# taz.de -- Hamburger Hauptbahnhof: Kein Platz für „Stuttgart“ | |
> Luis war immer wieder am Hamburger Hauptbahnhof – bis jetzt. Seit die | |
> Bahn das Regiment übernommen hat, ist dort für Leute wie ihn kein Platz | |
> mehr. | |
Bild: Schilderdemontage am Hamburger Hauptbahnhof: Der Senat hat gerade die Hoh… | |
HAMBURG taz | Seit Donnerstag ist die Welt am Hamburger Hauptbahnhof eine | |
andere: Unter den Hallenvordächern hat jetzt die Deutsche Bahn das Sagen. | |
Schon wurden die ersten Schilder aufgehängt, die neue Regeln ankündigen. | |
Das wird auch Luis treffen. | |
Dass der 19-Jährige meistens auf der Straße lebt, sieht man ihm nicht an. | |
Sein Irokese ist frisch geschoren. Am Mund ein Plastikpiercing. Luis trägt | |
Springerstiefel und Punkerklamotten. Am Gürtel baumelt ein Isobecher mit | |
Hamburg-Motiv. Er steht mit seinen Freunden zusammen: Litauer, Franzosen | |
und Österreicher, die alle in Hamburg gestrandet sind. Die offene | |
Rotweinflasche kreist schon nachmittags. | |
„Ich reise im Sommer meistens rum“, sagt Luis. Vor ein paar Wochen | |
verschlug es ihn nach Hamburg, im Winter hat er gern eine feste Bleibe. | |
Seine Geschichte ist heftig: Die Adoptivmutter steckte ihn ins Heim, es gab | |
immer wieder Schwierigkeiten, neue Unterbringungen, neue Probleme. | |
Irgendwann, sagt Luis, sei er durch das Rost gefallen, seit drei Jahren | |
lebt er auf der Straße. | |
Dabei hat er mit einem Durchschnitt von 1,8 keinen schlechten | |
Realschulabschluss in der Tasche. Auch sein Wunsch, Koch zu werden, klingt | |
nach Zukunftsplänen, aber Luis hat die Ausbildung schon zweimal | |
abgebrochen. „Alles, was ich anfange, reiße ich immer wieder ein“, sagt er. | |
Zuletzt war es ein 400-Euro-Job und ein Platz in einer betreuten | |
Wohngemeinschaft: „Da habe ich zu laut gefeiert und bin rausgeflogen.“ | |
Seinen Hund hat Luis, den hier am Bahnhof alle nur „Stuttgart“ nennen, | |
einem Kollegen weggenommen, der ihn gequält hat. | |
## „Das räumen wir alles weg!“ | |
Unter den Bahnhofsvordächern an der Kirchenallee kommen immer wieder Kumpel | |
vorbei. Wenn sich das Gespräch nur im Ansatz um Drogen dreht, reagiert Luis | |
wütend und schickt die Leute weg. „Das fällt immer auf uns Punker zurück �… | |
ich will damit nichts zu tun haben!“ Natürlich feiern auch sie am Bahnhof, | |
sicher entstehe dabei auch mal Müll – „aber das räumen wir alles weg!“ | |
Im „Kids“ am Heidi-Kabel-Platz haben junge Leute, die auf der Straße leben, | |
eine Anlaufstelle. Sie müssten sich darauf konzentrieren, „dass die Spirale | |
nach unten aufgehalten wird“, sagt Burkhard Czarnitzki. Nicht alle wollen | |
sich vom Staat unterbringen lassen. Das könne schon daran scheitern, dass | |
Paare unter den Straßenjugendlichen getrennt oder Haustiere in stationären | |
Einrichtungen nicht zugelassen würden. | |
„Ich hätte nicht gedacht, dass jetzt schon Entscheidungen getroffen | |
werden“, sagt Czarnitzki zu den neuen Regeln am Hauptbahnhof. Der | |
Arbeitskreis aus Sicherheits und Sozialverantwortlichen, dem er angehört, | |
habe sich gerade dreimal getroffen. „Den jetzigen Entscheidungen hätte ich | |
so nicht zugestimmt“, sagt der Sozialarbeiter. Er ist überrascht über | |
diesen „Schnellschuss“. | |
Luis wundern die Veränderungen nicht: „Das war klar, dass die hier mal | |
aufräumen.“ Er sieht die neuen Sitten nüchtern und erzählt von Hoffnungen | |
auf feste Bleiben, die sich gerade zerschlagen haben. Nun will er erstmal | |
sehen, dass er ins Hamburger Winternotprogramm kommt. | |
29 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Frank Berno Timm | |
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