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# taz.de -- Nigerianischer Autor über Nigerdelta: „Vielleicht sollte ich lyr…
> Der nigerianische Schriftsteller Helon Habila über seinen neuen Roman „Öl
> auf Wasser“, die Öko-Katastrophe und das Publizieren.
Bild: Zur Umweltkatastrophe im Nigerdelta sagt Helon Habila: „Es ist ein blei…
sonntaz: Ihr gefeierter Politthriller „Öl auf Wasser“ spielt vor der
Öko-Katastrophe im Nigerdelta. Er ist auf Englisch und dieses Jahr auf
Deutsch erschienen. In Nigeria kommt er erst jetzt heraus, ist das nicht
eine komische Reihenfolge?
Helon Habila: Überhaupt nicht. Auf eine Art ist es mir sogar egal, in
welchem Land der Roman zuerst rauskam, ob zunächst in den USA, in England
oder Nigeria. Wichtig ist mir aber zu wissen, dass die Leute in Nigeria das
Buch bald ebenfalls kaufen und lesen können. Welches Land nun als erstes an
der Reihe war, interessiert mich wirklich nicht.
Der Regisseur Obi Emelonye fordert mit seinem Film „Last Flight to Abuja“
mehr Sicherheit für den afrikanischen Luftraum. Sie thematisieren nun den
verantwortungslosen Umgang der Ölindustrie mit Mensch und Umwelt. Offenbar
gibt es eine neue Generation von Autoren auf dem Kontinent, die diese
Bereiche mehr und mehr problematisieren.
Ja, in jedem Fall. In Nigeria beschäftigen sich viele Dichter und
Schriftsteller mit der Katastrophe im Nigerdelta. Es ist ein bleibendes
Thema, und es macht Hoffnung, dass nun auch mehr und mehr Kritiker über
diese Themen sprechen.
Berühmt wurde der Fall des Schriftstellers und Aktivisten Ken Saro-Wiwa. Er
kämpfte gegen die Ausbeutung und für das Recht der Deltabewohner. 1995 ließ
ihn die damalige Militärdiktatur nach einem Schauprozess hinrichten. Welche
Auswirkungen hatte die Ermordung Ken Saro-Wiwas damals auf kulturell
orientierte Autoren?
Natürlich verbreitete es Angst, hat aber auch die internationale
Aufmerksamkeit auf die Zustände im Land gelenkt. Seine regierungskritischen
Texte sind sehr prominent. Er war Schriftsteller, aber auch ein sehr, sehr
guter Journalist. Er richtete den Fokus auf das, was im Delta passierte.
Dann wurde er umgebracht. Spätestens da bekam plötzlich auch der Rest der
Welt mit, was dort vor sich geht, und dass es mehr ist als ein regionales
Problem. Die Welt war schockiert, was sich mit der Ölverpestung und dem
Namen Shell so alles verband.
Ihr Roman „Öl auf Wasser“ ist ein vielschichtiges Werk. Neben dem Elend
stehen bei Ihnen Existenzen im Vordergrund, die sich auf sehr
unterschiedliche Weise gegen die Zerstörung der traditionellen Lebensweise
auf dem Land wenden. Es geht aber auch um Städter, die dem distanziert
gegenüberstehen, eine moderne Zukunft suchen.
Ich wollte eine Geschichte erzählen, die weder zu pessimistisch noch zu
optimistisch ist. Sie sollte vor allem eines sein: realistisch. Ich will
zeigen, was in Nigeria wirklich passiert. Dabei geht es mir nicht darum,
eine unmittelbare plakative Botschaft zu übermitteln. Ich wollte eine
schwierige Situation zeigen, in der die Menschen dennoch überleben und ihre
Würde behalten können. All das Chaos konnte ihre Menschlichkeit nicht
zerstören: Das ist es, was ich zeigen will.
Ihr Buch wird bislang vor allem im westlich geprägten Ausland rezipiert.
Haben Sie keine Sorge, es könnte ein zu einseitiges Bild Nigerias
entstehen?
Wenn ich schreibe, setze ich mich nicht hin und überlege, was für mein Land
unangenehm sein könnte und was nicht. Das würde zu Selbstzensur führen. Ich
versuche die Geschichten so zu schreiben, wie sie sich mir präsentieren.
Ich verfasse keine Propaganda, sondern Erzählungen, von denen ich hoffe,
dass sie für die Leute interessant sind.
Trotz Ihres Realismus klingen Sie in manchen Ihrer Beschreibungen in „Öl
auf Wasser“ fast schon poetisch.
