# taz.de -- Arbeitskampf in Südafrika: Toll: Ganze 9 Euro am Tag | |
> Nach Protesten erhalten Farmarbeiter eine Lohnerhöhung von 50 Prozent. | |
> Sie schuften weiter für den Weltmarkt. Denn trotz Lohnerhöhung droht | |
> Arbeitsplatzabbau. | |
Bild: In Südafrika leben etwa 650.000 Farmarbeiter | |
JOHANNESBURG taz |Nach monatelangen Unruhen in Südafrikas wichtigsten | |
Frucht- und Weinanbaugebieten hat sich Südafrikas Regierung den Forderungen | |
der streikenden Farmarbeiter gebeugt: Mit einer Lohnerhöhung von 50 Prozent | |
hat das Arbeitsministerium am Montag den täglichen Mindestlohn in der | |
Landwirtschaft landesweit von 70 auf 105 Rand angehoben. | |
Für knapp 9 Euro am Tag pflücken also ab März Arbeiter die Früchte und | |
Trauben der Kapregion für die Weinherstellung, größtenteils für den Export. | |
Sie hatten eigentlich eine Verdoppelung gefordert, auf 150 Rand. Seit | |
November 2012 hatte eine Serie von Streiks 16 Orte und Siedlungen am Kap | |
lahmgelegt. | |
Zunächst waren die Farmarbeiter als friedliche Demonstranten in De Doorns | |
auf die Straßen gezogen und hatten gegen Niedriglöhne und schlechte | |
Lebensbedingungen auf den Farmgrundstücken ihrer Bosse demonstriert. De | |
Doorns ist ein Produktionszentrum für Weintrauben, Farmer haben dort etwa | |
8.000 Saisonarbeiter und 8.000 Arbeiter in Festanstellung. Der Streik | |
weitete sich schnell auf umliegende Farmen aus. Arbeiter randalierten, | |
verbarrikadierten Straßen und setzen Autos in Brand. Die Polizei lieferte | |
sich blutige Straßenkämpfe mit den Demonstranten. Dabei starben drei | |
Menschen. | |
Im Dezember versprach die Regierung, die Löhne zu überprüfen, und die | |
Streiks wurden zeitweilig beendet. Sie flammten jedoch im Januar wieder | |
auf, als das Ergebnis der Verhandlungen auf sich warten ließ. | |
## Geringer Organisationsgrad und kaum Rechte | |
Die meisten Farmarbeiter Südafrikas sind nicht gewerkschaftlich | |
organisiert. Das Landwirtschaftsministerium schätzt die Zahl der | |
Farmarbeiter am Kap auf über 200.000. Davon seien nur 5 Prozent Mitglieder | |
einer Gewerkschaft, sagt Tony Ehrenreich, Cosatu-Sekretär der | |
Westkap-Provinz. | |
In ganz Südafrika gibt es nach Angaben des Farmerverbandes Agri SA 650.000 | |
Farmarbeiter. Sie sind häufig ungebildet und sind der Gefahr der | |
Vertreibung vom Land des Besitzers ausgesetzt, auch wenn sie dort seit | |
Generationen leben. Sie haben wenig verankerte Rechte. Obwohl die während | |
der Apartheid noch gängige Bezahlung in Alkohol weitgehend abgeschafft | |
worden ist, besitzt die Westkap-Provinz die weltweit höchsten Raten des | |
Fetalen Alkoholsyndroms. Das ist eine Erkrankung des Embryos, wenn eine | |
Frau während ihrer Schwangerschaft zu viel trinkt. | |
Die neue Bereitschaft der Farmarbeiter zu gewaltsamen Streiks bringt ihre | |
Unzufriedenheit über die soziale Ungleichheit in Südafrika zum Ausdruck. | |
Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander, auch nach 18 | |
Jahren demokratischer Regierung. Die Frucht- und Weinindustrie bringt dem | |
Land Einnahmen von einer Milliarde Euro pro Jahr, aber die Traubenpflücker | |
arbeiteten unter dem Mindestlohn für den Export der Äpfel und Weine nach | |
Europa. | |
## Farmerverband kündigt Entlassungen an | |
Tiefsitzenden Ärger über die Ungleichheit in Südafrika machten bereits über | |
Wochen im Vorjahr Bergarbeiter in gewaltsamen Streiks und teils blutig | |
niedergeschlagenen Protesten deutlich. Südafrikas mächtige | |
Bergbaugesellschaften fuhren riesige Verluste ein, weil Tausende Kumpels | |
über Wochen nicht zur Arbeit erschienen und mehr Lohn forderten. | |
Platinförderer, bereits von Preisschwankungen und Absatzschwierigkeiten | |
angeschlagen, sahen sich unter Druck und reagierten erst nach Wochen mit | |
Lohnerhöhungen. Ähnlich lief es in der Gold- und Kohleindustrie. Und die | |
Krise im Bergbau ist nicht vorbei: Der weltgrößte Platinförderer Amplats | |
(Anglo American Platinum) hat Verluste von 6,3 Milliarden Rand (600 | |
Millionen Euro) im vergangenen Jahr gemeldet und droht jetzt, 14.000 | |
Arbeiter zu entlassen. Noch hoffen die Gewerkschaften, die Arbeitsplätze | |
durch Verhandlungen retten zu können. | |
Auch die Lohnanhebungen im Farmsektor könnten zu Arbeitsplatzverlusten | |
führen. „Jetzt wird die Erhöhung der Arbeitskosten dazu führen, dass wir | |
den Überhang an Arbeitern auf Farmen abbauen“, sagte Carl Opperman von Agri | |
SA am Westkap. | |
5 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Martina Schwikowski | |
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