# taz.de -- Giordano Brunos Antisemitismus: „Martin Luther war viel schlimmer… | |
> Warum ist die Giordano-Bruno-Stiftung nach einem erklärten Judenfeind | |
> benannt? Er ist ein Vorbild für säkulare Denker, sagt Michael | |
> Schmidt-Salomon. | |
Bild: Der Judenfeind schaut auf die ewige Stadt – Statue Giordano Brunos in R… | |
taz: Herr Schmidt-Salomon, was haben Sie eigentlich an Weihnachten gemacht? | |
Michael Schmidt-Salomon: Wir haben gut gegessen, nette Leute getroffen, die | |
Kinder beschenkt. Zwar singen wir keine frommen Lieder unterm Tannenbaum, | |
aber ansonsten unterscheidet sich das, was wir an Weihnachten tun, nicht | |
viel von dem, was in christlichen Familien stattfindet. Die Bedeutung von | |
Weihnachten hat sich ja kulturell längst geändert. So wie einst die | |
Christen den 25. Dezember, an dem die Römer die Geburt des Sonnengottes Sol | |
feierten, in ihrem Sinne umdeuteten, verwandelt sich das christliche | |
Weihnachten nun in ein profanes Familienfest – und das ist auch gut so. | |
Warum haben Sie sich ausgerechnet einen abtrünnigen Dominikanermönch aus | |
dem 16. Jahrhundert, der unter anderem ein erklärter Judenfeind war, als | |
Namensgeber für Ihre Stiftung gewählt? Gab es keine besseren Alternativen? | |
Giordano Bruno war ein bedeutender Naturphilosoph, der seiner Epoche in | |
vielerlei Hinsicht vorauseilte. Da er 1600 auf dem Scheiterhaufen der | |
„Heiligen Inquisition“ verbrannt wurde, gilt er als eines der bekanntesten | |
Opfer religiöser Gewalt. Bedauerlicherweise hat Micha Brumlik in der taz | |
ein sehr einseitiges, verfälschendes Bild von Giordano Bruno gezeichnet. | |
Zwar war Bruno auch ein scharfer Kritiker der jüdischen Religion, aber bei | |
ihm findet man nicht jenen eliminatorischen Judenhass, für den etwa Martin | |
Luther bekannt ist. Nicht ohne Grund bezeichneten viele säkulare Juden wie | |
Albert Einstein und Erich Fromm Giordano Bruno als ihr Vorbild. Dieser | |
aufklärerischen Denktradition fühlen wir uns verpflichtet. | |
Die atheistische Giordano-Bruno-Stiftung hat sich schon früher | |
Antisemitismusvorwürfe eingehandelt, weil sich Juden in ihren Publikationen | |
in „Stürmer“-Manier dargestellt sahen. Herr Schmidt-Salomon, sind Sie zu | |
unsensibel gegenüber der Geschichte? | |
Der absurde Antisemitismusvorwurf wurde 2008 im Zuge einer Kampagne der | |
katholischen Kirche gegen mein religionskritisches Kinderbuch „Wo bitte | |
geht’s zu Gott?, fragte das kleine Ferkel“ erhoben. Allerdings fand der | |
Zentralrat der Juden mein Buch nicht antisemitisch und der Deutsche | |
Presserat tadelte Journalisten, die den Antisemitismusvorwurf ungeprüft | |
übernommen hatten. Da ich selbst seit Jahren als „Judensau“ beschimpft | |
werde und laut iranischem Fernsehen sogar ein besonders hinterlistiger | |
„Mossad-Agent“ bin, kenne ich antisemitische Ressentiments aus eigener | |
Erfahrung. Fehlende Sensibilität kann man da weder mir noch der Stiftung | |
vorwerfen. | |
Die Religion befindet sich hierzulande auf dem Rückzug. Spätestens mit der | |
Wiedervereinigung ist der Atheismus Teil des gesamten Deutschlands | |
geworden, immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Rennen Sie mit | |
Ihrer Religionskritik da nicht offene Türen ein? | |
In Westeuropa hat in den letzten Jahren tatsächlich ein bemerkenswerter | |
