Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Radio für barrierefreie Köpfe: Schneller als ARD und ZDF
> Menschen mit und ohne Behinderung berichten für „Radio for Health“ von
> den Paralympics. Auch nach den Spielen bleiben sie dem Behindertensport
> treu.
Bild: Auch aktive Sportler berichten für R4H von den Paralympics.
Ein professionelles Radiostudio sieht anders aus. Zimmer 5.05.750 im
fünften Stock des RBB-Fernsehhauses in Berlin-Charlottenburg ist ein karger
Raum mit weißen Schreibtischen und weißen Schränken vor weißen Wänden, ohne
viel Technik, ohne Sprecherkabine.
Christoph Wiatre sitzt hier zwischen Mikrofonen und Mischpult und klickt
sich durch seinen Laptop. In einer Zwei-Mann-Redaktion leiht Wiatre den
Paralympischen Spielen seine Stimme. „Radio für wirklich alle“ will er
machen.
Der Lübecker ist Redakteur und Moderator bei dem Online-Radiosender Radio
for Health, kurz R4H. Dem „Radio für barrierefreie Köpfe“, wie sich das
Projekt getauft hat, bei dem Behinderte und Nichtbehinderte (wie Wiatre)
gemeinsam Radio machen.
Während der Paralympischen Spiele produziert R4H ein Sonderprogramm aus
Berlin, wo der öffentlich-rechtliche RBB kollegial bei der kurzfristigen
Suche nach einem Büro aushalf, und dem niedersächsischen Schwaförden:
Täglich entstehen das zweistündige Magazin „ParaReport“ mit Interviews,
Porträts und Reportagen und die nächtlichen „ParaNews“, in denen um 23.00
Uhr die Ergebnisse des Tages vermeldet werden.
„Wir sehen die Athleten nicht als Behinderte mit riesigem Handicap an,
sondern als Sportler“, erklärt Projektkoordinator Marko Emmrich. „Aber wenn
sich ein Sportler zu seiner Benachteiligung äußert, berichten wir natürlich
auch darüber.“
Seit 2004 sendet R4H 24 Stunden Vollprogramm mit Schwerpunkt auf
Gesundheitsthemen und Behindertensport. Ein sehbehinderter Angestellter des
integrativen Vereins Health Media hatte sich beschwert, dass die
schriftlichen Inhalte des Vereinsportals für Blinde wertlos seien. Der
Verein sah das ein und entwickelte den von Ehrenamtlichen getragenen
Sender. Im kommenden Jahr soll nun auch damit begonnen werden, die Beiträge
für taubstumme Menschen mit Hilfe von Gebärdendolmetschern aufzubereiten
und als Videos online zu stellen.
## Gelebte Inklusion
In Athen vor acht Jahren war R4H als erstes deutsches Internetradio für die
Paralympics akkreditiert, seitdem gehören die Spiele alle zwei Jahre zum
Programm. Die Besetzung des Teams soll gelebte Inklusion symbolisieren:
Neben erfahrenen Journalisten wie dem von Sat.1 und Sport1 bekannten
Moderator Jochen Sattler und journalistischen Laien sind auch Reporter mit
Behinderung im Einsatz.
Die Hälfte des sechsköpfigen Teams vor Ort besteht aus aktiven
Parasportlern, darunter der Rollstuhltänzer Heiko Gosemann, der bei den
Spielen in Athen 2004 noch als aktiver Tischtennisspieler teilnahm. „Die
Kontakte sind natürlich unschlagbar“, sagt Marko Emmrich. Es sei schon an
den ersten Tagen vorgekommen, dass R4H O-Töne bereits vor den „Großen“
gehabt hätte.
Die „Großen“, ARD und ZDF, senden insgesamt 65 Stunden aus London, mehr als
doppelt so viel wie vor vier Jahren. „Das ist grundsätzlich positiv“, sagt
Emmrich, aber gerechnet auf zwei Jahre, die immer zwischen Sommer- und
Winterspielen liegen, sei das nicht viel. Außerhalb der Großereignisse wird
Behindertensport im Rundfunk nach wie vor konsequent ignoriert. Woran sich
in naher Zukunft wohl auch nichts ändern wird.
R4H will deshalb eine Alternative zum Mainstream anbieten. Nur weil sich
das gesamte Team mit einer kleinen Aufwandsentschädigung zufriedengibt,
konnte das Projekt verwirklicht werden. Über 20.000 Euro stellten
Trägerverein und Sponsoren für die technische Umsetzung der
Berichterstattung bereit, die trotz aller Bemühungen auf Amateurniveau
bleibt.
Eine Livesendung war nicht zu verwirklichen. Über den Tag liefert das Team
(mit aus Kostengründen auf das Deutsche Haus beschränkter Akkreditierung)
die Beiträge aus London, die Sendung wird dann in Deutschland am späten
Abend vorproduziert. „Vor Mitternacht komme ich hier deswegen in der Regel
nicht raus“, sagt Moderator Christoph Wiatre und räkelt sich in seinem
Schreibtischstuhl. „Das ist ein Full-Time-Job.“
6 Sep 2012
## AUTOREN
Jannis Carmesin
## TAGS
Bundestag
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Leichte Sprache im Bundestag: „Ein großes Haus in Berlin“
Für Menschen mit Behinderungen ist Politik häufig schwer zu verstehen.
Deshalb gibt es nun die Bundestags-Website in leichter Sprache.
Film „Berg Fidel: Eine Schule für alle“: Eine Schule des Schauens
Hella Wenders hat einen Film über die inklusive Schule Berg Fidel in
Münster gedreht. Er kommt ohne Kommentar aus – und verrät viel über Schule
als solche.
Indien bei den Paralympics: Rütteln am Riesen
Hochspringer Girisha Hosanagara hat Silber für das winzige indische Team
gewonnen. Sein Satz soll den Parasport in seiner Heimat endlich zum Leben
erwecken.
Blindenfußball bei den Paralympics: Bloß nicht zu viel jubeln!
Beim Torball, dem Fußball für Blinde, muss es in der Halle leise sein,
damit die Spieler den Ball hören können. Das ist gar nicht so leicht, wenn
viel los ist.
Diskussion bei Paralympics über Regeln: Der Partner als Bremse
Die blinde Italienerin Annalisa Minetti läuft mit ihrem Begleiter einen
Weltrekord – und gewinnt trotzdem nur Bronze.
Paralympics-Leichtathlet über Prothesen: „Ich kann da nicht mithalten“
Der deutsche Paralympics-Sprinter und -Springer Woitek Czyz über die
mangelhafte Klassifizierung der Athleten, Chancengleichheit und Prothesen.
Kommentar Paralympics: Die Spiele sind für alle da
Paralympics und Olympia sollten gleichzeitig stattfinden. Dass zwei
Behinderte bei Olympia waren, ist ein Anfang, meint ein Mitglied des
Behindertenbeirates Berlin-Kreuzberg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.