# taz.de -- Debatte Steinbrück: Die fixe Idee der SPD | |
> Die Sozialdemokraten glauben noch immer, dass Wahlen in der Mitte | |
> entschieden werden. Deshalb werden sie 2013 wieder nicht gewinnen. | |
Bild: Manchmal kaum zu sehen: Peer Steinbrück. | |
Im Januar 1992, mitten im amerikanischen Vorwahlkampf, flog Bill Clinton | |
zurück nach Arkansas, um auf den Tod von Ricky Ray Rector zu warten. Der | |
42-Jährige hatte zwei Menschen getötet und sich selbst anschließend eine | |
Kugel in den Kopf gejagt. Obwohl er seitdem geistig behindert war, | |
verurteilten ihn die Richter zum Tode. Clinton, damals Gouverneur, lehnte | |
ein Gnadengesuch ab. Eine knappe Stunde mühten sich die Ärzte, eine Vene | |
für die Giftspritze zu finden. Dann war Rector tot. Und Clinton ein Jahr | |
später Präsident. | |
So begann die Orientierung der Demokraten auf die politische Mitte, die | |
später Labour in Großbritannien und die SPD erfolgreich kopieren sollten. | |
Vieles sprach für eine solche Strategie. Alle drei Parteien hatten seit | |
gefühlten Ewigkeiten keine Wahlen mehr gewonnen, weil sie nur ihr eigenes | |
Potenzial mobilisieren konnten. Rector musste sterben, um zu beweisen, dass | |
auch Demokraten „tough on crime“ sein können. | |
Die Mitte bevorzugt „Macho-Basta-Uga-Uga-Kanzler“ (Tom Schimmeck), so | |
glaubt die SPD noch immer. Und damit wären wir bei Peer Steinbrück, dem | |
Ulrich Schulte (taz vom 13. 10.) bescheinigt hat, die beste Option der | |
Sozialdemokraten zu sein. Die Rechnung der SPD ist waghalsig und geht so: | |
Wenn es ihr gelingt, dem bürgerlichen Lager nach derzeitigen Umfragen um | |
die 5 Prozent abzunehmen, und sie zusätzlich erreicht, dass weder Piraten | |
noch die FDP über die 5-Prozent-Hürde kommen, dann stellen die | |
Sozialdemokraten mit Rot-Grün den Kanzler. „Ein klareres Angebot an die | |
Mitte und an die Wirtschaft kann die SPD nicht machen. Wenn einer Merkels | |
CDU in bürgerlichen Milieus Stimmen abkaufen kann, dann er“, schreibt | |
Schulte. | |
Noch einmal schickt uns die SPD also zurück in die Zeitschleife, nach 1998. | |
Die politischen Angebote macht sie der Mitte, die eigenen Wähler glaubt sie | |
ohnehin sicher in der Tasche zu haben. Nur: Ist das Realpolitik – oder eine | |
fixe Idee, die die SPD immer wieder aufs Neue verfolgt? Denn die These, | |
dass Wahlen ausschließlich in der Mitte entschieden werden, ist inzwischen | |
widerlegt. Linke Parteien können die entscheidenden Prozentpunkte auch | |
links verlieren. Die US-Demokraten unterlagen im Jahr 2000 nicht nur wegen | |
des seltsamen Wahlsystems, sondern auch wegen der 3 Prozent Protestwähler, | |
die nach den Clinton-Jahren lieber für Ralph Nader stimmten. Labour verlor | |
2010 an die Liberalen. | |
## Stoiber das kleinere Übel? | |
Bei den Sozialdemokraten endeten die Schröder-Jahre 2005 wegen der | |
Linkspartei. Seine SPD hatte das Argument vom „kleinere Übel“ zerstört, m… | |
dem sich linke Wähler früher notfalls zähneknirschend zum Kreuz für die | |
Partei entschieden. Aber 2002 wäre Edmund Stoiber möglicherweise das | |
kleinere Übel gewesen. Der hätte sich nämlich kaum eine Agenda 2010 gegen | |
den Widerstand von Gewerkschaften zugetraut. | |
Ulrich Schultes Frage: „Wem traut man eine progressivere Politik zu – einer | |
großen Koalition unter Merkel oder Rot-Grün unter Steinbrück?“, ist deshalb | |