Säkularisationsschub stattgefunden – auch weil sich Religionskritiker heute | |
sehr viel deutlicher artikulieren können als früher. Allerdings dürfen wir | |
nicht übersehen, dass auch der religiöse Fundamentalismus an Zugkraft | |
gewonnen hat. Die Gefahr, dass das 21. Jahrhundert zu einem „Jahrhundert | |
der globalen Religionskriege“ wird, ist längst noch nicht gebannt. Nicht | |
ohne Grund hatten viele gesellschaftliche Debatten, die wir in den letzten | |
Jahren geführt haben, einen religiösen Unterton. | |
Diese Debatten drehten sich meist um den Islam. Dabei genießt das | |
Christentum, im Unterschied zu anderen Religionen, in Deutschland noch | |
immer eine Menge Privilegien. Ist es da nicht sehr populistisch, beim Thema | |
Bescheidungen oder im Moscheestreit von Köln ausgerechnet die Rechte von | |
Minderheiten in Frage zu stellen, weil einem da der Applaus der Mehrheit | |
eher gewiss sein kann? | |
Viele Aktionen der Giordano-Bruno-Stiftung richten sich gegen die | |
Privilegien der christlichen Kirchen – so wie unsere aktuelle Kampagne | |
gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz. Wir wenden uns dagegen, | |
dass kirchliche Institutionen in öffentlich finanzierten Kindergärten oder | |
Krankenhäusern Andersdenkende ausgrenzen und Mitarbeitern kündigen dürfen, | |
bloß weil sie in einer homosexuellen Beziehung leben oder einen | |
geschiedenen Partner geheiratet haben. In die Beschneidungsdebatte haben | |
wir uns erst eingemischt, als deutlich wurde, dass die Mehrheit der | |
Parlamentarier die Interessen von Religionsgemeinschaften höher gewichtet | |
als das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Unversehrtheit des | |
Kindes. Im Falle der Islamkritik haben wir uns entschieden von | |
fremdenfeindlichen Tendenzen abgegrenzt. So ist es nicht zuletzt der | |
Giordano-Bruno-Stiftung zu verdanken, dass Exmuslimen in Deutschland nun | |
Asyl gewährt wird. Zuvor waren die Behörden absurderweise davon | |
ausgegangen, dass diese Menschen nicht religiös verfolgt würden, obwohl sie | |
in ihren Herkunftsländern massiv bedroht werden. | |
Sie vertreten gegenüber Religionen eine „Null Toleranz“-Haltung. Wie | |
verträgt sich das mit Menschenrechten und Meinungsfreiheit? Dazu gehört | |
doch auch das Recht, Dinge zu glauben, die Sie vielleicht absurd finden. | |
Selbstverständlich hat jeder Mensch das Recht, zu glauben, was er will. Für | |
dieses Recht treten wir entschieden ein. Allerdings meinen wir, dass die | |
säkularen Rechtsnormen auch für die Religionsgemeinschaften bindend sein | |
müssen. Verstöße gegen die Menschenrechte sind prinzipiell nicht zu dulden | |
– selbst wenn sie mit noch so „heiligen“ Traditionen begründet werden. | |
Die großen totalitären Ideologien, die im 20. Jahrhundert so viel Unheil | |
gestiftet haben, kamen nicht nur ohne religiöse Begründung aus, sondern | |
richteten sich auch gegen Christen, Juden und Andersgläubige. Sind die | |
Weltreligionen da nicht der völlig falsche Feind? | |
Das sehe ich anders. Tatsächlich waren sowohl der Nationalsozialismus als | |
auch der Stalinismus „politische Religionen“, die alle Eigenschaften | |
besaßen, die vitale Glaubenssysteme auszeichnen: Sie verfügten über | |
„absolute Wahrheiten“ und „heilige Schriften, über „Propheten“ und | |
