Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Protestanten und Katholiken in Irland: Vereint gegen Frauenrechte
> Die Religionsgemeinschaften in Irland sind sich spinnefeind. Doch vor der
> ersten Abtreibungsklinik des Landes protestieren sie gemeinsam.
Bild: Restriktive Gesetze: Abtreibungsgegner protestieren vor der Belfaster Kli…
BELFAST taz | Die Ersten kommen um neun Uhr morgens. Sie rollen in der
Great Victoria Street, Hauptverkehrsstraße der nordirischen Hauptstadt
Belfast, ihre Spruchbänder aus. „Abtreibung ist Mord“ steht auf vielen
oder: „Life“. Gegen Mittag ist die Menge vor dem Haus Nummer 14 auf etwa
300 Menschen angewachsen. Dort, im achten Stockwerk, wo früher die
Pleitebank Anglo-Irish residierte, hat am Donnerstag um 13 Uhr die
Marie-Stopes-Klinik eine Niederlassung eröffnet.
Es ist die erste Abtreibungsklinik in Irland, Nord wie Süd. „Mehr als
tausend nordirische Frauen im Jahr reisen zur Abtreibung nach England“,
erklärt Dawn Purvis, Direktorin der Klinik. „Aus der Republik Irland sind
es über 4.000. Das wird wegen der restriktiven Gesetze in Nordirland, an
die wir uns halten werden, zwar nicht aufhören, aber wir können beraten und
Verbindungen zu Kliniken in England herstellen.“
Purvis war früher Chefin der Progressive Unionist Party, dem politischen
Flügel der verbotenen loyalistisch-protestantischen Terrororganisation
Ulster Volunteer Force (UVF). Seit ihrem Parteiaustritt vor zwei Jahren
wegen eines UVF-Mords war sie an den Planungen der Marie-Stopes-Filiale in
Belfast beteiligt. Die internationale Organisation hat Niederlassungen in
42 Ländern.
Die Kliniken sind nach der 1880 in Edinburgh geborenen Marie Stopes
benannt, Gründerin der ersten Klinik für Geburtenkontrolle in
Großbritannien. Ein kurioses Vorbild: Stopes war Anhängerin der
Rassenhygiene und befürwortete Zwangssterilisierungen von behinderten
Menschen. Sie lehnte Abtreibungen ab, und bis zu ihrem Tod 1958 wurden sie
in ihren Kliniken auch nicht angeboten.
## Sonderbusse voller Abtreibungsgegner
„Diese Klinik in Belfast ist ein Versuchsballon“, vermutet Donal Ó Gríofa.
Der Ire ist Anfang 30, er hat drei Töchter, seine Frau ist mit dem vierten
Kind schwanger. Er ist aus Dublin in einem der vier Sonderbusse angereist,
die von Abtreibungsgegnern gemietet worden sind. Er hat sich gegenüber der
Stopes-Klinik vor dem viktorianischen Opernhaus aufgebaut.
Auf seinem großen gelben Transparent, das er mit einem Mitstreiter hält,
steht: „Gemeinsam arbeiten gegen Abtreibung“. Er würde am liebsten mehr
gegen diese Leute unternehmen, aber das sei riskant, sagt er: „Ich habe
schließlich Familie.“ Meint er physische Gewalt gegen die Angestellten?
„Sie würden es verdienen.“
Ó Gríofa begrüßt, dass sowohl Protestanten als auch Katholiken gegen die
Klinik demonstrieren. Abtreibung ist einer der wenigen Punkte, in denen
sich sämtliche Parteien Nordirlands einig sind. Kein Politiker, mit
Ausnahme von Anne Lo von der kleinen Alliance Party, will eine Lockerung
des Abtreibungsgesetzes.
Auch der nordirische Vizepremier und ehemalige Chef der katholischen
Irisch-Republikanischen Armee (IRA), Martin McGuinness, sagt: „Meine Partei
Sinn Féin ist gegen die Ausdehnung des britischen Abtreibungsgesetzes auf
Nordirland.“
## Plakate halten, singen und beten
Vor der Eingangstür von Nummer 14 haben sich inzwischen ein Dutzend
Menschen mit einem Spruchband versammelt. „Willkommen, Marie Stopes“ steht
darauf. Die Abtreibungsbefürworter sind von den Abtreibungsgegnern durch
ein Absperrgitter der Polizei und eine knapp einen Meter breite Gasse
getrennt. Die Gegner strecken ihnen ihre Plakate entgegen, singen und
beten. Es sind sehr viele junge Leute darunter, auch Teenager im
Punk-Outfit.
