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# taz.de -- Rebellen im Kongo: Die Stille nach der Schlacht
> Polizei und Armee sind weg, Strom und Wasser gibt es nicht. Nun versuchen
> die Rebellen, in der Millionenstadt Goma eine neue Ordnung zu schaffen.
Bild: Die Häftlinge des Gefängnisses in Goma sind alle geflohen, ...
GOMA taz | Die blaue Gefängnispforte steht sperrangelweit offen. Die Wände
im Vorraum des Innenhofs sind schwarz verrußt. Asche bedeckt den Boden –
die Reste verbrannter Akten. Ringsum sieht es aus, als habe eine Bombe
eingeschlagen: Plastikflaschen, Kleidung, Kondompackungen, Löffel,
Essensreste, eine Bibel, alles liegt in den Pfützen herum, eine geplatzte
Wasserleitung spritzt Fontänen in alle Richtungen. Es stinkt nach Urin und
Fäkalien.
Tausende Gefangene hausten bis vergangene Woche hier in Gomas
Zentralgefängnis Munzenze wie Tiere: Räuber, Vergewaltiger, Verbrecher,
politische Gefangene, mit Frauen und Kindern. Sie blieben sich selbst
überlassen, kaum ein Wächter hat sich je in die fensterlosen Zellen
getraut. Als letzte Woche die M23-Rebellen Goma eroberten, revoltierten die
Gefangenen.
„Während rundherum geschossen wurde, flohen die Wächter“, sagt Arlette
Shamamba. Das 16-jährige Mädchen sitzt vor der offenen Gefängnistür auf
einem kantigen Lavastein und schält Süßkartoffeln. Sie ist die Tochter
eines Gefängniswärters. „Die Gefangenen haben Feuer gelegt und einige
kletterten aus den Fenstern im ersten Stock, sie haben dann die Pforte
geöffnet, und alle sind geflohen.“
Das leere Zentralgefängnis liegt mitten im Zentrum von Ostkongos
Millionenstadt Goma. Rund um die Gefängnismauern stehen schräge
Wellblechhütten und Zelte aus Plastikplanen dicht an dicht, dazwischen
fließen Rinnsale stinkender Abwässer durch schwarzgrauen Lavastaub.
## Leere in der Markthalle
In diesem Viertel leben Polizisten mit ihren Familien im Dreck wie in einem
Flüchtlingslager. Frauen und Mädchen wie Arlette kochen auf Holzkohleöfen
Reis mit Bohnen. Von ihren Ehemännern und Vätern – den Sicherheitsbeamten �…
ist nichts mehr zu sehen. „Mein Vater ist geflüchtet, als die Rebellen die
Stadt einnahmen“, seufzt Arlette.
Wenige hundert Meter weiter liegt Gomas große Markthalle. Bis unter die
hohe Decke erstrecken sich nackte Holzgerüste. Wo sonst Stoffe, Wolldecken,
Hemden, Jeans, T-Shirts und Röcke in bunten Farben hängen, gibt es nur
gähnende Leere. Es ist fast so still wie einer Kirche.
Jenseits der Stoffabteilung sortieren rund ein Dutzend Frauen Tomaten,
Bohnen, Auberginen und Zwiebeln. Eine Handvoll kräftiger Männer zerhacken
mit einem Beil ein totes Rind. Nur wenige Händler haben eine Woche nach den
Kämpfen wieder ihre Geschäfte aufgenommen.
Rebecca Kika hat sich für ihren ersten Arbeitstag schick gemacht: Die
Halskette um ihren zarten Nacken funkelt, ihr rostbraunes Kleid ist mit
Stickereien verziert, dazu trägt sie passenden Lidschatten. Mit geschickten
Handgriffen legt sie ihre Auberginen zurecht und türmt je fünf zu einem
kleinen Haufen. „Es gibt ja kaum Kundschaft hier, und es gibt auch kaum
Geld in der Stadt – es ist wirklich eine Katastrophe“, sagt Kika.
Seit die Rebellen Goma kontrollieren, hat sich das Leben der eifrigen
Marktfrau verändert. Als die Soldaten der Regierungsarmee abzogen, kappten
sie die Stromleitungen. Schon seit über einer Woche gibt es in der
Millionenstadt weder Elektrizität – außer aus Generatoren – noch fließen…
Wasser, weil die Pumpen nicht funktionieren. Kika muss morgens um sechs Uhr
vier Kilometer bis zum Ufer des Kivu-Sees marschieren, um dort einen
20-Liter-Kanister aufzufüllen.
Statt die Kinder zur Schule zu schicken, macht sie sich Sorgen. Ihre vier
Mädchen trauen sich kaum aus der Hütte: „Sie sind traumatisiert, sie haben
keinen Appetit und haben Albträume.“
## „Ich habe keine Wahl“
Die Mädchen hätten aus Angst geweint, als sie am Morgen das Haus verließ,
um zum Markt zu gehen. „Ich habe keine Wahl“, sagt sie, „ich muss doch
etwas Geld verdienen.“
Dann kramt sie ihr Telefon aus der Rocktasche. „Ohne Strom können wir die
Handys nicht aufladen, und ich kann nicht einmal meine Kinder anrufen“,
sagt sie und blickt auf das schwarze Display. Während der Gefechte hätten
Verwandte und Freunde stets Alarm geschlagen. Das geht jetzt nicht mehr.
