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# taz.de -- Hommage an Filmemacher Herzog: „Was ich bin, sind meine Filme“
> Lange war er der verlorene Sohn der deutschen Filmszene. Doch in diesen
> Tagen gibt es zahlreiche Veranstaltungen über und mit Werner Herzog.
Bild: Sieht sich selbst als Soldat des Kinos: Werner Herzog.
„Um eins von vornherein klarzustellen“, sagt Werner Herzog dem inhaftierten
James Barnes zu Beginn des Gesprächs direkt ins Gesicht, „ich halte ihren
Kampf um Gerechtigkeit sicher für gerechtfertigt. Doch das heißt nicht,
dass ich Sie auch mögen muss.“ Barnes zuckt kaum mit der Wimper, versteht
umgehend, woran er ist, dass er hier nicht im Mittelpunkt einer
Empathieshow steht: „Klar“, sagt er. Kurz und bündig.
Wie viele andere Figuren aus dem umfangreichen dokumentarischen und
fiktionalen Oeuvre des (nach Selbstverständnis) nicht deutschen, sondern
bayerischen Regisseurs wirkt auch Barnes fahrig, im Wesen unergründlich,
als würde in ihm ein Wille rumoren, der ihm nicht nur seine Zelle, sondern
die ganze Welt zu klein werden lässt.
Doch gibt es Unterschiede. Weder will Barnes Weltmeister im Skispringen
werden – wie der Schweizer Walter Steiner, den Herzog in den frühen 70er
Jahren gebannt dabei beobachtete, wie er die Grenzen seines Sports bis an
die Grenzen zum Lebensgefährlichen auslotete. Noch will er, wie Klaus
Kinski in Herzogs bekanntestem Film „Fitzcarraldo“, im Dschungel einen
Raddampfer über einen Berg ziehen oder zwei Achttausender hintereinander
weg bezwingen, wie Reinhold Messner in „Gasherbrum“.
Barnes treibt es nicht, wie andere Herzog-Figuren, unter dem Einfluss der
Herzogs Filmpoesie inhärenten Zentrifugalkraft an die Ränder der eigenen
Welt. Am Rand ist er längst gestrandet: Wegen Mordes verurteilt, harrt er
im Todestrakt der US-amerikanischen Strafvollzugsbehörden seiner
Hinrichtung. Wohl auch, um diese hinauszuzögern, rückt Barnes mit neuen
Geständnissen heraus, deren Wahrheitsgehalt von den Justizbehörden
überprüft werden muss: Salamitaktik, um das Ziel aufzuschieben. Die
Begegnung mit Barnes stammt aus „Death Row“, Herzogs großartiger
vierteiliger Fernsehreihe, für die der Filmemacher unter starken Auflagen –
die Behörden wünschen keinen Celebrity-Kult – das Gespräch mit vier
Todeszelleninsassen gesucht hat.
## Dokumentarfilmreihe
Am Sonntag, den 21.10.2012 eröffnet eine Schau von Herzogs neueren
Dokumentarfilmen im Berliner Kino Arsenal, bereits am 19.10.2012 lädt,
ebenfalls in Berlin, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zum ersten von
zwei improvisierten Theaterabenden, an denen Herzog unter Begleitung seines
Stamm-Filmmusikers Ernst Reijseger aus „Eroberung des Nutzlosen“, seinen
fiebrigen Tagebuchnotizen zu den strapaziösen Dreharbeiten zu
„Fitzcarraldo“ liest.
Kurz: Es herrschen Werner-Herzog-Festspiele, regster Betrieb. Zu den
Kulturveranstaltungen gesellt sich eine filmwissenschaftliche Tagung im
Filmmuseum am 26. Oktober, zwei Tage darauf wiederholt das Kreuzberger
Eiszeit-Kino Beate Beckers materialreiches Feature, das Anfang September zu
Herzogs 70. Geburtstag im Deutschlandradio lief. Im Vorfeld warteten
landauf, landab wohlgesonnene bis in altlinker Tradition gehässige
Gratulanten auf, bereits im Frühjahr zückte Horst Seehofer ein
Bundesverdienstkreuz.
Keine schlechte Bilanz für den seit geraumer Zeit schwerpunktmäßig in den
USA lebenden und arbeitenden Regisseur, der in der Berichterstattung nicht
mehr vorrangig als wahnwitziger Kinski-Dompteur, sondern als verlorener
Sohn des deutschen Kinos apostrophiert wird, dessen aktuelle,
hochproduktive Schaffensphase der provinzielle deutsche Kinobetrieb schon
seit geraumer Zeit nicht mehr adäquat abzubilden in der Lage ist. So etwa
im Juni in einem Feuilletonaufmacher der Frankfurter Allgemeinen, die
Herzog noch glatt die Hälfte seiner hiesigen Kinostarts unterschlagen hat.