„Priester“, „Ketzer“ und „Inquisitoren“. Im Islamismus der Gegenwar… | |
ähnlich faschistoide Züge zu erkennen. Allerdings gebe ich gerne zu, dass | |
die Menschheit nicht nur von religiösen Ideologien bedroht wird. Deshalb | |
sehen wir die Hauptaufgabe der Giordano-Bruno-Stiftung auch nicht in der | |
Religionskritik, sondern in der Entwicklung humanistischer Alternativen, | |
die ein freies und gleichberechtigtes Zusammenleben aller Menschen | |
ermöglichen. | |
Die Religionsfreiheit gehört zum Erbe der Aufklärung. Wollen Sie sie | |
abschaffen? Oder welchen Platz sollten Religionen in einer modernen, | |
aufgeklärten Gesellschaft Ihrer Meinung nach haben? | |
Wir wollen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit nicht abschaffen, | |
sondern durchsetzen! In dieser Hinsicht gibt es nicht nur in islamischen | |
Ländern, sondern auch hier bei uns gravierende Defizite. Denken Sie nur an | |
die vielen Beschäftigten im sozialen und medizinischen Bereich, die | |
faktisch zur Kirchenmitgliedschaft gezwungen sind! Wir treten für eine | |
Politik ein, in der der Glaube tatsächlich sein kann, was er in einem | |
modernen Rechtsstaat sein sollte: nämlich eine Privatsache, die den | |
jeweiligen Arbeitgeber nichts angeht und in die sich auch der Staat nicht | |
einmischen darf, solange daraus keine Handlungen resultieren, die im | |
Widerspruch zur Rechtsordnung stehen. | |
Der Blick in die Vereinigten Staaten oder nach Frankreich zeigt: Auch wenn | |
diese Länder ihren Verfassungen nach den Religionen gegenüber neutraler | |
sind als das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, ist der religiöse | |
Glaube damit nicht aus der Öffentlichkeit verbannt. Der | |
Politikwissenschaftler Olivier Roy meint, dass dort die Gefahr sogar größer | |
ist, dass die Religion politisiert wird. Hat er nicht recht? | |
Richtig ist, dass die Trennung von Staat und Kirche zwar eine notwendige, | |
aber keine hinreichende Voraussetzung für eine moderne, aufgeklärte | |
Gesellschaft ist. Tatsächlich können Religionen, die sich auf einem freien | |
Weltanschauungsmarkt geschickt positionieren, sogar größere politische | |
Durchschlagskraft entfalten. Als libertär denkender Mensch plädiere ich | |
hier für größtmögliche Freiheit. Allerdings sollten wir verhindern, dass | |
die Religionsfreiheit zum Freibrief wird, um Rechtsnormen zu brechen. Denn | |
dies würde die universellen Menschenrechte aushebeln und all die | |
kulturellen Errungenschaften aufs Spiel setzen, die in den letzten | |
Jahrhunderten so mühsam erkämpft worden sind. | |
14 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Daniel Bax | |
## TAGS | |
Antisemitismus | |
Antisemitismus | |
Micha Brumlik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Urteil über antisemitisches Schandmal: Judenhass bleibt Judenhass | |
Die „Judensau“ darf ohne verständlichen Kontext in Wittenberg bleiben. Das | |
ist eine verpasste Chance mit weitreichenden Folgen. | |
Antibeschneidungskampagne: Wofür steht Giordano Brunos Name? | |
Eine Kolumne zur Beschneidungsdebatte brachte unserem Autor Micha Brumlik | |
Hassbriefe ein. Grund genug, weiter aufzuklären. | |
Kolumne Gott und die Welt: Ein würdiger Namensgeber | |
„Zwangsbeschneidung ist Unrecht“ - sagt die Giordano-Bruno-Stiftung. Nach | |
wem hat die sich eigentlich benannt? Nach einem rabiaten Antisemiten. |