| # taz.de -- Antibeschneidungskampagne: Wofür steht Giordano Brunos Name? | |
| > Eine Kolumne zur Beschneidungsdebatte brachte unserem Autor Micha Brumlik | |
| > Hassbriefe ein. Grund genug, weiter aufzuklären. | |
| Bild: Plakat der Giordano Bruno Stiftung. | |
| Noch nie sind auf eine meiner Kolumnen so viele Reaktionen, etwa | |
| einhundert, eingegangen wie auf den [1][Beitrag vom 2. Oktober], in dem ich | |
| pointiert behauptet hatte, dass die Antibeschneidungskampagne der Giordano | |
| Bruno Stiftung in Berlin dem Geist ihres Namensgebers entspreche: Giordano | |
| Bruno (1548 bis 1600) war ein erklärter Judenhasser und wurde deshalb von | |
| den völkischen Antisemiten, nicht zuletzt von Adolf Hitler, andächtig | |
| verehrt. | |
| Nun wäre es gewiss zu simpel, eine bruchlose Kontinuität zwischen einem uns | |
| kaum noch zugänglichen Denker des 16. Jahrhunderts und jenem für das | |
| „Zeitalter der Extreme“ (E. Hobsbawm), das 20. Jahrhundert, typischen | |
| Massenmörder Adolf Hitler herzustellen; gleichwohl sind zwei Fragen zu | |
| klären: Wie dachte der abtrünnige Mönch des 16. Jahrhunderts politisch, und | |
| was bringt eine für Toleranz und Geistesfreiheit eintretende Organisation | |
| heute dazu, sich nach ihm zu benennen? | |
| So geht es letztlich um die Frage, wofür dieser Name „Giordano Bruno“ in | |
| Wahrheit steht. Zunächst sei aber gezeigt, dass der historische Bruno nicht | |
| nur ein Judenhasser, sondern auch ein erklärter Frauenfeind sowie ein | |
| intriganter Feind des Protestantismus war – eine Konstellation, wie sie | |
| auch für den späteren Antisemitismus typisch ist. Endlich soll erörtert | |
| werden, was an Brunos Weltanschauung gegenwärtig attraktiv sein könnte. | |
| Zwei Vorbemerkungen sind unerlässlich. | |
| Erstens: Wer sich heute den Humanisten des 16. Jahrhunderts zuwendet, wird | |
| der Bezeichnung dieser Gruppe wegen leicht der Illusion erliegen, sie seien | |
| in irgendeiner Hinsicht modern, vergleichbar den Denkern der Aufklärung von | |
| Rousseau zu Kant. | |
| Das freilich ist falsch, denn tatsächlich trennt uns ein Abgrund von ihrem | |
| Denken. Längst konnte die Forschung zeigen, dass sich in ihren Schriften | |
| ein befremdliches, sagen wir: „mittelalterliches“ Weltbild artikuliert, für | |
| das Magie und Astrologie, Dämonologie und Hexen selbstverständliche, | |
| unbezweifelbare Gegebenheiten waren. | |
| Zweitens: Brunos Texte wurden in einem frühneuzeitlichen Italienisch | |
| verfasst, das in ein gegenwärtiges Deutsch zu übersetzen zu Fehlern und | |
| Missdeutungen führen kann. Deshalb empfiehlt es sich tatsächlich, die | |
| jeweils neueste, am besten ausgewiesene Übertragung heranzuziehen: hier die | |
| 2009 von Elisabeth und Paul Richard Blum sorgfältig erarbeitete und | |
| kommentierte Übersetzung. | |
| ## Mittelalterliches Weltbild | |
| Gerade diese Übersetzung aber gibt Brunos judenfeindliche Äußerungen im | |
| Dialog „Austreibung des triumphierenden Tieres“, erschienen 1584, | |
| unmissverständlich wieder. In einer Passage, in der die allegorischen | |
| Partner eines Dialogs darüber sprechen, wie ungerecht es sei, Verfehlungen | |
| der Eltern an den Kindern zu strafen, heißt es in der neuen Übersetzung, | |
| dass sich diese Überzeugung erstmals bei den Juden gefunden habe, „da diese | |
| ein so verpestetes, aussätziges und ganz allgemein verderbenbringendes | |
| Geschlecht sind, das eher vertilgt zu werden verdiente, als geboren“. | |
| Diese Behauptung vertrat Bruno in einer Zeit, als auf der italienischen | |
| Halbinsel, vor allem im Kirchenstaat, die Juden vertrieben wurden. Die, die | |
