| # taz.de -- Widerstand gegen Shell-Pipeline: Was die Iren von den Ogoni lernen | |
| > Die Raffinerie ist gebaut, aber die Gasleitung fehlt. Ein irisches Dorf | |
| > trotzt den Machenschaften des Energiekonzerns Shell und der eigenen | |
| > Regierung. | |
| Bild: "Shell hat unser Leben ruiniert": Doch der Widerstand geht weiter. | |
| ROSSPORT taz | "Wir sind nie mit der Polizei in Konflikt geraten", sagt | |
| Willie Corduff und schüttelt entschieden den Kopf. "Und als wir sie | |
| brauchten, hat sie uns im Stich gelassen. Nun müssen wir auch noch gegen | |
| Staat und Gesetz kämpfen." | |
| Corduff ist 57, er hat ein freundliches, rundliches Gesicht und trägt meist | |
| eine Tweedmütze, selbst im Haus. Er sei Bauer, sagt er und lacht: "Wenn ich | |
| das Ausländern erzähle, schauen sie mich mitleidig an. Ich besitze acht | |
| Hektar Moorland. Wir haben eine Milchkuh, ein paar Hühner und Enten. Mein | |
| Vater hat so gelebt, und mein Großvater auch." | |
| Die kleine Farm liegt in der kleinen Ortschaft Rossport in der | |
| Sruwaddacon-Bucht. Wer in diesen letzten Winkel der Grafschaft Mayo im | |
| Nordwesten Irlands will, braucht Geduld. Öffentliche Verkehrsmittel sind | |
| rar, und die Straßen werden immer schmaler, je weiter man nach Nordwesten | |
| vordringt. Selbst Touristen sind selten, obwohl es hier so aussieht, wie | |
| man sich Irland vorstellt: braunes Moor, das unter Naturschutz steht, und | |
| grüne Hügel, die sanft ins Meer abfallen. Doch 80 Kilometer vor der Küste | |
| hat man vor 15 Jahren ein großes Gasfeld entdeckt - das Corrib-Gasfeld. Und | |
| das will der Ölmulti Shell ausbeuten. | |
| "Es ist schwer, in dieser Gegend zu überleben", sagt Mary Corduff, Willies | |
| Frau. "Shell hatte versprochen, unsere Situation zu verbessern. Sie | |
| verteilten Pullover und Mützen mit dem Corrib-Gas-Logo. Sie schenkten den | |
| Leuten in einsam gelegenen Häusern Handys. Und sie streichen die | |
| Sozialbauten an, obwohl die Bewohner sie nicht darum gebeten haben." | |
| Shell will eine Hochdruckleitung von dem Corrib-Gasfeld im Atlantik zu der | |
| bereits gebauten Raffinerie an Land legen. Es ist die größte Raffinerie | |
| dieser Art in Europa, sie ist gesichert wie eine Festung. Die Gasleitung | |
| sollte zunächst bei Rossport über die Grundstücke der Corduffs und vier | |
| weiterer Familien verlaufen, keine 70 Meter von ihren Häusern entfernt. Die | |
| Regierung hatte das abgesegnet und Shell ohne gesetzliche Grundlage | |
| bevollmächtigt, die Grundstücksbesitzer zu enteignen. | |
| ## "Nachbarn gegeneinander aufgehetzt" | |
| Doch Willie Corduff, Micheál Ó Seighin, James Philbin und die Brüder Philip | |
| und Vincent McGrath verweigerten dem Ölkonzern den Zugang zu ihrem Land. | |
| Deshalb wurden sie 2005 in Beugehaft genommen, eigentlich auf unbestimmte | |
| Zeit. Während die Männer einsaßen, blockierte eine täglich wachsende | |
| Menschenmenge den Bauplatz, vor Shell-Tankstellen fanden Demonstrationen | |
| statt, ein Boykottaufruf hatte Wirkung. | |
| Owens Wiwa, der Bruder des ermordeten nigerianischen Anti-Shell-Aktivisten | |
| Ken Saro-Wiwa, war extra angereist. "Der Mut der fünf Männer ist eine | |
| Inspiration für das Volk der Ogoni, dessen Umwelt durch Shell zerstört | |
| worden ist", sagte er damals. | |
| Schließlich zog der Konzern seine Klage zurück, nach 93 Tagen kamen die | |