Nicht, dass ihn sein Status in Deutschland groß kümmern würde: „Es spielt
keine Rolle. Für mich nicht, für die Filme nicht, und für Deutschland auch
nicht“, zitierte ihn das Blatt.
Dabei liegt eine neue Herzog-Mania hierzulande seit einiger Zeit in der
Luft. Zumal mit der US-amerikanischen Blogosphäre gut vernetzte cinephile
Blogs und Magazine kommentieren Herzogs Werk auch abseits von Kinostarts –
über Festivalbesuche und DVD-Importe. Eine Trendwende markiert Herzogs
Vorsitz der Berlinale-Jury im Jahr 2010, der zugleich eine späte Versöhnung
im lange schwierigen Verhältnis zwischen dem Festival und dem Regisseur
darstellt. Mit der Aufsatzsammlung „Lektionen in Herzog“ zog 2011 die
Filmwissenschaft nach und leistete dabei durch den internationalen
Autorenstamm nicht nur überfällige akademische Nachholarbeit, sondern von
vornherein eine national unabhängigere, aufgefächerte Perspektive auf
Herzogs Filme und deren Rezeptionsgeschichte, die sich gerade im schon
frühzeitig international ausgerichteten Kino Herzogs nie bloß auf die
deutsche kaprizieren lässt.
## Geburtstagshommage
Pünktlich zu Herzogs 70. Geburtstag veröffentlichte der bayerische
Journalist Moritz Holfelder zudem eine – von Herzog allerdings nicht
autorisierte – Biografie, die ihr Versprechen, Licht ins Dunkel hinter den
von Herzog gepflegten Mythen zu seiner Person zu bringen, gottlob nicht
vollends, aber doch zum Gutteil einlöst: Herzogs Credo „Was ich bin, sind
meine Filme“, das die integrale Einheit von Person und Werk nicht nur
unterstreicht, sondern eine abseits des Werks denkbare Person von
vornherein ausklammert, liest Holfelder gewissermaßen rückwärts: Herzogs
Filme sind, was er ist. Sie dienen Holfelder wenn schon nicht als
biografische Spuren, so doch als Hinweisstifter, die er eng an die aus
zahlreichen Interviews und Audiokommentaren entnommenen Anekdoten
anschmiegt. Deren Grad an Überhöhung und Verfremdung wiederum rückt er
durch die Äußerungen vieler Wegbegleiter Herzogs und Recherchearbeit vor
Ort in der bayerischen Gemeinde Sachrang, wo Herzog als Junge aufwuchs,
wieder näher ans Faktische.
Im Grunde holt der deutsche Kulturbetrieb in diesem Überschwang
zeitversetzt die Entwicklung nach, die in den USA kurioserweise mit jenem
Film einsetzte, der mangels Kinostart Herzogs Verschwinden in Deutschland
einläutete: „Grizzly Man“ (am 23.10. im Kino Arsenal), Herzogs so
anrührender wie intensiver Dokumentation über den radikalen
Umweltaktivisten Timothy Treadwell, dem seine romantische Zuneigung zu
wilden Bären zum tragischen Verhängnis wurde, brach dort einen bis heute
anhaltenden Herzog-Boom los, der zwar auch die Sphäre offizieller
Kulturverwaltung zwischen Filmarchiv, Theater und Akademie durchdrang, sich
auf diese aber, im Gegensatz zur neu entflammten Liebe zu Herzog in
Deutschland, bei weitem nicht beschränkt.
Sein buchstäblich eigensinniges Auftreten, sein idiosynkratischer, auch
bayerisch-anarchischer Humor formten im Kontext der US-amerikanischen
Unterhaltungsindustrie, deren Primäraffekten und wuchtiger Energie Herzog
als selbst erklärter „Soldat des Kinos“ schlussendlich sicher näher steht
als alteuropäischem Kunstsinnen, einen innig umarmten Exoten, der zu Hause
immer eher etwas überfordert als Sonderling empfunden wurde.
So ist es vielleicht tatsächlich vielsagend, dass Herzogs neue Filme nun in
den kommenden Tagen im Kino Arsenal nicht nur an einem Ort aufgeführt
werden, der vorrangig der filmhistorischen Rückschau vorbehalten ist,
sondern dies auch mit direktem Blick durch eine trennende Glaswand auf das
alltägliche Kinogeschäft im benachbarten Multiplex, das den cinephilen
Weihen nebenan mit jener „überwältigenden Gleichgültigkeit“ gegenüberst…
die Herzog in seinen titanischen Dschungelabenteuern in der Natur zugange
sieht. Herzog bleibt Gast auf Zwischenstation.
Noch in diesem Jahr sollen in den USA die Dreharbeiten zu „Queen of the
Desert“ beginnen, mit „Twilight“-Star Robert Pattinson in einer Hauptrolle
als Lawrence von Arabien. Für den Regisseur aus dem Chiemgau ist
Deutschland auch bis auf Weiteres zu klein.
17 Oct 2012
## AUTOREN
Thomas Groh
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