| blieben, wurden ghettoisiert sowie in ihrer Berufstätigkeit und | |
| Freizügigkeit massiv eingeschränkt, ihre Kinder wurden oft zwangsgetauft. | |
| Auf jeden Fall: Nicht einmal das Übersetzerduo Blum kommt umhin | |
| festzustellen, dass Bruno – wie es pointiert schreibt – ein „rabiater | |
| Judenfresser“ war. Entsprechend erwies sich Giordano Bruno in aller | |
| Konsequenz nicht nur als Feind des Judentums, sondern vor allem des | |
| Christentums, und zwar sowohl in seinen protestantischen als auch seinen | |
| katholischen Varianten. | |
| Unter dem Druck der Inquisition war Bruno gezwungen, sich einer Tarnsprache | |
| zu bedienen. Daher wird der Jude Jesus von Nazareth in der „Austreibung des | |
| triumphierenden Tieres“ mit dem Namen „Orion“ als ein Grieche genannt, der | |
| „aus dem unwürdigsten und verderbtesten Volk der Welt“ stamme und „von | |
| allerniedrigster Natur und Geiste“, er somit eine Person sei, „durch den | |
| das Ganze beschmutzt, geschädigt, durcheinander gebracht und von oben nach | |
| unten gekehrt“ werde. | |
| Dem niedrigen Stamme der Juden entspricht in Brunos „hate speech“ das | |
| unwürdige und verächtliche Geschlecht der Frauen. Im Vorwort seiner Schrift | |
| über die „Heroischen Leidenschaften“, 1585 erschienen, schreibt er in einer | |
| Polemik gegen den von dem Dichter Petrarca gehegten Kult heterosexueller, | |
| sinnlicher Liebe: | |
| „Ich will, dass die Frauen geehrt und geliebt werden sollen: aus dem Grund | |
| und in dem Maße, wie es ihrer unbedeutenden Schönheit, ihrem Glanz, solange | |
| er dauert, und ihrer Bestimmung, wenn sie erfüllt wird, gebührt. Denn sie | |
| besitzen keine andere als die naturgegebene Tugend, also Schönheit, Glanz | |
| und jene Bestimmung, ohne die man sie auf der Welt für nutzloser als einen | |
| giftigen Pilz halten müsste, der zum Schaden für bessere Pflanzen die ganze | |
| Erde bedeckt, und für störender als irgendeine Giftpflanze oder Viper, die | |
| ihren Kopf aus dem Boden steckt.“ | |
| Die angesprochene natürliche Bestimmung ist selbstverständlich keine andere | |
| als die der Gebärfähigkeit. | |
| ## Bartholomäusnacht | |
| Über all das hinaus war der von der katholischen Kirche verfolgte Bruno in | |
| den konfessionspolitischen Machenschaften seiner Zeit wenn auch | |
| widersprüchlich aktiv. So traf er 1582 in Paris den französischen König | |
| Heinrich III., der zehn Jahre zuvor, 1572, den Massenmord an 30.000 in | |
| Paris lebenden Hugenotten, die sogenannte „Bartholomäusnacht“, zu | |
| verantworten hatte. Kurz darauf, 1584, wird Giordano Bruno diesem | |
| Massenmörder auf dem Königsthron in devotester Weise seine Schrift über das | |
| „Aschermittwochsmahl“ widmen. | |
| Man kann es also drehen und wenden wie man will: Im besten Fall sind uns | |
| Gestalt und Name des Giordano Bruno so fern und unverständlich, dass es uns | |
| kaum noch gelingt, den Zeitabstand zu ihm zu überwinden, im schlechtesten | |
| Fall erscheint er als Vorläufer der negativsten geistigen Tendenzen des 20. | |
| Jahrhunderts. | |
| Einer der besten Kenner des Werks von Giordano Bruno, der | |
| Religionswissenschaftler Ioan Culianu, konnte daher schon 1984 urteilen: | |
| „Nun ist Bruno gewiss zum Propheten einer Religion geworden, die er gewiss | |
| nicht nur nie verkündigt hatte, sondern deren Ideale den seinigen vielmehr | |
| schroff entgegengesetzt sind. Der antidemokratischste Denker – als Symbol | |
| der Demokratie.“ | |
| ## „Evolutionären Humanismus“ | |
| Aber warum gibt sich dann eine für geistige Freiheit, Aufklärung und | |