| fünf wieder frei. Der Imageschaden war so groß, dass Shell und die | |
| norwegische Statoil, die ebenfalls an dem Corrib-Projekt beteiligt ist, | |
| ihre irischen Tankstellen in "Topaz" umbenannten. Die Streckenführung für | |
| die Gasleitung ist seitdem viermal verändert worden, immer ein Stückchen | |
| weiter weg von den Häusern. Jetzt soll sie durch das geschützte Moor | |
| führen. Die Kampagne "Shell to Sea" kämpft weiter dagegen. | |
| "Wir sind eine kleine Gemeinschaft", sagt Corduff, "und Shell ist hier | |
| eingedrungen und hat sie zerstört. Sie haben falsche Versprechungen gemacht | |
| und erzählen seit elf Jahren Lügen. Sie haben die Regierung in die Irre | |
| geführt, die Polizei und unsere Gemeinde. Sie haben versucht, Nachbarn | |
| gegeneinander aufzuhetzen. Es ist leicht, eine arme Gemeinde zu spalten. | |
| Einige von uns haben ihnen geglaubt und ihre Almosen genommen. Aber was | |
| haben Ölmultis je für eine Bevölkerung getan?" | |
| Die irischen Regierungen hingegen haben eine Menge für die Ölmultis getan. | |
| 1992 hat man die Gesetze zugunsten der Ölmultis geändert. Der damalige | |
| Justizminister Ray Burke, der später wegen Korruption zu sechs Monaten | |
| Gefängnis verurteilt wurde, setzte durch, dass die Konzerne die Öl- und | |
| Gasfelder unter irischen Gewässern zu 100 Prozent besitzen dürfen. | |
| Sie müssen keine Lizenzgebühren zahlen, sie können das Öl und Gas | |
| exportieren, sie dürfen es an den irischen Staat zum vollen Marktpreis | |
| verkaufen. Darüber hinaus müssen sie nur 25 Prozent Steuern auf Profite | |
| zahlen und dürfen ihre Kosten zu 100 Prozent abschreiben, selbst wenn diese | |
| im Ausland entstanden sind. Obendrein befreite man Shell vom | |
| Planungsverfahren und genehmigte die Raffinerie. | |
| ## Camp der Solidarität | |
| "Das einzig Positive an dieser traurigen Geschichte sind die jungen Leute, | |
| die zu unserer Unterstützung gekommen sind", sagt Corduff. "Und sie sind | |
| bis heute geblieben." Sie haben gegenüber von Corduffs Farm, auf der | |
| anderen Seite der Sruwaddacon-Bucht, ein Lager errichtet: viele kleine | |
| Zelte im Moor, wo die Aktivisten übernachten, dazu zwei große | |
| Gemeinschaftszelte und ein Unterstand für Fahrräder. | |
| Der Boden ist matschig, Holzpaletten am "Haupteingang" zum Gelände - einem | |
| Loch im Zaun - sollen dafür sorgen, dass man einigermaßen trockenen Fußes | |
| in die Gemeinschaftszelte gelangt. Ein großes Schild in Gelb und Rot, den | |
| Shell-Farben, weist auf das "Rossport Solidarity Camp" hin. Es ist an einem | |
| leeren Shell-Ölfass festgebunden, damit es bei den Herbststürmen nicht | |
| wegfliegt. | |
| Lee, eine junge US-Amerikanerin, lebt seit Jahren in der Gegend. Sie ist | |
| sehr schlank und trägt einen dicken Wollpullover sowie eine Mütze, denn es | |
| zieht im Zelt. In einer Ecke wird für alle gekocht. "Es sind immer | |
| mindestens zehn Leute hier, bei Veranstaltungen oder Aktionen sind es | |
| manchmal bis zu 200", sagt Lee. "Es ist ein offenes Camp, ein | |
| internationaler Ort." | |
| ## Shell: überzogen mit Klagen | |
| Man kämpft an verschiedenen Fronten. Die Camp-Bewohner arbeiten mit | |
| direkten Aktionen, sie legen sich den Baggern in den Weg, besetzen | |
| Baumaschinen und verzögern so die Arbeiten. "Wir haben ein gutes Verhältnis | |
| zu den Ortsansässigen, sie bringen uns Lebensmittel, und manchmal dürfen | |