nicht eindeutig zu beantworten. Kann man ausschließen, dass Steinbrück | |
einen Wahlsieg zum Anlass nimmt, Grüne und linke SPDler so zu erpressen, | |
wie es früher Schröder getan hat? Und wäre die SPD in einer großen | |
Koalition, also nach einer Wahlniederlage Steinbrücks, nicht gezwungen, | |
einen Wischiwaschikurs in sozialen Fragen zu fahren, so wie es bei der | |
letzten großen Koalition der Fall war? | |
Das sind Gedanken, die auch ein guter Anteil der potenziellen SPD-Wähler | |
haben dürfte; solche, die etwa eine Kandidatur von Hannelore Kraft | |
unterstützt hätten. Und jetzt vor Steinbrück zurückschrecken. Selbst wenn | |
die SPD entscheidend ins Wählerpotenzial von Union und FDP einbrechen kann, | |
dürfte sie auf der Linken wieder verlieren – an die Linkspartei, ans | |
Nichtwählerspektrum, die Piraten. So viel, dass es für Rot-Grün nicht | |
reicht. | |
US-Demokraten und Labour haben inzwischen verstanden, dass man nicht in die | |
Mitte gehen kann, ohne auch der Parteilinken ein reales Angebot zu machen. | |
Barack Obama und Ed Miliband setzten sich in internen Wahlen gegen die | |
jeweiligen Kandidaten des rechten Flügels durch. Als Präsident hat Obama | |
eine klassisch sozialdemokratische Politik verfolgt: mit viel | |
Zaghaftigkeit, einigen Geschenken an die Wirtschaft, aber auch mit einem | |
großen sozialen Reformprojekt als Angebot an die Stammwählerschaft, der | |
Krankenversicherung. | |
## Sackgasse für linke Sozis | |
Bei der SPD scheint ein ähnlicher Kurswechsel unmöglich. Ihre Kandidaten | |
werden von oben ernannt, eine demokratische Auswahl findet nicht statt. | |
Nicht einmal ein 23-Prozent-Ergebnis wie 2009 führt zur Kurskorrektur. | |
Demokratie ist aber kein formale Angelegenheit. Sie dient dazu, dass | |
realitätsferne Führungen ersetzt und Fehler korrigiert werden können. Eine | |
demokratisch strukturierte Organisationen ermöglicht Realpolitik. | |
Ja, Realpolitik. Denn die SPD hat Anhängern sozialdemokratischer Politik | |
keinen vernünftigen Plan B für den Fall anzubieten, dass es für Rot-Grün | |
nicht reicht. Einer Koalition mit der Linken steht ihre zweite fixe Idee | |
entgegen: die bösen Geister der Linkspartei durch Ignorieren wieder in die | |
Flasche zurückzubekommen, aus der Schröders Agenda sie befreit hat. | |
Nicht einmal die Idee der SPD von einer gesellschaftlichen Mitte, die | |
zwangsläufig nach Kanzlern sucht, die Machtworte sprechen und auf den Tisch | |
hauen, entspricht ja der Realität, wie der zweimalige Wahlsieg Angela | |
Merkels zeigt. Die Sozialdemokraten halten ihre eigene Sehnsucht nach einer | |
autoritären Führung irrtümlich für die der gesamten Gesellschaft. | |
Ihre linken Anhänger stürzt die SPD 2013 jedenfalls in eine ausweglose | |
Situation. Wählen sie die SPD nicht, droht Angela Merkel. Wählen sie aber | |
SPD, und die Sozialdemokraten kommen nur halbwegs in die Nähe der 30 | |
Prozent, wird die Parteispitze das Ergebnis als Bestätigung ihres Kurses | |
ansehen. Auch wenn es nicht für Rot-Grün reicht. 2017 droht dann die | |
sechste Neuauflage der Wahlkampfstrategie von 1998, bis zur Wahl 2021 wären | |
es dann 23 Jahre Mitte-Orientierung der SPD. Helmut Kohls Regierungszeit | |
war schon nach vergleichsweise kurzen 16 Jahren zu Ende. | |
18 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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