| Humanität eintretende Stiftung Brunos Namen? Ein Irrtum? Oder deshalb, weil | |
| er ein Märtyrer geistiger Freiheit ist? Dafür hätten auch die Namen von | |
| Lessing oder des von dem Reformator Johannes Calvin verbrannten Michel | |
| Servet stehen können. | |
| Freilich geht es der Ideologie des „Evolutionären Humanismus“, einem | |
| militanten und intoleranten Atheismus, wie er von der Giordano Bruno | |
| Stiftung vertreten wird, weder um Toleranz und Humanität noch um ein | |
| respektvolles, aufgeschlossenes und lernbereites Gespräch unterschiedlicher | |
| Religionen und Weltanschauungen; auch nicht um einen Dialog, in dem die | |
| Gehalte, Reichtümer und Schätze, aber auch Fehler, Verbrechen und Vergehen | |
| von Weltanschauungen sensibel, selbstkritisch und respektvoll erörtert | |
| werden, sondern um eine weitere „Austreibung“: hier der Religionen aus dem | |
| öffentlichen Raum und Diskurs. | |
| Giordano Bruno nannte das „Spaccio“. Der von der nach ihm benannten | |
| Stiftung vertretene „Evolutionäre Humanismus“ erweist sich am Ende als | |
| oberflächliche, naturwissenschaftlich aufgeputzte Schwundstufe einer selbst | |
| noch nicht säkularisierten Weltanschauung, die in ihrem Dogmatismus dem | |
| religiösen Fundamentalismus der Gegenwart in nichts nachsteht, sondern sein | |
| geistiger Bruder ist. | |
| 21 Nov 2012 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kolumne-Gott-und-die-Welt/!102730/ | |
| ## AUTOREN | |
| Micha Brumlik | |
| ## TAGS | |
| Micha Brumlik | |
| Antisemitismus | |
| Beschneidung | |
| Bundeszentrale für politische Bildung | |
| Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Giordano Brunos Antisemitismus: „Martin Luther war viel schlimmer“ | |
| Warum ist die Giordano-Bruno-Stiftung nach einem erklärten Judenfeind | |
| benannt? Er ist ein Vorbild für säkulare Denker, sagt Michael | |
| Schmidt-Salomon. | |
| Diskussion im Bundestag: Religion vs. Kinderrechte | |
| Der Bundestag streitet darüber, ab welchem Alter Jungen beschnitten werden | |
| dürfen. Zwei Gesetzentwürfe konkurrieren miteinander. | |
| Kolumne Gott und die Welt: Der unangekündigte Besuch | |
| Die Bundeszentrale für politische Bildung reist für „Schnüffeleien“ zum | |
| Starnberger See. War Anonymität zu teuer? | |
| Beschneidungsdebatte: Genderbending für den Penis | |
| Eine verkappte Integrationsdebatte: In Köln wurde die „Akademie der Künste | |
| der Welt“ mit einer Veranstaltung zur Beschneidung eröffnet. | |
| Pro und Contra Beschneidungsgesetz: Ist das Beschneidungsgesetz gut? | |
| Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zu Beschneidungen vorgelegt. | |
| Erfüllt dieses den Zweck, Religionsfreiheit und Kindeswohl in Einklang zu | |
| bringen? | |
| Kinderarzt kritisiert Beschneidung: „Sie dürfen Kinder nicht betäuben“ | |
| Der Chef des Kinderärzteverbands sieht mehrere Widersprüche im | |
| Beschneidungsgesetz. Mängel bestünden vor allem in der Schmerzbehandlung. | |
| Kolumne Gott und die Welt: Ein würdiger Namensgeber | |
| „Zwangsbeschneidung ist Unrecht“ - sagt die Giordano-Bruno-Stiftung. Nach | |
| wem hat die sich eigentlich benannt? Nach einem rabiaten Antisemiten. | |
| Kolumne Gott und die Welt: Aus gegebenem Anlass | |
| Am Al-Quds-Tag sammeln sich Antizionisten und Antisemiten – mutmaßlich auch | |
| jüdische. Micha Brumlik begibt sich auf der Demo in Berlin auf Spurensuche. | |
| Debatte um „Bundesstaat Europa“: Föderalisten mit halbem Herzen | |
| Alle reden über die Krise des Euro und ihre Überwindung. Aber wie soll | |
| Europa sein? Ein Ort für angstfreies Anderssein und versöhnte | |
| Verschiedenheit. |