# taz.de -- Justizwillkür in Südafrika: Mordopfer sind selber schuld | |
> Nach dem Polizeimassaker an den südafrikanischen Bergleuten werden jetzt | |
> nicht Polizisten des Mordes angeklagt, sondern die Überlebenden. | |
Bild: Am 16. August stürmen Polizisten den Hügel, auf dem sie zuvor 34 Bergar… | |
JOHANNESBURG taz | Die südafrikanischen Strafverfolgungsbehörden haben sich | |
mit einer dramatischen Entscheidung massive Kritik eingehandelt: 270 | |
Bergleute des seit Wochen bestreikten Lonmin-Platinwerks Marikana sind | |
jetzt wegen Mordes an ihren Kumpels angeklagt worden. | |
Sie sind die Überlebenden des Massakers, das die Polizei am 16. August | |
angerichtet hatte, als sie auf Demonstranten auf einem Hügel das Feuer | |
eröffnete und 34 von ihnen erschoss. Seitdem sitzen sie in Haft – nicht | |
aber die Polizisten, die geschossen hatten. | |
Zwar hat Südafrikas Regierung eine Untersuchung eingeleitet, die in vier | |
Monaten ein klares Ergebnis zum Tathergang in Marikana vorlegen soll. Aber | |
nun werden jetzt schon Anklagen erhoben – gegen die Bergarbeiter. Grundlage | |
ist ein Gesetz aus der Apartheidzeit, das damals häufig gegen schwarze | |
Freiheitsaktivisten angewandt wurde, sobald Demonstrationen gegen die | |
Apartheid in Gewalt umschlugen: Der Vorwurf lautet, sie hätten sich mit den | |
angeblichen Tätern in der Menge solidarisiert und seien demnach wegen eines | |
„gemeinschaftlichen Vorsatzes“ für deren Tod mitverantwortlich. Die Polizei | |
hat immer behauptet, sie sei aus der Menge der Demonstranten heraus bedroht | |
worden. | |
Nachdem schon das Massaker in ganz Südafrika Entsetzen erregte, ist das | |
Land jetzt erneut schockiert. Der Gewerkschaftsdachverband Cosatu, | |
Koalitionspartner der Regierungspartei ANC (Afrikanischer | |
Nationalkongress), ist fassungslos: „Das ist Wahnsinn. Absolut verrückt“, | |
sagte Cosatu-Generalsekretär Zwelinzima Vavi. Er fordert die Rücknahme der | |
Anklagen. „Die wahren Täter müssen gefunden werden, die für das | |
systematische Töten verantwortlich sind.“ | |
Der Schritt der Staatsanwaltschaft könnte, so wird jetzt befürchtet, zu | |
weiterer Gewalt führen. „Wir, die Linken, haben immer gesagt, dass wir auf | |
einer tickenden Zeitbombe sitzen, die explodiert, wenn wir eine Zeit lang | |
unser neues, luxuriöses Leben in Südafrika genießen und die Armen nichts | |
abbekommen“, sagte Vavi weiter. „Nun müssten bei den Gewerkschaften die | |
Alarmglocken schrillen“, meint Pierre de Vos, Rechtsexperte an der | |
Universität Kapstadt. „Wenn jetzt die soziale Spannung mit Mordanklagen | |
abgewürgt wird, steht die Glaubwürdigkeit der vom Präsidenten eingeleiteten | |
Untersuchungskommission infrage.“ | |
De Vos hält den Schritt der Anklagebehörde für verfassungswidrig. Die Menge | |
habe ja nicht mit der Polizei gemeinsame Sache gemacht, daher sei sie nicht | |
für deren Morde mitverantwortlich zu machen. „Das ist ein skandalöser | |
Missbrauch des Strafrechts.“ Es sei denn, das, was Südafrikaner in den | |
TV-Nachrichten sahen, habe nie stattgefunden. Auch wenn die Polizei | |
provoziert worden sei, könne man die Bergleute niemals für den Tod ihrer | |
Kumpels im Kugelhagel der Polizei verantwortlich machen. | |
Am Freitag fragte selbst Justizminister Jeff Radebe die Anklagebehörde, wie | |
sie zu ihrer Entscheidung gekommen sei. Sie habe zu Panik und Verwirrung in | |
der Öffentlichkeit geführt. Laut südafrikanischer Verfassung ist der | |
Justizminister in letzter Instanz für Entscheidungen der Anklagebehörde | |
verantwortlich. | |
31 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Martina Schwikowski | |
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