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# taz.de -- Filmfest San Sebastián: Nur nicht unterkriegen lassen
> Das spanische Kino trotzt beim Internationalen Filmfest in San Sebastián
> der Krise. Die heimischen Filme erzählen vom Überleben im Alltag.
Bild: Eine Frau, die zur Stierkämpferin wird. Standfotos aus Pablo Bergers Sc…
Es ist eines der ältesten Filmfestivals der Welt. In diesem Jahr feierte
das Festival in San Sebastián, das am Samstag zu Ende ging, seinen 60.
Geburtstag – inmitten der größten Krise, die Spanien seit dem Ende der
Franco-Diktatur erlebt hat. Sie hat längst Auswirkungen auf die
Filmbranche.
Die Subventionen wurden um 35 Prozent gekürzt, 49 Millionen Euro insgesamt.
Die Filmproduktion ist um zwei Drittel gegenüber 2011 eingebrochen, gerade
wurde die Mehrwertsteuer für Kulturveranstaltungen von acht auf 21 Prozent
erhöht. Rund 800 Kinos sind landesweit von Schließung bedroht.
Denkbar schlechte Voraussetzungen also, doch das im zweiten Jahr von José
Luis Rebordinos geleitete Filmfest an der baskischen Atlantikküste trotzte
ihnen ebenso wie dem mitten im Festivalbetrieb angesetzten Generalstreik im
Baskenland. Die Kinosäle waren trotz höherer Eintrittspreise gut gefüllt,
viele Vorstellungen waren ausverkauft. Auch bei den Retros zur neuen
amerikanischen Komödie und den Werken von George Franju bildeten sich lange
Schlangen.
Zudem wurde der runde Geburtstag mit großem Staraufgebot gefeiert, und der
Ehrenpreis, der Donostia Award, nicht einmal, sondern gleich fünfmal
vergeben, allesamt an Briten und US-Amerikaner. Kosten mussten aber auch da
gesenkt werden, und so erhielten diesmal nur Stars wie Dustin Hoffman oder
John Travolta Ehrungen, die gleichzeitig einen neuen Film zu bewerben
hatten. So konnte man sich den finanziellen Aufwand mit der jeweiligen
spanischen Verleihfirma teilen.
## Überzeugendes Programm
Das Nachsehen hatte die internationale Presse, die bei Interviews meist
außen vor blieb. Wer zahlt, schafft an. Das Festival macht sich so
gefährlich abhängig von wirtschaftlichen Interessen.
Dagegen überzeugte das Programm. Zwar erwiesen sich die internationalen
Produktionen, die sich explizit mit der Finanzkrise auseinandersetzten, wie
das US-Drama „Arbitrage“ mit Richard Gere als Spekulant oder Costa-Gavras’
Finanzfarce „Le Capitale“ als eher unterkomplex.
Wo sie nichts wirklich Neues zum Thema beizutragen hatten, zeigten sich vor
allem die heimischen Produktionen als interessant. Das erkannte auch die
unabhängige Wettbewerbsjury unter dem Vorsitz der amerikanischen
Independentproduzentin Christine Vachon und prämierte am Ende gleich eine
ganze Reihe spanischer Beiträge. Herausragend war gleich zu Beginn Pablo
Bergers „Blancanieves“, eine Schneewittchen-Variante in Andalusien, in
brillantem Schwarz-Weiß und ohne Dialog. Was nach einer dreisten Kopie von
„The Artist“ klingt, hat eine mehr als achtjährige Entstehungsgeschichte.
Anhand des Brüder-Grimm-Märchens erzählt er eine urspanische Geschichte von
einem Mädchen, das nach dem Tod der Mutter unter der Fuchtel der neuen Frau
des Vaters steht, einem ehemaligen Torero, der sich nach einem schweren
Unfall zurückgezogen hat. Als junge Frau gelingt ihr die Flucht. Sie
schließt sich einer stierkämpfenden Truppe von Kleinwüchsigen an, mit deren
Hilfe sie schließlich in die Fußstapfen ihres Vaters tritt und als
gefeierte Stierkämpferin reüssiert.
## Oscar-Rennen
Auch wenn die Idee zum Film lange vor der Krise entstand, wurde diese
Verquickung von deutschem Märchen mit spanischen Mythen und
Freaks-Referenzen doch als Hymne auf Underdogs und Außenseiter, als Feier
des Nichtunterkriegenlassens verstanden.
Der Film erhielt den Preis der Jury, Hauptdarstellerin Macarena García
wurde als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Bereits ein paar Tage zuvor
hatte die spanische Filmakademie beschlossen, „Blancanieves“ ins
Oscar-Rennen für den besten fremdsprachigen Film zu schicken.
