# taz.de -- Doku „Camp 14 - Total Control Zone“: Verbrechensstaat von innen | |
> Folter, Sexerpressung, Hinrichtungen. Im Dokumentarfilm „Camp 14 - Total | |
> Control Zone“ berichten nordkoreanische Regimefunktionäre. | |
Bild: „Camp 14“ – Erinnerungen an das Lagerleben. | |
In der eindrücklichsten Sequenz des Films erzählt Shin Dong-yuk, ein junger | |
Mann, der in einem nordkoreanischen Arbeitslager geboren wurde und | |
aufwuchs, von seiner Flucht und von der ersten Begegnung mit der Außenwelt. | |
Das Alltagsleben seines Heimatlandes sei ihm wie ein Paradies der Freiheit | |
und des Reichtums erschienen, sagt er, dazu montiert sind aus dem Land | |
geschmuggelte Aufnahmen aus der nordkoreanischen Provinz; Aufnahmen, die | |
vor allem Bilder extremer Armut zeigen. Der Film wählt seine Bilder mit | |
Bedacht – zumindest meistens. | |
Im Gedächtnis bleibt vor allem eine öfter wiederkehrende, starre, | |
asymmetrische Einstellung, in die eine sehr tiefgehende Isolation | |
eingeschrieben ist: Die rechte Bildhälfte zeigt einen leeren Flur, links | |
sitzt Shin auf einer Treppe und erzählt, stockend und unsicher, seine | |
unglaubliche Geschichte. | |
Das für ein europäisches Publikum schlichtweg nicht fassbare Schicksal | |
Shins, der schließlich nach Südkorea flüchtete und heute um die Welt reist, | |
um auf seinen Leidensweg und die unmenschlichen Haftbedingungen in | |
Nordkorea aufmerksam zu machen, steht im Zentrum von Marc Wieses | |
Dokumentarfilm „Camp 14 – Total Control Zone“. | |
## Regimediener vor der Kamera | |
Erstaunlicherweise ist es dem Regisseur auch gelungen, zwei ehemalige | |
Regimediener vor die Kamera zu holen: Hyuk Kwon war Wärter in einem anderen | |
Camp, Oh Yangnam Geheimdienstmitarbeiter. Freimütig erzählen beide über | |
Folterpraktiken, die Erpressung sexueller Gefälligkeiten und Hinrichtungen | |
nach Lust und Laune. | |
Über das Dispositiv des klassischen Dokumentarfilms hinaus führen den Film | |
zwei Elemente: Zum einen sind das am Computer animierte Zeichnungen, die | |
einige Episoden aus dem Lagerleben nachstellen. Man kann diese von der | |
deutschen Produktionsfirma Cartoonamoon (The Green Zone) produzierten | |
Animationssequenzen als eine Reaktion auf die faktische Undarstellbarkeit | |
der Arbeitslager sehen und also als nachträgliche Notwehr. | |
Man hat allerdings immer das Gefühl, dass da etwas zu viel errettet werden | |
soll. Wenn Shin selbst die Lager zeichnet, fängt er deren abstrakte | |
Planung, die durchorganisierte Kälte eines Architektur gewordenen | |
totalitären Systems ein. Die flüssigen Animationen dagegen fokussieren am | |
liebsten auf Gesichter (gerne Kindergesichter), von eingängigen | |
Ambient-Klängen untermalt. | |
Und dann gibt es noch ein Voice-over von August Diehl: Dessen warme, | |
zurückhaltende Stimme setzt immer dann ein, wenn Shin über die | |
Vergangenheit im Lager spricht. Keine komplette Substitution ist das, wie | |
in normal eingedeutschten Kinofilmen, sondern eine Stimme, die sich über | |
eine unter ihr noch leise vernehmbare andere Stimme legt, wie in manchen | |
Fernsehdokumentarfilmen. | |
## Perfide Synchronosation | |
Das Perfide des Synchronisierens als Kulturtechnik, das darin besteht, dass | |
da stets für einen anderen und gleichzeitig durch ihn hindurch gesprochen | |
wird, macht sich in dieser Variante nur noch deutlicher bemerkbar. Der | |
deutsche Schauspieler schenkt sein Organ nur dem Überlebenden Shin. | |
Dass Diehl nicht auch den beiden ehemaligen Regimeschergen die Stimme | |
leihen will, ist verständlich. Dennoch bleibt die Frage: Warum glaubt der | |
Film, das Anheimelnd-weich-Vertraute der Diehl-Stimme zu benötigen, und | |
warum die digital verkitschten Erinnerungsbilder? Gibt es wirklich kein | |
Vertrauen mehr in die Mittel des klassischen Dokumentarfilms: Fragen, | |
Aufzeichnen, das Zeigbare zeigen, das Nichtzeigbare nicht zeigen? | |
Man muss sich nicht auf solche puristische Positionen zurückziehen. Man | |
kann sich zum Beispiel auch an die klugen Reenactments in Rithy Panhs | |
ergreifendem „S 21 – Die Todesmaschine der Roten Khmer“ erinnern, die Opf… | |
und Täter in den Ruinen eines ehemaligen kambodschanischen | |
Foltergefängnisses miteinander konfrontieren. Auch das ist eine Form | |
emotionaler Aktivierung, aber eine, die direkt an den Wunden der Geschichte | |
rührt. „Camp 14“ dagegen verteilt wohlfeile Pflaster. | |
## „Camp 14 – Total Control Zone" ab Donnerstag, 8. November, im Kino. | |
Dokumentarfilm von Marc Wiese, Deutschland 2012, 104 Min. | |
8 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Lukas Foerster | |
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