Dabei habe ich in „Öl auf Wasser“ versucht, so nüchtern wie möglich zu
sein! Ich bemühe mich immer, prosaisch im Ton zu bleiben. Doch am Ende
erwische ich mich manchmal, wie es lyrisch wird. Ich habe immer auch als
Dichter gearbeitet. Vielleicht sollte ich das nächste Mal gleich versuchen,
lyrischer zu sein.
In einem Interview sagen Sie, dass Ihre erste Begegnung mit Erzählungen
nicht über das gedruckte Buch, sondern über das gesprochene Wort kam. Wie
sehr haben diese mündlichen Geschichten, die man schon als Kind erzählt
bekommt, Ihr Verständnis vom Erzählen beeinflusst?
Extrem. Bevor man in die Schule geht, hört man mündlich vorgetragenen
Geschichten zu. Oft sind das Volksmärchen. Und sehr oft sind es immer und
immer wieder die gleichen. Dabei habe ich gar nicht unbedingt von den
Geschichten gelernt, sondern von der Art, wie sie erzählt wurden. Diese
Art, sie jedes Mal wieder spannend zu machen, ein wenig anders zu
schildern, obwohl alle den Inhalt längst auswendig kennen. Man kann dadurch
eine Menge lernen, darüber, wie man Spannung erzeugt.
Sie haben als junger Mann Dostojewski, Flaubert, Henry James oder Dickens
gelesen. Wie hat diese Lektüre Ihr junges Bild vom „Westen“ beeinflusst?
Der beste Weg, um die Welt zu verstehen, ist zunächst einmal die Literatur.
Sie half mir, die Welt in einem größeren Rahmen zu sehen und kennen zu
lernen. Man lernt auf diese Weise sehr viel über die Menschen und die
einzelnen Charaktere. Es war für mich, wie zu reisen, ohne sich fortbewegen
zu müssen.
In den vielen Kritiken über Sie habe ich kaum Hinweise auf afrikanische
Autoren gefunden, die Sie beeinflusst haben.
Wirklich? Dabei haben mich afrikanische Autoren mein Leben lang enorm
beeinflusst! Chinua Achebe und Wole Soyinka aus Nigeria, Ngugi wa Thiongo
aus Kenia, aber auch Autorinnen wie Bessie Head aus Botswana.
Wahrscheinlich muss ich sie in künftigen Interviews viel häufiger und
prominenter nennen!
Ihre prämierte Kurzgeschichtensammlung „Prison Stories“ wurde vor über ze…
Jahren zunächst vom Vater eines Freundes verlegt. Publizieren erschien sehr
schwierig. Ist es für die jetzige Generation junger Schriftsteller in
Nigeria einfacher?
Es ist heute sogar erheblich einfacher, Fuß zu fassen. Sie können Verleger
und Agenten nun sogar theoretisch übers Netz finden und kontaktieren,
Arbeiten digital verschicken. Auch die lokale Verlegerlandschaft in Nigeria
ist nicht vergleichbar mit damals. Als ich anfing, gab es weder Internet,
noch hatte man Kontakte zu Agenten oder Verlagshäusern. Es war um einiges
härter.
Sie kommen aus Nigeria, haben in England oder Lagos gelebt und sind nun in
Virginia, USA. Nervt es Sie, wenn man Sie als „afrikanischen Autor“
bezeichnet?
Ich selber vermeide solche Zuordnungen und Bezeichnungen, das sollen von
mir aus die anderen tun. Wenn man mich aber fragen würde, als was ich mich
sehe, würde ich sagen: Ich bin ein Schriftsteller aus Nigeria, Punkt. Die
Leute sollen mein Buch lesen und selbst entscheiden, was sie darin sehen
wollen, unabhängig von meiner Person. Denn am Ende definiere ich mich
einfach nur als „ein Schriftsteller“. Das macht für mich am meisten Sinn.
Sie leben heute in den Vereinigten Staaten. Wie wirkt sich die jetzige
Umgebung auf Ihre künftigen Geschichten aus?
Sie wirkt sich aus. Mein nächstes Buch spielt sowohl in den USA als auch in
Nigeria. Es ist doch eher etwas unwahrscheinlich, lange an einem Ort zu
leben, dort zu arbeiten und nicht irgendwann zwangsläufig von dieser
Umgebung beeinflusst zu werden.
19 Oct 2012
## AUTOREN
Julia Grosse
Julia Grosse
## TAGS
Umweltkatastrophe
Schwerpunkt Rassismus
Afrika
Nigeria
Nigeria
Heavy Metal
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