# taz.de -- Dokumentation „Francos Siedler“: In der Hochebene des Führers | |
> Das Dorf Llanos del Caudillo oder zu Deutsch: „Die Hochebene des | |
> Führers.“ Eine Dokumentation zeigt das löchrige historische Gedächtnis | |
> Spaniens. | |
Bild: Viele Spanier denken, Franco sei ein Mann des Friedens gewesen. | |
Spanien? Da denkt jeder an die Krise. Oder an den Urlaub. Vielleicht noch | |
an die Hipster, die nachts in Neukölln von den Fahrrädern fallen. Aber | |
„Vergangenheitsbewältigung“ ist in der Assoziationskette zu Spanien so weit | |
weg wie das Stichwort lang ist. Noch. Denn nach dem Film „Francos Siedler“ | |
scheint sie plötzlich dringend nötig. | |
Huldvoll winkt er aus der Loge über die Balustrade hinunter zum Volk. „Er“ | |
ist Felipe González, ehemaliger Ministerpräsident Spaniens und Geladener | |
der Diskussionsrunde mit dem Titel Schatten der Vergangenheit, die am | |
Sonntagmittag im Kino Babylon Berlin stattfindet. „Das Volk“ ist in diesem | |
Fall eine Kombination aus gut geschminkten Kulturtanten, einigen | |
Sloterdijk-Imitaten und vielen Kunst- und Politikstudenten. | |
Sie sind gekommen, um die Dokumentation „Francos Siedler“ von Lucía | |
Palacios und Dietmar Post zu sehen, danach sollen die Podiumsgäste die | |
aktuelle Situation Spaniens und seinen Umgang mit der politischen | |
Vergangenheit diskutieren. Einen Eindruck von ebendiesem Umgang oder | |
Nicht-Umgang mit dem Erbe der frankistischen Diktatur vermittelt auch die | |
Dokumentation. | |
„Das Thema ist den Deutschen zu weit weg und den Spaniern zu nah“, erklärt | |
der Regisseur. Es ist kein Popcornfilm. Das Ehepaar Post-Palacios | |
porträtiert Bewohner des Dorfes Llanos del Caudillo, zu deutsch: „Hochebene | |
des Führers.“ Das Dorf heißt wirklich so. In Deutschland wäre ein | |
Adolfsburg oder ein Hitlershausen unvorstellbar, sogar Stalingrad heißt | |
schon seit 50 Jahren Wolgograd. | |
## Der „Nachnamen“ des Dorfes | |
In Llanos del Caudillo stört sich niemand am Namen der Siedlung. Fast | |
niemand. Der Bürgermeister würde den „Nachnamen“ des Dorfes gern entferne… | |
Schließlich ehrt der Name einen Mann, der in etwa 300 künstlichen, streng | |
überwachten Siedlungen einen „neuen faschistischen Menschen“ heranziehen | |
wollte. Nach fast vierzig Jahren illegitimer Regierung ist Franco 1975 | |
gestorben, das Dorf ehrt ihn mit seinem Namen noch immer. | |
Ändern kommt nicht infrage. Einer der Siedler hätte es sogar gern gesehen, | |
wenn der Führer 100 Jahre länger gelebt hätte. Und der Metzger ist Franco | |
„dankbar für das, was er für mein Dorf getan hat“. Die Kamera schwenkt auf | |
einen Schinken. Dass führertreues Substrat bis heute nicht nur in den | |
Dörfern übrig ist, zeigt auch das Zitat von Fernando Suárez, einem | |
Politiker des aktuell regierenden Partido Popular (PP). | |
Harald Jung, langjähriger Spanienkorrespondent des ZDF, liest die Worte | |
vor, mit denen Suárez seine Abwesenheit an der Debatte entschuldigt: Die | |
Organisatoren bezeichneten Franco als Usurpator und seine Machtübernahme | |
als Putsch, so etwas könne er nicht unterstützen. „Nach einer solchen | |
Aussage könnte hier kein Politiker noch mit Stimmen rechnen“, kommentiert | |
Felipe González gerahmt von mattblauem babylonischen Samt. | |
Unter den Politikern gebe es noch viele, die die Illegalität der | |
frankistischen Regierung nicht anerkennen wollen. Seine Gesprächspartner | |
nicken. Einer von den Nickenden ist Emilio Silva, der Mann, der die Spanier | |
davon überzeugen konnte, die Massengräber des Bürgerkriegs zu öffnen. „Ab… | |
bis Spanien seine Geschichte wirklich verstanden hat, bleibt noch viel | |
Arbeit.“ Der Generalstaatsanwalt Carlos Castresana konkretisiert diese | |
Arbeit und fordert juristische Gerechtigkeit, einen finanziellen Ausgleich | |
und „die Wahrheit“ für die Opfer des Frankismus. | |
## Der Anus des Führers | |
Unter Pinochet sind etwa 3.000 Menschen verschwunden, unter Franco waren es | |
mindestens 115.000. „Und da denken 50 Prozent der Spanier immer noch, | |
Franco sei ein Mann des Friedens gewesen“, sagt Castresana. In Sachen | |
historisches Gedächtnis sind sich die Gesprächspartner also einig. Auch | |
wenn das Erinnern vielleicht nicht über ein Gesetz geregelt werden könne, | |
meint González. Es sei eine Mode, alles und jedes ständig zu besprechen, | |
oft ohne Rücksicht auf die eigene Urteilsfähigkeit. | |
„Auch mit Wahlen kann man nicht jedes Problem lösen“, den Namen von Llanos | |
del Caudillo hätte man einfach ändern sollen. Soviel Autorität – wie das | |
wohl die Dorfbewohner sehen? Das Wählen gefällt ihnen nämlich, regelmäßig | |
entscheiden sie sich für die Sozialisten. Das mit dem „neuen faschistischen | |
Menschen“ hat also doch nicht geklappt. Am Ortsschild hat übrigens jemand | |
einige Buchstaben aus dem Schriftzug Llanos del Caudillo so entfernt, dass | |
dort nur noch „ano del Caudillo“ steht. Anus des Führers. | |
29 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Catarina von Wedemeyer | |
## TAGS | |
Dokumentation | |
Spanien | |
Nazis | |
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