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# taz.de -- Camping in Mecklenburg-Vorpommern: Ein Lebenstraum...
> Sommerzeit ist Campingzeit. Trotz Corona öffnen in Mecklenburg-Vorpommern
> die Zeltplätze. Zu Besuch am Blanksee.
Bild: Camper:innen haben ihr eigenes Reich zwischen den anderen
Auf der Autobahn Richtung Urlaub regnet es in Strömen. Der Himmel ist so
grau, dass es scheint, als spiegele er die alten Fahrbahnplatten. Zwischen
ihnen schleichen Wagen in Stadtgeschwindigkeit. Neben Lkws und
vollgepackten Kleinwagen sind an diesem Montagmittag seit Langem auch
wieder Camper und VW-Busse unterwegs. Denn dem Wetter zum Trotz startet
heute die Feriensaison in Mecklenburg-Vorpommern.
„Wir hatten zwei Wochen gutes Wetter, heute dürfen wir wieder öffnen, und
nun das …“, sagt Erni Schippers und schaut auf ihrem kleinen Campingplatz
am Blanksee um sich. Auf einem gemähten Feld stehen ein paar Holzhütten und
Campingwagen, am Rand eine Bauminsel. Unter den Bäumen: eine
Tischtennisplatte und eine Schaukel. In den Baumkronen zwitschern die Vögel
aufgeregt. Die Luft ist vom Regen noch so kühl, dass Schippers einen warmen
Parka über ihrer schwarzen Kleidung trägt. „Die Leute kommen trotzdem, die
wollen raus“, sagt sie und läuft zur Rezeption.
Für gewöhnlich startet die Campingsaison in Mecklenburg-Vorpommern Anfang
April. Doch wegen der Coronapandemie blieben die Campingplätze und
Ferienunterkünfte bis Anfang der Woche geschlossen. Erst an diesem Montag
öffnen sie für Gäste, die von außerhalb des Bundeslandes kommen. Es gibt
Auflagen, doch weder diese noch das Wetter können die Camper:innen
aufhalten. „Als ich gehört habe, am 25. Mai geht’s los, war ich sofort am
Telefon“, sagt Karl-Heinz Pompe, während er am Rezeptionshaus wartet.
Schippers’ Platz am Blanksee liegt weder am Meer noch direkt an der
Mecklenburgischen Seenplatte. Er liegt irgendwo im Nirgendwo, an einem See,
der auf der Landkarte kaum erkennbar ist. Das Bekannteste im Umkreis ist
das Bier der nahegelegenen Kleinstadt Lübz. Die Straßen sind hier einspurig
und holprig asphaltiert, neben ihnen ziehen sich Schotterstreifen zum
Ausweichen, falls einem ein Traktor entgegenkommt. Hierher reisen Menschen
aus Berlin, Mainz, Bad Tölz, von überall her.
Karl-Heinz Pompe und seine Freundin Gabi Werth sind schon einen Tag zuvor
in Wuppertal losgefahren und haben die Nacht auf einem Parkplatz in
Niedersachsen verbracht. „Mich zieht es immer in die neuen Bundesländer:
Mecklenburgische Seenplatte, Potsdam, Ostsee. Was anderes kam für mich
gerade dieses Jahr nicht infrage“, sagt Pompe. „Ich muss echt überlegen,
wann ich mal woanders Urlaub gemacht habe. Schwarzwald, das ist aber auch
schon acht Jahre her.“ Viele Camper:innen sind Gewohnheitsmenschen. Umso
wichtiger für sie, dass sie nun wieder die Anhängerkupplung aufbocken und
die Markise ausrollen können.
## Lernen, Augen zu lesen
„Ich habe schon was vorbereitet“, sagt Pompe und streckt der Campingwärtin
Schippers einen Zettel entgegen. Es ist das Anmeldeformular mit der
Unterschrift, die belegt, in den vergangenen zwei Wochen zu keinem
Coronafall Kontakt gehabt zu haben. Außerdem muss jeder an der Rezeption
einen Mund-Nase-Schutz tragen. „Ham’ wa dabei, das ist das Erste, was ich
einstecke, noch bevor ich Socken anziehe“, sagt Pompe. Seine braunen Augen
lächeln über die weiß-blaue Maske hinweg.
Die Einschränkungen der vergangenen Wochen haben alle gelehrt, Augen zu
lesen und neue Umstände anzunehmen. Zumindest hier auf dem Platz scheint es
niemandem schwerzufallen. Vor der Plexiglasscheibe der Rezeption ist eine
kleine Spendenkasse, „Freiwillige Corona-Spende statt Preiserhöhung“ steht
darauf. Am frühen Nachmittag liegen einige kleine Scheine und Münzen darin.
Schippers und Pompe kommen auf dem Weg zu einem Stellplatz an einem
Berliner Camperpaar vorbei. Es sitzt in Fleecejacken gewickelt auf
Klappmöbeln vor seinem Wohnmobil. „Mensch, dit is ja wie uffm Kudamm hier“,
ruft die Camperin vergnügt. „Was, so viele Leute waren da unterwegs die
letzten Wochen?“, antwortet Pompe und lacht.