Ebenso berührend und euphorisierend erzählte die Dokumentation „Los
increíbles“ von David Valero in der Sektion Nueves Directores vom
Überlebenskampf. Die Protagonisten in seinem Debüt sind ganz reale
Superheroes, die er „Incredibles“ nennt. Er beobachtet drei Alltagshelden,
die – schwer vom Leben gezeichnet – einfach nicht aufgeben und damit auch
ein Bild der spanischen Gesellschaft zeichnen.
Die Iron Lady ist eine 95-Jährige, die schon den Bürgerkrieg und den Tod
ihres Ehemanns und ihrer zwei Kinder überlebt hat. Sie lebt jeden Tag, als
wäre es ihr letzter.
Zu ihr gesellen sich Radioactive Woman, eine 30-jährige Mutter von zwei
Kindern, die plötzlich mit einer Krebsdiagnose konfrontiert ist, und Broken
Wing, ein Mann, dessen rechter Arm nach einem Motorradunfall gelähmt ist
und der deshalb Frau und Arbeit verloren hat. Valero begleitet ihn auf
seiner Suche nach einer neuen Liebe, ganz abseits von jedem Sozialkitsch.
## Schwarzhumoriger Roadmovie über einen sterbenden Killer
Sehr viel sperriger ist der zweite spanische Wettbewerbsbeitrag „El muerto
y ser feliz“ (Der Tote und das Glücklichsein) von Javier Rebollo, einem
schwarzhumorigen Roadmovie über einen sterbenden Killer, der am Ende doch
noch so etwas wie Glück findet. Nach der Vorführung steht Luis Miñarro, der
Produzent des Films, vor dem altehrwürdigen Kino Principale.
Vor einem Jahr hatte er im taz-Interview beschrieben, wie schwierig es
geworden ist, in Spanien Filme zu realisieren, zumal wenn sie derart gegen
den Mainstream gebürstet sind wie seine. Rebollos Film ist bereits im
vergangenen Jahr entstanden, seit Januar hat Miñarro erst einen Film
produziert, „mit einem Mikrobudget“.
Seine Firma Eddie Saeta, die ihre Filmprojekte bislang durch Werbeclips
querfinanziert hat, musste er von fünf auf drei Mitarbeiter schrumpfen,
auch das Werbegeschäft läuft schlecht. „Ganz ehrlich, ich weiß nicht wie es
weitergehen soll“, sagt er.
Eine Überlebensstrategie für viele der spanischen Filmemacher sind
internationale Koproduktionen. Der Blick über den eigenen Tellerrand
erweist sich dabei oft nicht nur finanziell, sondern auch thematisch als
reizvoll. Neben dem bereits erwähnten „El muerto y ser feliz“, der in
Argentinien gedreht wurde, spielen erstaunlich viele spanische Filme
außerhalb der iberischen Halbinsel.
Juan Antonio Bayonas Tsunami-Thriller „The Impossible“ mit Ewan McGregor
und Naomi Watts ist in Thailand angesiedelt, Fernando Truebas mit dem
Regiepreis ausgezeichnetes Drama „El artista y la modelo“ im nazibesetzten
Frankreich.
Miguel Ángel Jiménez’ „Chaika“, eine wilde Liebesgeschichte zwischen ei…
Hure und einem Seemann, verschlägt es gar ins winterliche Sibirien. Auch
Rebollo plant seinen nächsten Film im Ausland. Er will Andersons Märchen
vom kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzern als sozialkritisches Musical in
Madrid, Berlin und Paris drehen. Noch aber ist die Finanzierung nicht
gesichert.
## Das Europäisch-Lateinamerikanische Koproduktionsforum
Die wichtigste Innovation in José Luis Rebordinos’ zweitem Amtsjahr ist
deshalb das Europäisch-Lateinamerikanische Koproduktionsforum, das in
diesem Jahr 17 Projekte eingeladen und deren Produktionsfirmen erfolgreich
mit Weltvertrieben zusammenbrachte. „Auch wenn es für das reguläre
Festivalpublikum nicht ersichtlich ist, wird das Koproduktionsforum die
Zukunft des Festivals sein“, betont Rebordinos.
Am Ende ging der Hauptpreis des Wettbewerbs, die Goldene Muschel, an
François Ozons hinterhältig-komisches Lehrstück „Dans la Maison“. Aber a…
diese französische Produktion über eine Lehrer-Schüler-Beziehung ist ein
heimlicher spanischer Gewinner. Der Film basiert auf dem erfolgreichen
Theaterstück „El chico de la última fila“ (Der Junge aus der letzten Reih…
des Madrider Autors Juan Mayorga.
3 Oct 2012
## AUTOREN
Thomas Abeltshauser
## TAGS
Filmfestival
Film
Leipzig
Dokumentation
Krise
Reiseland Spanien
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