# taz.de -- Bergarbeiterstreik in Südafrika: Friedensschluss ohne Frieden | |
> Die Streikenden in Südafrika harren vor der Mine in Marikana aus, während | |
> Regierung und Gewerkschaft verhandeln. Ihre Stimme ist nicht erwünscht. | |
Bild: Die Berarbeiter gehen im Tanzschritt voran. „Wir starben wegen Jacob Zu… | |
MARIKANA taz | Kaum kommen die Hubschrauber näher, gehen Tausende in die | |
Hocke. Die streikenden Bergleute verharren in dieser Haltung auf der | |
Zufahrtstraße und in den Feldern rund um den Schacht, bis die beiden | |
Helikopter weiterziehen. Wie auf Kommando erheben sich die Kumpel und | |
marschieren, ihre Zweige und Stöcke schwingend, auf die von der Polizei | |
errichteten Barrikaden vor dem Werkseingang der Mine zu. | |
Dann dröhnen wieder Polizeihubschrauber. Erneut gehen die Männer in die | |
Knie, das haben sie vor dem Marsch mit ihren Anführern ausgemacht. Damit es | |
nicht noch mal zu einem Blutvergießen kommt. Aus gepanzerten | |
Polizeifahrzeugen – wegen ihres Aussehens Nyala (Nilpferd) genannt – ragen | |
die Köpfe von Polizisten in Kampfausrüstung. | |
Anspannung liegt in der eiskalten Winterluft. Es ist der größte | |
Protestmarsch der streikenden Minenarbeiter seit den tödlichen Schüssen auf | |
34 ihrer Kumpel vor zwei Wochen. Die Männer gehen im Tanzschritt voran. Sie | |
singen „Wir starben wegen Jacob Zuma“. Südafrikas Präsident ist nicht | |
beliebt bei ihnen, der sich nicht um ihre Lebensbedingungen kümmere. Und | |
sie beschuldigen die mächtige Gewerkschaft NUM (National Union of | |
Mineworkers), mit der Regierung zu paktieren. | |
Einige Kumpel tragen Pappkartons, auf denen sie 12.500 Rand (1.250 Euro) | |
Lohn fordern. Dem Firmenboss wollen sie klarmachen, dass die Streikbrecher | |
– die genaue Zahl ist unklar – nicht arbeiten dürfen, solange es kein | |
klares Verhandlungsergebnis gibt. Die zuständige Handelskammer stellte sich | |
hinter das weltweit drittgrößte Platinunternehmen Lonmin: „Die streikenden | |
Arbeiter fordern praktisch ihren derzeitigen Lohn als Nettogehalt, das | |
würde für Lonmin Zahlungen von rund 20.000 Rand pro Kopf bedeuten. Das ist | |
nicht machbar“, erklärte Vusi Mabena, Sprecher der südafrikanischen Chamber | |
of Mines. | |
## „Gewalt löst das Problem nicht“ | |
Die demonstrierenden Bergleute – um die 3.000 sind es an diesem Mittwoch – | |
versuchen, die Polizeibarrikaden zu durchstoßen. Dem Werksmanager Jan | |
Thirion drohen sie, das Werk niederzubrennen, wenn er den Schacht nicht | |
schließe. Thirion schickt sie „zurück an den Verhandlungstisch. Gewalt löst | |
das Problem nicht.“ | |
Die Bergleute tanzen, in Decken gehüllt, mit ihren traditionellen Stöcken, | |
vor den Polizeibarrikaden. Manche halten Fotografien ihrer toten | |
Angehörigen hoch, die vor zwei Wochen im Kugelhagel der Polizei starben. | |
Bischof Paul Verryn, in schwarzem Anzug mit pinkfarbenem Kirchenhemd, eilt | |
auf die Menge zu. Er hat die Werksleitung zum Gespräch mit den Bergleuten | |
aufgefordert, er vermittelt. | |
„Wenn wir den Reichtum nicht gerechter verteilen, haben wir eine düstere | |
Zukunft“, begründet der Bischof sein Engagement. In seiner | |
Methodistenkirche in Johannesburg beherbergt er seit Jahren Tausende | |
illegale Simbabwer, die in Südafrika Zuflucht suchen. Die Menge marschiert | |
zu den runden Felsen nahe der Townships Nkaneng und Wonderkop. Es ist die | |
Stelle, an der ihre Freunde und Nachbarn am 16. August von der Polizei | |
erschossen worden sind. | |
Inzwischen werden die Anschuldigungen immer lauter, dass die Polizei die | |
meisten Streikenden gar nicht in einer frontalen Schießerei getötet habe, | |
sondern aus nächster Nähe hinter diesen Felsen, abseits der Fernsehkameras. | |
Der Fotograf Greg Marinovich hat mit Wissenschaftlern der Universität | |
Johannesburg tagelang den Tatort untersucht. | |
## Kaltblütig ermordet | |
Nach Augenschein und Aussagen überlebender Streikender seien die meisten | |
kaltblütig ermordet worden, als sie nach dem Kugelhagel der Polizei | |
auseinanderliefen und sich am Felsen nahe des Townships Wonderkop versteckt | |
hätten, behauptet Marinovich. Die Regierung hat eine Untersuchung | |
eingeleitet, die Ergebnisse werden erst in vier Monaten vorliegen. | |
Die Wellblechhütten der Townships Nkaneng und Wonderkop ziehen sich wie ein | |
Meer kleiner, oft rostiger Würfel am Fuße des Hügels entlang. Manche sind | |
bunt angestrichen, Stacheldraht trennt die Hütten voneinander. Der Glanz | |