Wer ankommt, holt als Erstes die eigene Sitzgarnitur aus dem Wagen und
setzt sich genussvoll ins Grau. Camper:innen haben ihr eigenes Reich
zwischen den anderen, das so gut durchgeplant ist wie die Inneneinrichtung
ihrer Wagen. Abstandsregeln braucht es kaum, denn sie teilen mit anderen
nur die Ruhe und die Wasserleitung. Dass das Essen nur noch außer Haus
verkauft wird, stört nicht weiter, denn auf der eigenen Terrasse ist es
doch am schönsten.
## „Guten Taaag“
Erni Schippers läuft den Nachmittag über hin und her, zwischen Platzvergabe
und Anmeldung. Zeitweise wartet dort eine Kolonne von Wagen auf sie. Wenn
Schippers dann quer über den Platz „Guten Taaag“ ruft, wirkt sie glücklic…
Damit ist sie unter den Campingwarten in Mecklenburg-Vorpommern eher eine
Ausnahme. Nicht, dass die anderen unglücklich wären, doch klingen sie oft
eher knurrig als euphorisch.
„Ich komme aus Holland“, sagt Erni Schippers wie zur Erklärung. Vor 15
Jahren zog sie mit ihrem Mann nach Mecklenburg-Vorpommern, um „etwas weit
ab vom Massentourismus“ zu erschaffen. Inzwischen haben Schippers und ihr
Mann vier Kinder hier großgezogen und einen Kreis von Stammcampern
aufgebaut. „Man kennt sich“, sagt Schippers. „Manche erkenne ich nicht
sofort wegen des Mundschutzes, aber später dann“, ergänzt sie lachend. Und
selbst wenn nicht – hier wird jede:r per Du angesprochen.
Am Nachmittag ist die Wiese allmählich eingerichtet. Zum Zwitschern der
Vögel mischen sich das dumpfe Knallen von Autotüren, das blecherne Rühren
von Löffeln in Kaffeebechern und leise Unterhaltungen aus den Vorzelten zu
einem Geräuschbrei, wie es ihn nur auf Campingplätzen gibt.
Unter den Bäumen, mit Blick auf den See, stehen drei Busse. Ein junger
Camper in schwarzer Wattejacke gestikuliert am Kofferraum seines
Transporters. Drei Erwachsene und ein Baby schauen ihm zu, wie er Kisten
und Fahrräder auf Schienen aus dem Kofferraum zieht, sie hören zu, wie er
ein Duschsystem aus Wasserleitung, Wasserboiler und Solarpanel erklärt.
Seit Dezember habe er an dem Innenraum gebaut, „in jeder freien Minute“,
sagt er.
Der junge Camper ist Hendrik Borgmann, ein Psychologe aus Münster.
Gemeinsam mit seiner Freundin wäre er jetzt eigentlich auf dem Weg nach
Kirgistan. Im Frühjahr sollte es losgehen. Die Jobs waren gekündigt, die
Wohnung untervermietet. „Da war Corona vor zwei Monaten dann ein richtiger
GAU“, sagt Borgmann. Es sei nicht um existenzielle Probleme gegangen,
betont er, aber ihr Plan einer Weltreise scheiterte.
Während Borgmann Details des Transporters vorführt, sitzt seine Partnerin
Anna Niesling im vorderen Teil des Transporters, hinter einem Macbook auf
dem umgedrehten Beifahrer:innensitz. Einen Campingplatz brauchten die
beiden bisher nicht, denn ihr Transporter habe alles, was sie zum Leben
benötigen.
Niesling erzählt von Mountainbiketouren im Sauerland, Wanderungen im Harz,
auf freien Wanderwegen an geschlossenen Souvenirhütten vorbei – „mega
schön“ –, und von der völlig menschenleeren Bastei in der Sächsischen
Schweiz. „Moment, da muss ich Fotos zeigen, das ist irre!“ Mit Blick auf
die letzten zwei Wochen ist sich das Paar einig: „Corona hat auch etwas
Gutes.“
Urlaub in der Region wird zweifelsohne beliebter werden. Doch gerade jetzt
sind die Kapazitäten der nahegelegenen Erholungsorte wegen der
Abstandsregelungen begrenzter denn je. Mehr als fünf Millionen
Übernachtungen zählten die Campingplätze Mecklenburg-Vorpommerns im
vergangenen Jahr. Durch die Corona-bedingten Regelungen könnten nun über
das Jahr verteilt bis zu zwei Millionen Übernachtungsplätze wegbrechen.
„Ich genieße es eh mehr, wenn wir in der Pampa stehen“, sagt Niesling. Sie
und Borgmann gehören nicht zu den Stammcampern. Sie sind mobil und mit
ihrer Ausstattung fast unabhängig von festen Plätzen.
Und doch gibt es Grenzen: Ihre Reiseroute richtet sich nach den neuen
Regeln der Erreichbarkeit. Nun gilt es, neue Orte zu entdecken wie etwa den
Campingplatz am Blanksee, der laut Betreiberin Erni Schippers – noch – als
Geheimtipp gehandelt wird.
31 May 2020
## AUTOREN
Pia Stendera
## TAGS
Mecklenburgische Seenplatte
Reisen
Camping
Schwerpunkt Coronavirus
Gedicht
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