# taz.de -- Staatstrauer nach Polizeimassaker: Erst getötet, dann betrauert | |
> Nachdem 34 Streikende von der südafrikanischen Polizei erschossen wurden, | |
> steht der regierende ANC mehr denn je in der Kritik. Er ordnet | |
> Staatstrauer an. | |
Bild: Trauergottesdienst für die 34 Opfer des Polizeimassakers auf dem „Tode… | |
JOHANNESBURG taz | In Südafrika wehen die Flaggen auf Halbmast. Die | |
Regierung hat eine einwöchige Staatstrauer angeordnet, wegen des Massakers, | |
bei dem die Polizei am Donnerstag 34 protestierende Minenarbeiter des | |
Lonmin-Platinbergwerks in Marikana erschossen hatte. Doch die Auswirkungen | |
der Tragödie werden Südafrika noch länger beschäftigen. | |
Lonmin hat den 3000 streikenden Bergarbeitern ein Ultimatum gestellt. Am | |
Montag lief die Frist ab: Wer nicht zur Arbeit kommt, wird gefeuert. Am | |
Vormittag war erst ein Viertel der Belegschaft an ihre Arbeitsplätze | |
zurückgekehrt. Über dem Hügel Nkanini am Township, wo die Bergleute | |
erschossen worden waren, hing angespannte Stille bei starker | |
Polizeipräsenz. | |
In der verarmten Bergarbeitergemeinde stehen die Familien unter Schock. | |
Frauen suchen nach vermissten Ehemännern, die auf dem Hügel ihr Leben | |
ließen oder gar nicht auffindbar sind. Oder sie protestieren vor Gericht in | |
Ga-Rankuwa. Dort wird seit Montag 259 Kumpels wegen Tötung von | |
Sicherheitskräften und Kollegen bei den Auseinanderstetzungen letzte Woche | |
der Prozess gemacht. | |
Die meisten der Kumpels leben in Armenhütten und gehen morgens untertage, | |
um mit ihren gefährlichen Jobs in 40 Grad Hitze in der weltgrößten | |
Platinmine Südafrikas Reichtum zu fördern, von dem sie so gut wie nichts | |
abbekommen. Die am Donnerstag mit Macheten und Stöcken bewaffneten | |
Streikenden waren angeblich bereit, im Kampf für die von der unabhängigen, | |
radikalen Gewerkschaft AMCU versprochenen massiven Lohnerhöhungen in den | |
Tod zu gehen. Aber AMCU weiß angeblich nicht, woher diese Versprechungen | |
kamen. Und der etabliertere, staatstragende Konkurrent NUM behauptet, AMCU | |
hätte die Not der Armen mit falschen Versprechungen ausgebeutet. | |
Allerdings wird NUM als Mitglied des Gewerkschaftsdachverbandes Cosatu, | |
Teil der Regierungsallianz mit dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC), | |
auch heftig kritisiert. Viele Kumpels in Südafrika klagen, die NUM kümmere | |
sich nicht um den einfachen Mann im Schacht. Es gehe nicht mehr um die | |
Vertretung der Arbeiterinteressen, sondern der eigenen gut bezahlten Posten | |
und des Einflusses in der Regierung. | |
## Zumas Wiederwahl 2014 bedroht | |
Südafrikas Präsident Jacob Zuma hat eine Untersuchung eingeleitet, das Team | |
ist bereits vor Ort. Aber er ist in der Defensive. „Die Menschen werden | |
nicht länger darauf warten, dass der ANC soziale Verbesserungen bringt; sie | |
werden ungeduldiger und als Folge gewalttätiger“, sagt Analyst Mark | |
Rosenberg. Er sieht jetzt sogar Zumas Wiederwahl 2014 als „viel weniger | |
wahrscheinlich.“ | |
Professor Adam Habib von der Universität Johannesburg glaubt indes nicht an | |
dramatische Auswirkungen für Zuma: Es gäbe im ANC niemand anderes. Doch | |
Marikana sei trotzdem ein Einschnitt: „Unsere existentielle Krise ist | |
sichtbarer geworden. Wer sind wir und was werden wir? Darum geht es.“ Wie | |
könne es sein, das nach 18 Jahren ANC immer noch derart unsoziale | |
Bedingungen in den reichsten Bergwerken der Welt herrschen? | |
Der von der Regierungspartei gefeuerte frühere ANC-Jugendliga-Führer Julius | |
Malema nutzt die Situation. Er reiste nach Marikana und setzte sich am | |
„Hügel des Todes“ in Szene. Er forderte die Absetzung von Polizeiminister | |
Nathi Mthethwa und Präsident Jacob Zuma gleich dazu. Die Arbeiter seien von | |
ihrer Firma, von den Gewerkschaften und von den Politikern im Stich | |
gelassen worden, sagt er, und viele stimmen ihm zu. | |
Der einstige ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa, einst aus den Reihen der | |
Gewerkschaften als charismatischer Politiker hervorgegangen, ist heute | |
reicher Geschäftsmann und ist bei Lonmin über seine Unternehmsholding | |
Shanduka mit 18 Prozent bei je zwei Lonmin-Werken mit im Geschäft. | |
Ramaphosa hat zwei Millionen Rand für die Beerdigung der Toten | |
lockergemacht. Lonmin hat versprochen, ihren Kindern die Schulbildung zu | |
bezahlen. Malema spricht von politischem Ausverkauf. | |
20 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Martina Schwikowski | |
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