| wir bei ihnen duschen", sagt Lee. "Sie haben die Kampagne begonnen, sonst | |
| wären wir gar nicht hier." | |
| Andere überziehen Shell mit Klagen. Die 81-jährige Mary Philbin war die | |
| Erste, die den Bau 2002 mit ihrer Klage für eine Weile stoppte. Auch Monika | |
| Müller, die vor 30 Jahren als Touristin aus Deutschland kam und blieb, | |
| legte Einspruch gegen die Baugenehmigung ein. Sie gewann, verlor im | |
| Berufungsverfahren und legte Widerspruch ein, der noch in diesem Monat | |
| verhandelt wird. Die Verzögerungen haben Shell bisher rund 250 Millionen | |
| Euro gekostet. | |
| "Die Kampagne inspiriert andere Kämpfe", sagt Lee, "weil sie das Projekt | |
| schon so lange verhindert hat. Das ist ein Erfolg, auch wenn die Leitung am | |
| Ende gebaut werden sollte." Das Unterwasserrohr des Corrib-Gasfelds zur | |
| Küste gibt es bereits, die Raffinerie in Ballinaboy ebenfalls, aber die | |
| neun Kilometer lange Verbindungsleitung, die das Gas unter Hochdruck über | |
| Land pumpen soll, fehlt noch. | |
| "Wir sind in der Endphase des Kampfes", sagt Maura Harrington. "Die Chancen | |
| stehen fifty-fifty." Die 58-Jährige ist hager, hat lange, graue Haare und | |
| trägt einen schwarzen Rollkragenpullover und lila Pantoffeln. Bis zu ihrer | |
| Pensionierung 2008 arbeitete sie als Grundschullehrerin an einer kleinen | |
| Schule mit vier Lehrern im benachbarten Inver. | |
| ## Kriegsschiffe gegen Fischkutter | |
| "Wir haben überhaupt keinen politischen Einfluss", sagt Harrington. "Viele | |
| wandern aus, die Gegend ist dünn besiedelt. In den achtziger Jahren wollten | |
| sie uns sogar ein Atomkraftwerk vor die Nase setzen." Wäre Shell vor 50 | |
| Jahren gekommen, hätte man den Konzern gewähren lassen, denn Umweltschutz | |
| war damals ein Fremdwort. "Aber die Zeiten haben sich geändert", sagt | |
| Harrington. "Nun versuchen sie, die Gemeinschaft zu spalten. Es gibt immer | |
| welche, die sich kaufen lassen, sei es durch einen schlecht bezahlten Job | |
| beim Bau oder bei der Sicherheitsfirma, sei es durch das Sponsoring des | |
| lokalen Golfclubs." | |
| Als Shell 2008 die "Solitaire" schickte, das größte Rohrlegeschiff der | |
| Welt, trat Harrington in den Hungerstreik. Die Fischer aus Rossport | |
| blockierten die riesige "Solitaire" mit ihren kleinen Kuttern, und nach | |
| zehn Tagen zog das Schiff wieder ab. Harrington beendete ihren | |
| Hungerstreik. Doch ein Jahr später kam die "Solitaire" zurück, diesmal | |
| unter dem Schutz von Kriegsschiffen der irischen Marine, die die Fischer | |
| auf Distanz hielten. | |
| "Weil wir weiß sind und nicht in der Dritten Welt leben, glaubt niemand, | |
| wie Shell mit uns umgeht", sagt Harrington. Sie hat mithilfe einer Nonne, | |
| die lange in Nigeria war, den Kontakt zu den Ogoni hergestellt. "Wir sind | |
| natürlich nicht das Nigerdelta", sagt sie, "aber wenn wir von den Ogoni | |
| nicht lernen, wäre das eine Missachtung ihres Kampfes, und wir würden | |
| verlieren." | |
| Willie Corduff hofft, dass die Bewohner am Ende doch noch gewinnen. "Shell | |
| hat unser Leben ruiniert", sagt er, ohne resigniert zu wirken. "Immerhin | |
| haben wir das Projekt verzögern können. Eigentlich sollte die Anlage 2003 | |
| betriebsbereit sein. Aber das ist sie noch lange nicht." | |
| 20 Oct 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
| Ralf Sotscheck | |
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