# taz.de -- Neonazi mit NSU-Bezug: Auch Bayern hat V-Mann-Ärger | |
> Ein führender Neonazi aus Oberfranken spitzelte in den 90er-Jahren die | |
> rechtsextreme Szene aus. Wie nah stand er dem späteren Terrortrio NSU? | |
Bild: In seine Amtszeit fällt der Spitzel: Gerhard Forster, bayerischer Verfas… | |
MÜNCHEN/BERLIN taz | Auch das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz | |
hat in den 1990er-Jahren einen V-Mann im Umfeld der späteren | |
NSU-Terroristen geführt: Kai D. Sein Name findet sich auf einer Adressliste | |
des NSU-Mitglieds Uwe Mundlos, die 1998 nach dessen Untertauchen | |
sichergestellt wurde. Für Kontakte nach dieser Zeit gibt es bislang keine | |
Hinweise. | |
Nach Informationen der taz spitzelte der in Berlin geborene und Ende der | |
1980er Jahre nach Oberfranken gezogene Kai D. mehrere Jahre für den | |
bayerischen Geheimdienst die rechtsextreme Szene aus. 1998 soll sein | |
Engagement dann beendet worden sein. Schon damals sei darüber spekuliert | |
worden, dass D. ein V-Mann sei, heißt es. | |
In den 1990er-Jahren spielte der heute 48-Jährige eine äußerst prominente | |
Rolle in der Neonaziszene und war laut dem antifaschistischen aida-Archiv | |
im damals einflussreichen „Thule-Netzwerk“ aktiv, ein per Computer | |
betriebenes Mailbox-System. | |
Mitte der 1990er Jahre hatte D. enge Kontakte zur „Anti-Antifa | |
Ostthüringen“, dem Vorläufer des Thüringer Heimatschutzes (THS) – jener | |
Neonazi-Organisation, in der auch die späteren NSU-Mitglieder Uwe Mundlos, | |
Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Mitglied waren. Die Gruppe organisierte | |
Skinheadkonzerte und politische Veranstaltungen, hatte aber vor allem ein | |
Ziel: Sie beobachteten und bedrohten Antifaschisten. Deshalb wurde gegen D. | |
und elf weitere Beschuldigte wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ | |
ermittelt. Das Verfahren wurde 1997 aber eingestellt. | |
Drohung eines Überzeugungstäters | |
Klar ist: D. war kein Mitläufer, sondern ein führender Neonazi. Kai D. galt | |
als einer der maßgeblichen Organisatoren der Gedenkaufmärsche für den | |
Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im oberfränkischen Wunsiedel, aber auch | |
andernorts. Laut Ermittlungsakten war D. Teil des zehnköpfigen | |
„Aktionskommitee Rudolf Heß 1996“, das den Gedenkmarsch zum neunten | |
Todestag von Hitlers Stellvertreter am 17. August 1996 in Worms | |
organisierte. Dort marschierten auch die NSU-Mitglieder Mundlos und Zschäpe | |
sowie einige ihrer mutmaßlichen Terrorunterstützer auf. | |
D. verbrachte die Tage vor dem geplanten Aufmarsch im Ausland, um der | |
Polizei aus dem Weg zu gehen. Doch als er am Tag selber aus Luxemburg | |
einreiste, wurde er festgenommen. Am Abend jenes Samstags verhörten ihn | |
Beamte des Landeskriminalamtes in Saarbrücken. D. hatte darauf bestanden, | |
nicht mit irgendwelchen Polizisten, sondern nur mit Staatsschutzbeamten zu | |
reden. „Seine Gesprächsbereitschaft beginne erst mit der Ebene | |
Landeskriminalamt“, hielten die Beamten im Vernehmungsprotokoll fest. Das | |
Dokument liegt der taz vor. | |
Was dann kommt, ist eine knallharte Drohung eines Überzeugungstäters. | |
„Hiermit teile ich Ihnen klar und deutlich mit, daß etwas passieren könnte, | |
falls ich und andere inhaftierte Kameraden bis zu einem gewissen Zeitpunkt | |
nicht entlassen werden würden“, sagte D. laut Protokoll. Er habe mit seinen | |
Kameraden ausgemacht, dass er sich zu bestimmten Zeiten telefonisch melden | |
würde. | |
Falls er in den nächsten Stunden diese Meldung nicht absetzen könne, „kann | |
ich für nichts mehr garantieren“. Wenn sie ihn nicht freilassen, droht er, | |
„könnten zum Beispiel Anschläge verübt werden“. D. erklärt den | |
Vernehmungsbeamten, dass es ihm egal sei, „wie lange ich in Haft bleibe“. | |
Er habe schon viel mitgemacht und sei abgehärtet. „Ich werde weiterhin | |
meiner Gesinnung treu bleiben und mich nicht beeinflussen lassen.“ | |
Untersuchungsausschuss fordert Akten an | |
Ob Kai D. und das Trio sich persönlich kannten, ist unklar. Im März 1997 | |
wurde er zumindest wie Mundlos und Böhnhardt auf der Demo gegen die | |
Wehrmachtsausstellung in München gesehen. | |
Dazu kommt die 1998 in einer Garage in Jena gefundenen Liste von Mundlos, | |
auf der „Kai D.“ samt Handynummer vermerkt ist. Die Liste war jahrelang von | |
den Ermittlern ignoriert worden, liest sich aus heutiger Sicht aber wie ein | |
„Who is who“ der mutmaßlichen Helfer des Neonazitrios. Dass aber Kai D. | |
jemals mit dem untergetauchten Trio in Kotakt stand, ist nicht bekannt. | |
„Welchen Einfluss der Mann auf die spätere Terrorzelle und ihre Mitglieder | |
hatte, oder welchen Einfluss sie auf ihn ausübten, lässt sich zum jetzigen | |
Zeitpunkt noch nicht sagen“, sagte der Vorsitzende des bayerischen | |
NSU-Untersuchungsausschusses Franz Schindler (SPD) der taz. Der Ausschuss | |
hat nun die Staatsregierung aufgefordert, dem Gremium unverzüglich alle | |
Akten zur Verfügung zu stellen, die sich mit diesem Thema befassen. | |
In den vergangenen Wochen war es immer wieder zu Aufregung über V-Männer | |
von Verfassungsschutz und Polizei im Umfeld des NSU gekommen. So war | |
bekannt geworden, dass der Mann, der dem Trio vor dessen Abtauchen | |
Sprengstoff besorgt hatte, später [1][V-Mann der Berliner Polizei] war. | |
Kurz darauf [2][flog Spitzel „Corelli“ auf], der jahrelang in Diensten des | |
Bundesamts für Verfassungsschutz stand. Auch er stand auf Mundlos' | |
Kontaktliste. | |
17 Oct 2012 | |
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