „der Nachfolger von Herrn Kellermann“. In Ramelow nennen sie ihn
„den Investor aus dem Westen“. Dass er sich an der Firma beteiligt, hat das
Misstrauen noch verstärkt.
Die beiden machen keinen Hehl daraus, dass ihnen die Berichterstattung
einer überregionalen Zeitung nicht passt. „Das bringt hier doch noch mehr
Unruhe rein!“, hatte Kellermann ins Telefon gerufen. Derzeit prüfen die
Behörden, ob die Deponie mit dem Artenschutz zu vereinbaren ist, und ob sie
überhaupt notwendig wäre.
Wenn es in der Region nicht genug Schutt gibt, könnte die Halde Abfälle aus
anderen Bundesländern oder auch aus dem Ausland anziehen. Bislang ist es
Kellermann nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass die Region noch eine
zusätzliche Deponie braucht. Sein Bedarfsnachweis wurde abgelehnt.
## Investor Eckhoff höhnt
Dabei, sagt er, würde seine Deponie die Natur gar nicht belasten. Das
Grundwasser wäre geschützt, der Schutt staubfrei verpackt. Sicher, niemand
wolle eine Deponie vor der Tür, meint Eckhoff und holt tief Luft: „Aber das
ist völlig in der Pampa. Ich würde ja sagen: Da sagen sich Fuchs und Hase
gute Nacht.
Doch da gibt es noch nicht einmal Fuchs und Hase.“ Kellermann schüttelt den
Kopf. Er hat viel versucht, um die Ängste zu zerstreuen, hat sich mit
Politikern und Anwohnern getroffen. Es hat nichts geholfen. „Wir wollen
alles, was rechtens ist, auch erfüllen“, sagt er. „Doch was wir nicht
zulassen, ist, dass wir trotzdem abgelehnt werden.“
Nach Einschätzung eines Fachmanns in der Region wäre die Deponie
tatsächlich wenig bedenklich, solange alle Vorschriften beachtet werden. Er
will anonym bleiben, niemand will als Fürsprecher der Deponie ins Gerede
kommen.
Hans-Albrecht Witte stapft in sein Büro, wuchtet einen Ordner hervor, zieht
einen Brief von Alete heraus. „Wir haben uns von emissionsgefährdenden
Standorten fernzuhalten“, ruft er. „Ich habe einen Vertrag unterschrieben.
Punkt. Aus.“ Witte kann keine Kompromisse eingehen. Die messbare Belastung
ist nur eine Sache, der mögliche Imageschaden eine ganz andere: Schwer
vorstellbar, dass seine Abnehmer weiter mit ihm zusammenarbeiten, wenn sein
Vieh neben einer Abfalldeponie grast.
So stecken beide Seiten in einem Dilemma, das in der Region angelegt ist:
In Friedland ist nicht viel los. Die Tür der Stadtbibliothek ist
zugemauert, gegenüber dem Sonnenstudio „Sun Flair“ verfallen Fabrikgebäude
aus Backstein. Die Stadt hatte nach der Wende 8.300 Einwohner, heute sind
es 6.500. Dünne Besiedlung, kaum Industrie, ideal für Ökolandbau – und
Abfallwirtschaft.
„Wir sind eine strukturschwache Region“, sagt Wilfried Block, parteiloser
Bürgermeister von Friedland. „Und was kommt in so eine Gegend? Dinge, bei
denen die Menschen Bedenken haben.“ Wilfried Block, mit kurzen grauen
Haaren und kariertem Hemd, lehnt in einem Sessel in seinem Büro, hinter
sich eine Wand voller Bildbände. Nicht einmal wirtschaftliche Gründe
sprächen für die Deponie, vielleicht gäbe es ein, zwei Arbeitsplätze, dafür
wären die Biobauern bedroht. „Und außer der Landwirtschaft haben wir doch
nichts.“
## Streit und harsche Worte
Auch Friedland sei entschlossen, die Deponie aufzuhalten – allerdings nicht
gemeinsam mit der Bürgerbewegung. Es gab Streit. Harsche Worte sind
gefallen. Jetzt will Block nichts mehr mit der Initiative zu tun haben. „Da
hat man auch seinen Stolz.“
Die Mitglieder der Bürgerinitiative verstehen nicht ganz, was geschehen
ist. An diesem Nachmittag haben sie sich beim pensionierten Polizisten Lutz
Grünler versammelt. Fünf Männer und eine Frau sitzen mit ratlosen
Gesichtern um eine Kaffeetafel; auf dem Tisch stehen Kuchen und geblümtes
Geschirr.
Fest stehe nur eines: Anfang April ist Wilfried Block wiedergewählt worden.
Vorher sei er zu jedem Treffen gekommen, habe „Reden gehalten wie Ché
Guevara“, wie Grünler sagt. Nachher habe man ihn nicht mehr gesehen, und so
kam es letztlich zu dem Bruch.
Die Initiative hat einiges angeschoben, doch nun wissen die sechs nicht so
recht, wie weiter. Vielleicht Plakate oder Demos, meint der Lehrer Bernd
Wunderlich. Zugleich spitzt sich der Streit zu. Im Mai hat die Initiative
Strafanzeige gegen die GKM erstattet, die Nachbarn sind überzeugt, dass die
Firma schon illegal Abfälle annimmt. Kellermann bestreitet das.
Das Misstrauen sitzt tief in Ramelow. Wer interessiert sich für die Belange
der Anwohner? „Wir fühlen uns im Stich gelassen“, sagt Anja Lintz-Becker.
„Verraten“, sagt Wolf-Rüdiger Lande, ein Polizeikommissar a. D. Wer ihnen
zuhört, der spürt, dass es hier nicht nur um die Deponie geht, sondern auch
um die Frage, wer entscheidet, was in einer Gemeinde geschieht. Diejenigen,
die dort leben, oder die, die dort Geld verdienen wollen?
Die Ramelower haben sich schon oft übervorteilt gefühlt. Zunächst kam die
Autobahn B20. Als deswegen Ausgleichsflächen für den Naturschutz geschaffen
wurden, waren sie gezwungen, ihr Land billig zu verkaufen. „Die sagen sich:
Lass doch die Bauern, die haben doch früher immer die Schnauze gehalten“,
ruft Grünler. Sie fürchten, dass niemand hinschaut, was alles abgeladen
wird in dieser entlegenen Region.
„Wenn man hier einen Castor verscharrt, den sieht man doch nie wieder.“ Das
ist natürlich übertrieben, doch zuversichtlich ist hier niemand mehr. „Geld
regiert die Welt“, meint Lehrer Wunderlich, „Kapital siegt über Vernunft�…
murmelt Kommissar Lande. Als das Treffen endet, treten die sechs ins Freie.
Der Wind fährt ins Laub, sonst ist alles still.
4 Oct 2012
## AUTOREN
Gabriela M. Keller
## TAGS
Tagebau
Mecklenburg-Vorpommern
Mecklenburg-Vorpommern
Landkreis
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