„Das liegt an der Einschüchterungskampagne in den Schulen“, sagt John
Price. Der 35-Jährige mit Pudelmütze arbeitet für die
„Mary-Stopes-Kampagne“. „Sie holen Abtreibungsgegner aus den USA, die im
Rahmen des Religionsunterrichts ihre Tiraden gegen Abtreibung ablassen.“
Wenn es wirklich keine Nachfrage gäbe, dann gäbe es auch diese Klinik
nicht, sagt er.
Bernadette Smyth, Chefin von „Precious Life“, sagt: „Marie Stopes ist ein
kommerzielles Unternehmen, das nur dann Geld verdient, wenn es Frauen zur
Abtreibung überreden kann.“ Eine medizinische Abtreibung kostet 450 Pfund.
„Wir werden jeden Donnerstag und Samstag, wenn die Klinik geöffnet hat,
davor demonstrieren“, sagt Smyth, „bis Marie Stopes wieder aus Belfast
verschwunden ist.“
19 Oct 2012
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
Ralf Sotscheck
## TAGS
Schwerpunkt Abtreibung
Irland
Katholiken
Katholische Kirche
Protestanten
Schwerpunkt Abtreibung
Belfast
Nordirland
Protest
Schwerpunkt Abtreibung
Referendum
EU
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Marsch für das Leben“ in Berlin: Abtreibungsgegner wegglitzern
Das Bündnis „What The Fuck!“ will am Samstag den „Marsch für das Leben�…
Abtreibungsgegner stören. Warum? Das erklärt Gegenpäpstin Rosa I.
Unruhen im nordirischen Belfast: Brandbomben auf Polizisten
Militante Protestanten haben sich in Belfast zwei Nächte in Folge mit der
Polizei Kämpfe geliefert. Auslöser sind die jährlichen Oraniermärsche
probritischer Protestanten.
Kommentar Unruhen in Belfast: Irre - und ihre Interessen
Hinter dem Streit um die britische Flagge auf dem Belfaster Rathaus stehen
handfeste Interessen. Die Protestanten fürchten um ihre Mehrheit.
Eskalation im Nordirlandkonflikt: Schüsse auf Polizisten in Belfast
Der Streit um den Union Jack auf dem Belfaster Rathaus ist wieder
eskaliert. Loyalisten randalierten nach einer Demo. Die nächsten Aktionen
sind bereits angekündigt.
Protest in Nordirland: Kampf um die britische Flagge
Auf dem Rathaus von Belfast soll nur noch an Feiertagen der Union Jack
aufgezogen werden. Die Folge ist Dauerrabatz für den Verbleib im
Vereinigten Königreich.
Abtreibungsverbot in Irland: Glaube gerettet, Patientin tot
Irische Ärzte haben einer Schwangeren trotz einsetzender Fehlgeburt eine
Abtreibung verweigert. Die Gesetzeslage erlaube das nicht. Jetzt ist die
Frau gestorben.
Referendum in Irland: Chance für misshandelte Kinder
Die Iren werden am Wochenende ihren Kindern mehr Rechte geben. Kritik wird
laut, denn Kinderarmut wird kein Thema in dem Referndum sein.
Viele EU-Staaten erschweren Abtreibung: Mit Gott gegen die Selbstbestimmung
Nicht nur Polen beschränkt das Abtreibungsrecht. Auch andere EU-Staaten
behandeln Schwangerschaftsabbrüche noch immer restriktiv.
Abtreibungsschiff aus den Niederlanden: Solidarität mit Marokkos Frauen
Ein holländisches Klinikschiff mischt Marokko auf: Es bietet Abtreibungen
an. Der Staat blockiert und lässt bei Anlegen des Schiffs den Hafen
abriegeln.
Unruhen in Nordirland: Protestanten auf den Barrikaden
Die Protestanten in Nordirland fühlen sich als Verlierer des
Friedensprozesses. Weil sie ihre Privilegien einbüßen, gehen sie auf die
Straße.
Historischer Handschlag in Belfast: Queen macht Frieden mit der IRA
Ein bedeutender Moment für die Inselrepubliken: Die Königin des
Commonwealth und Ex-IRA-Kommandeur Martin McGuinness reichten sich unter
höchsten Sicherheitsvorkehrungen die Hand.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.