# taz.de -- Grundrecht auf öffentlichen Raum: Rechtswidrige Vertreibung | |
> Dass der Hamburger SPD-Senat Trinker und Obdachlose mithilfe der | |
> Deutschen Bahn vom Bahnhof vertreibt, ist verfassungswidrig, sagen | |
> Experten. Die Bahn greift rigoros durch. | |
Bild: Räumen am Hauptbahnhof auf: DB-Security bei der Arbeit | |
HAMBURG taz | In der Diskussion um die Vertreibung von Obdachlosen und | |
Trinkern vom Hamburger Hauptbahnhof haben sich Verfassungsrechtler zu Wort | |
gemeldet. Dass der Hamburger Senat das Hausrecht für die öffentlichen | |
überdachten Vorplätze am Hauptbahnhof an die Deutsche Bahn übertragen hat, | |
sei bedeutungslos, sagt der emeritierte Hamburger Rechtsprofessor Ulrich | |
Karpen. Für den Hauptbahnhof bestehe eine „Grundrechtsbindung“. In diesem | |
Fall habe das Polizeirecht gegenüber dem Hausrecht Vorrang. | |
Mit einem Überlassungsvertrag hat der SPD-Senat Ende Oktober die | |
Zuständigkeit für die Hallenvordächer und den Tunnel am Hauptbahnhof an die | |
Bahn übertragen, ohne den Runden Tisch, der mit den Sozialträgern | |
vereinbart worden war, zu informieren. „Ziel der Maßnahmen ist es, klare | |
und für jedermann verständliche Benutzungsregeln zu etablieren“, erklärt | |
der Senat. Die Vordächer werden von der Bahn saniert, die Kosten dafür | |
trägt die Stadt. Als Gegenleistung bekommt die Bahn nicht nur die | |
Verantwortung für die öffentlichen Flächen übertragen, sondern auch die | |
Einnahmen aus der Ladenvermietung. | |
Der Hamburger Hauptbahnhof mit seinen täglich 450.000 Reisenden und | |
Besuchern ist laut Überlassungsvertrag der meist frequentierte Bahnhof | |
bundesweit. Besonders in den kalten Monaten sind die Vordächer ein | |
zentraler Treffpunkt für Menschen ohne Obdach. Im Gebäude haben die Bahn | |
und die Wandelhallen GmbH das Hausrecht. Leute, die nicht konsumieren oder | |
reisen wollen, sind hier längst unerwünscht. | |
Für Karpen ist das Outsourcing polizeilicher Rechte zwar kein neues | |
Phänomen, es gebe aber Grenzen. Der Hauptbahnhof befinde sich auf | |
öffentlichem Grund. „Das Hausrecht steht dem Polizeirecht hinten dran“, so | |
Karpen, „und das Polizeirecht kann man nicht einfach abtreten.“ | |
Während eine Institution wie die Universität über weitgehende Kompetenzen | |
verfüge, polizeiliche Befugnisse auszuüben, so dass die Polizei den | |
Universitäts-Präsidenten fragen müsse, ob sie einschreiten soll, „wenn es | |
auf dem Campus Rabbatz gibt“, gelte beim Hamburger Hauptbahnhof eine | |
Grundrechtsbindung. „Denn allgemein zugänglichen öffentlichen Raum an ein | |
Unternehmen abzugeben, ist ausgeschlossen“, betont Karpen. | |
Die innenpolitische Sprecherin der Hamburger Grünen, Antje Möller, hat | |
ebenfalls „erhebliche Zweifel an der Interpretation des Senats“. Nach | |
dessen Ansicht sei der Bahnhofsvorplatz nach wie vor als öffentlicher Raum | |
zu bewerten, während gleichzeitig die Hausordnung der Bahn gilt, wonach | |
Rauchen, Herumsitzen und Alkoholkonsum verboten sind und der Verstoß zu | |
einem Platzverweis führen könne. | |
Die Grünen-Politikerin Möller dagegen sagt, auf dem öffentlichen | |
Bahnhofsvorplatz dürfe nur die Polizei hoheitliche Rechte ausüben. Eine | |
Einschätzung, die der Experte für Öffentliches Recht an der Bremer | |
Universität, Andreas Fischer-Lescano, teilt: Ein Eigentümer, der seine | |
Räumlichkeiten dem öffentlichen Verkehr öffne, könne nicht einfache | |
„typische Nutzungsformen von öffentlichen Räumen für unerwünscht erklären | |
und dadurch kriminalisieren“, sagt Fischer-Lescano, der die Kläger im | |
sogenannten „Fraport-Verfahren“ gegen den Frankfurter Flughafen vor dem | |
Bundesverfasungsgericht vertreten hat. | |
In dem Prozess urteilten die Verfassungsrichter: „Öffentliche Unternehmen | |
in Privatrechtsform unterliegen ebenso wie im Alleineigentum des Staates | |
stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts | |
organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung.“ Die Bahn ist | |
immer noch ein Staatsunternehmen. | |
Dennoch ist am Hauptbahnhof die Vertreibung von Obdachlosen und Trinkern | |
durch das Security-Personal der „DB Sicherheit“ bereits unmittelbar nach | |
Bekanntgabe der neuen Zuständigkeit in vollem Gange. „Die Hilfssheriffs der | |
DB-Sicherheit gehen derartig rigoros vor, wie Polizeibeamte es nicht machen | |
dürften“, berichtet ein Augenzeugen. „Wohl wissend, dass sich von denen | |
niemand gerichtlich wehren wird.“ | |
Das könnte sich ändern, sagt Birgit Müller, Chefredakteurin des | |
Obdachlosenmagazins Hinz & Kunzt. „Wenn einer der Obdachlosen klagen würde, | |
werden wir ihn mit Rat und Tat unterstützen.“ | |
13 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
K. von Appen | |
L. Kaiser | |
## TAGS | |
Hamburg | |
Deutsche Bahn | |
Obdachlosigkeit | |
Hauptbahnhof | |
Schwerpunkt Armut | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen: Sicherheitsdienst gegen Saufgelage | |
Hannover will ab April Sozialarbeiter und private Security gegen | |
öffentlichen Alkoholkonsum einsetzen. Die Polizeigewerkschaft warnt vor | |
„Akzeptanzproblemen“ und „martialischem Auftreten“. | |
Umgang mit Obdachlosen: Gutes Gewissen für die Bahn | |
Zu Weihnachten spendet Bahnchef Rüdiger Grube Schlafsäcke, am Hauptbahnhof | |
aber werden Obdachlose seit Oktober vertrieben. | |
Kommentar Vertreibung Obdachloser: Die besseren Hardliner | |
Obdachlose haben ein Recht sich vor dem und im Hauptbahnhof aufzuhalten. | |
Obdachlose in Hamburg: Von SPD und Bahn verjagt | |
Die SPD vertreibt mit Hilfe der Bahn Wohnungslose aus der Hamburger | |
Innenstadt. Doch in den Unterkünften fehlen noch Eintausend Schlafplätze | |
für Obdachlose. | |
Hamburger Hauptbahnhof: Kein Platz für „Stuttgart“ | |
Luis war immer wieder am Hamburger Hauptbahnhof – bis jetzt. Seit die Bahn | |
das Regiment übernommen hat, ist dort für Leute wie ihn kein Platz mehr. | |
Harter Kurs gegen Obdachlose: "Nicht mit dem Hochdruckreiniger" | |
Die Stadt hat der Bahn die Zuständigkeit für die überdachten Bereiche am | |
Hauptbahnhof übertragen. Nun droht die Verdrängung von Obdachlosen und | |
Trinkern |