| # taz.de -- Pro und Contra Beschneidungsgesetz: Ist das Beschneidungsgesetz gut? | |
| > Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zu Beschneidungen vorgelegt. | |
| > Erfüllt dieses den Zweck, Religionsfreiheit und Kindeswohl in Einklang zu | |
| > bringen? | |
| Bild: Rechtssicherheit schaffen will das Bundeskabinett mit seinem Gesetzentwur… | |
| ## | |
| Die Bundespolitik duckt sich weg. Das ist die eigentliche Botschaft, die | |
| das Kabinett durch die Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur Beschneidung | |
| von Jungen aussendet. Die Regelung suggeriert lediglich besseren Schutz | |
| muslimischer und jüdischer Jungen, de facto aber schafft sie dafür keine | |
| Rahmenbedingungen. | |
| Die Debatte über die Frage, ob Beschneidungen Körperverletzungen sind oder | |
| zu schützende religiöse Tradition, verlief hysterisch. Grotesk waren | |
| Äußerungen wie die des niedersächsischen Verbandsvorsitzenden des | |
| Zentralrats der Juden: „Selbst im Dritten Reich gab es kein Verbot der | |
| Beschneidung.“ Aus Furcht vor religiös begründeter Hysterie sind Union und | |
| FDP eingeknickt. Schmallippig freuen sie sich über die durch „Beseitigung | |
| rechtlicher Unsicherheit“ geschaffene „Klarheit“. Das ist kein Lob für d… | |
| Inhalt eines Gesetzes, sondern für seine Funktion. Bloß weg mit der | |
| Debatte. | |
| Dafür nehmen die Gesetzesmacher argumentative Pirouetten in Kauf. Die | |
| Beschneidungsfrage wird nicht übers Staatskirchen- oder Religionsrecht | |
| geregelt, sondern übers Familienrecht. Dahinter steckt der Gedanke, Eltern | |
| wüssten schon am besten, was das Beste für ihr Kind sei. | |
| Folgt man der Logik der neuen Paragrafen, heißt das: Eine Handlung kann | |
| keine Körperverletzung sein, wenn die Eltern des betroffenen Kindes dazu | |
| ihren Segen geben. Auch der Hinweis, bei Beschneidungen dürfe das | |
| Kindeswohl nicht gefährdet werden, ist lächerlich. Die Sorge ums Kindeswohl | |
| ist eine ohnehin gesetzlich verankerte Aufgabe. Ihre spät eingefügte | |
| Erwähnung ist eine rhetorische Nebelkerze. Sie nutzt keinem Kind. | |
| Was wäre die Alternative gewesen? Zumindest hätten Regierung und Opposition | |
| das Ersetzen der Beschneidung durch einen unblutigen, symbolischen Akt zum | |
| Thema machen können. Diese Debatte gibt es unter Muslimen und Juden, aller | |
| behaupteten Absolutheit des Beschneidungsgebots zum Trotz. Den Beteiligten | |
| fehlte dazu der Mut. Verlierer sind Hunderttausende Jungen. Ihnen wird | |
| vorenthalten, was Politiker aller Parteien hatten: eine Wahl. MATTHIAS | |
| LOHRE | |
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| Ein Drittel aller Männer weltweit ist beschnitten. Nirgendwo in der Welt | |
| ist die Beschneidung von Knaben verboten. Deutschland wäre das erste Land | |
| mit einem solchen Verbot. Das allein stellt die Inbrunst infrage, mit der | |
| in Deutschland seit wenigen Wochen diskutiert wird. Und es ist nach dem | |
| singulären Urteil aus Köln richtig, wenn der Gesetzgeber nun klarstellt, | |
| dass in Deutschland die Beschneidung von Knaben weiterhin straffrei bleibt. | |
| Ein Verbot von Beschneidungen würde im Übrigen nur zu gefährlichen | |
| Nebeneffekten führen: Beschneidungstourismus, Hinterhofpfuschereien. Den | |
| Kindern wäre damit gerade nicht gedient. | |
| Auch Regelungen, die vor allem Juden treffen, etwa das Verbot von | |
| Beschneidungen durch nichtärztliche Mohel, stünden Deutschland nicht gut | |
| an. Nach allem, was Juden von Deutschen angetan wurde, sollte sich der | |
| Einsatz für jüdische Säuglinge nicht gerade gegen jüdische Eltern richten. | |
| Eine Beschneidung ist ein einfacher komplikationsarmer Eingriff, wenn er | |
| nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt wird. Und genau das | |
| schreibt der Gesetzentwurf vor. Wer in dieser Zurückhaltung des Bundestags | |
| ein Zeichen von Feigheit sieht, hat von der deutschen Geschichte nur wenig | |
| verstanden. | |
| Der US-Antibeschneidungsaktivist Dan Bollinger behauptet zwar, dass in den | |
| Vereinigten Staaten jährlich mehr als hundert Kinder an Beschneidungen | |
| sterben. Doch gibt es keine unabhängige Studie, die auch nur ansatzweise zu | |
| ähnlichen Ergebnissen kommt. | |
| Im Gegenteil: Die US-Vereinigung der Kinderärzte hat erst vor wenigen | |
| Wochen erklärt, dass die medizinischen Vorteile der Beschneidung (als | |
| Vorbeugung gegen Harnwegsinfektionen und andere Krankheiten) die Risiken | |
| überwiegen. | |
| Deutsche Kinderärzte sehen das zwar mehrheitlich anders. Aber solange die | |
| Faktenlage so umstritten ist (wie im Übrigen auch zu den sexuellen und | |
| psychischen Folgen), ist es das gute Recht der Eltern selbst zu | |
| entscheiden, ob sie ihren Sohn beschneiden lassen wollen oder nicht. | |
| CHRISTIAN RATH | |
| 14 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| M. Lohre | |
| C. Rath | |
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| Beschneidung | |
| Beschneidung | |
| Micha Brumlik | |
| Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
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