nagelneuen Wellblechs hebt sich gegen den grauen Himmel ab. Primrose Sonti | |
taucht aus dem Dunkeln der großen Hütte mit einer roten Pudelmütze auf. Die | |
51-Jährige leitet hier das Sanco-Büro (South African National Civic | |
Organisation), die mit der Regierungspartei ANC zusammenarbeiten. | |
Während die Männer auf den Felsen Kraft für ihre Forderungen sammeln, | |
singen einige Frauen in der Hütte, lassen Dampf ab, denn sie sind auch | |
sauer auf Jacob Zuma: „Den wählen wir nicht wieder“, sagen sie. Ihre Männ… | |
und Söhne haben hart in der Mine gearbeitet, doch zum Leben reichte es | |
kaum. | |
Die Frauen überlegen, wie sie mit Näharbeiten Geld verdienen können. „Für | |
den Fall, dass unsere Männer mal nicht wiederkommen.“ Primrose will, wie | |
die meisten Frauen hier, dass von dem Reichtum der Bergwerke etwas an die | |
Arbeiter zurückfließt: „Wir müssen die Minen verstaatlichen.“ Der Frust … | |
groß. Primrose hofft darauf, dass ihr Sohn entlassen wird. Mehr als 100 | |
Bergleute befinden sich noch in Haft. | |
## Anklage nach dem Massaker | |
Die Staatsanwaltschaft hatte nach dem Massaker 270 Kumpel des Mordes | |
angeklagt, mit dem Vorwurf, sie hätten sich mit den angeblichen Tätern | |
solidarisiert und seien deswegen aufgrund eines „gemeinschaftlichen | |
Vorsatzes“ für den Tod ihrer Kollegen mitverantwortlich. Die Polizei hatte | |
behauptet, sie sei aus der Menge der Demonstranten heraus bedroht worden. | |
Außerdem waren zwei Polizisten während des Streiks von Arbeitern getötet | |
worden. Ein Aufschrei ging durch das Land, die absurden Anklagen wurden | |
fallengelassen. | |
Primroses Nachbar Thembiso Mayengesi hat Angst. Er ist gerade aus seiner | |
Heimatstadt Butterworth im armen Ostkap zurückgekommen. Dort hat er an der | |
Beerdigung seines Freundes teilgenommen, der bei dem Schusswechsel mit der | |
Polizei starb. Angeblich sei er von der Polizei weggeschleppt worden, sie | |
fanden ihn in der Leichenhalle wieder. Die Gerüchte, die Polizei habe | |
Kumpel misshandelt, ist auch bei den Mayengesis angekommen. | |
„Nyalas haben auch einige überfahren und ihnen das Gehirn zerquetscht“, | |
behauptet Thembiso. Er sitzt in seiner hellblauen Wellblechhütte und will | |
keinen Streik. Aber wenn er zur Arbeit gehen würde, könnten ihn die Kumpel | |
angreifen. „Ich verdiene nur 5.000 Rand netto, aber ich würde auch weniger | |
als die geforderten 12.500 Rand akzeptieren.“ Seine Frau Novuzumzi nimmt | |
ihre kleine Tochter aus dem Handtuch vom Rücken. | |
Die anderen fünf Kinder sind bei Verwandten in Butterworth. Der 45-jährige | |
Bergmann zahlt auch noch für seine vier Schwestern in der Heimat, ihm und | |
seiner Familie bleibt kaum etwas zum Leben übrig. In der kleinen | |
Einraumhütte steht ein Bett, Töpfe hängen geordnet an der Wand in einem | |
Regal, das mit Spitze dekoriert ist. Rote Plastikblumen ragen von der | |
Decke. Die Hütte bleibt auch an diesem trüben Tag dunkel – es gibt keinen | |
Strom. | |
## „Wir sind immer noch arm“ | |
Und ein Wasseranschluss kostet 90 Euro. Novuzumzi holt Wasser und trägt den | |
Eimer auf dem Kopf aus einem Gemeinschaftshahn in der Nachbarschaft. Sie | |
kocht mit Parafin. „Nichts hat sich seit Beginn der Demokratie geändert, | |
wir sind immer noch arm“, sagt sie. Es gibt Maisbrai, meistens Brot. Selten | |
mal ein Huhn. | |
Auf dem nahen „Hügel des Todes“ haben sich die Bergmänner jetzt versammelt | |
und beraten. Am Donnerstagmorgen erfahren sie, dass die Minen-Bosse mit | |
Vertretern der NUM-Gewerkschaft einen Friedensvertrag ausgehandelt haben. | |
Die meisten der Streikenden gehören jedoch der nicht anerkannten | |
Gewerkschaft AMCU an – und die war bei den Verhandlungen in der Nacht von | |
Mittwoch auf Donnerstag ausgeschlossen. | |
Ihre Unterschrift für den Friedensschluss, der jetzt die Lohndebatten | |
eröffnen soll, haben sie verweigert. Am Donnerstag setzen heftige | |
Regenfälle in Marikana ein. Die noch am Streik Beteiligten bleiben zu | |
Hause. Die meisten Familien gedenken der Toten, die am Donnerstag vor zwei | |
Wochen am Hügel starben. Laut Lonmin-Management seien die meisten | |
Streikenden an die Arbeit zurückkehrt. | |
Trotz des Unwetters hat sich Primrose mit dem Minibus auf den Weg zum | |
benachbarten Gericht in Ga-Rankuwa gemacht. Dort kann sie ihren Sohn in | |
Empfang nehmen, der zusammen mit weiteren 102 Bergarbeitern freigelassen | |
worden ist. | |
6 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Martina Schwikowski | |
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