„Ich fühle mich ohne Handy nicht sicher in Goma“, sagt Kika und sortiert
weiter ihre Auberginen.
Auch ihre Lieferanten kann sie nicht mehr erreichen. Statt wie sonst die
Auberginen direkt vom Lastwagen zu kaufen, der aus dem Umland die Produkte
der Bauern bringt, läuft sie jetzt jeden Morgen über die Grenze nach
Ruanda, in die Nachbarstadt Gisenyi. „Wegen der Kämpfe kommen keine
Lastwagen mehr nach Goma“, sagt sie. Doch die Preise in Ruanda seien hoch,
noch dazu muss sie den Wechselkurs einkalkulieren. Kika fängt an zu
rechnen: Einen Korb Auberginen kaufte sie bislang für 3.000 kongolesische
Franc ein (3 Euro). An diesem Morgen musste sie umgerechnet 4.500 Franc
hinlegen. Kika schüttelt den Kopf. „Erst überfallen uns die Ruander“, sagt
sie, „dann profitieren sie auch noch von unserem Leid.“
Seit dem Einmarsch der Rebellen ist in Goma nichts mehr wie vorher. Die
sonst so geschäftige Stadt ist fast wie ausgestorben, auch jetzt noch, eine
Woche nachdem die Rebellen sie übernommen haben. Die meisten der unzähligen
kleinen Läden bleiben geschlossen. Die Türen sind mit großen
Vorhängeschlössern verriegelt. Die vielen Nachtclubs, aus denen zu besseren
Zeiten bis zum Morgengrauen Lingala-Takte hallen, sind verrammelt.
## Warten auf den Stadtverwalter
Von den Rebellen selbst ist kaum etwas zu sehen. Die Kommandeure haben sich
in einem Militärlager aus Zelten auf dem Goma-Berg eingenistet, dem
höchsten Punkt in der großen Stadt. Ab und zu braust ein Pick-up mit hoher
Geschwindigkeit die Hauptstraße entlang, mit bewaffneten Leibgarden auf der
Rückbank. Die Fensterscheiben sind schwarz getönt, damit man die
Kommandeure nicht identifizieren kann. Die meisten dieser Fahrzeuge
gehörten bislang den Beamten der Provinzregierung – jetzt sind sie
beschlagnahmt.
Die Mehrheit der Kämpfer wurden bereits an die Frontlinien außerhalb Gomas
verlegt, um das M23-Territorium zu sichern.
In der Abenddämmerung schlurft ein Soldat durch die Gasse, ein paar hundert
Franc in der Hand, um Zigaretten zu kaufen. Ein Offizier im Pick-up-Truck
hält neben ihm und schreit ihn an: „Wo ist deine Einheit, wo ist dein
Vorgesetzter?“ Der Soldat stammelt verunsichert. Ehe er sich erklären kann,
umzingeln ihn seine Kameraden und verfrachten ihn auf den Pick-up. „Wir
verhaften jeden, der sich nicht an die Regeln hält“, sagt der M23-Oberst
und düst davon.
Geschäftigkeit gibt es in Goma nur um die paar großen Hotels in der
Innenstadt. M23-Soldaten in blauen Polizeiuniformen bewachen die
Eingangstore. Große Geländewagen stehen im Innenhof. Geschäftsleute und
ehemalige Staatsangestellte mit Anzug und Krawatten sitzen im
Eingangsbereich auf Ledersesseln. Sie alle warten auf den neuen
M23-Stadtverwalter von Goma: Sendugu Museveni.
## Telefone vibrieren wild
Der Politiker in schwarzem Anzug sitzt auf der Veranda. Seine zwei Telefone
klingeln und vibrieren, der Tisch wackelt: Ständig muss er mit den
Kommandeuren die Sicherheitslage durchsprechen. „Wir haben Tausende
Verbrecher in der Stadt, die aus dem Gefängnis getürmt sind“, erklärt er.
Bis Anfang 2009 führte Museveni die kongolesische Hutu-Miliz Pareco
(kongolesische Widerstandspatrioten), die damals gegen die Tutsi im
Ostkongo kämpfte. Jetzt arbeitet er mit ihnen zusammen. Wenn man ihm
zuhört, klingt es, als werde demnächst in Goma wieder alles normal. Zoll-
und Grenzbeamte haben unter M23-Führung die Arbeit wieder aufgenommen. Der
Bürgermeister, der mit anderen Staatsangestellten bei der Eroberung Gomas
von UN-Helikoptern evakuiert worden war, wurde von seinem Stellvertreter
ersetzt. „Wir wollen, dass die Beamten mit uns zusammenarbeiten“, sagt
Museveni.
Dann hetzt er los, um einen M23-Oberst zu empfangen, der mit neuen
Anweisungen auf der Veranda steht. Demonstrativ wird klar, wer hier das
Sagen hat. An den wackligen Tisch setzt sich Ngere Kambasu, der
M23-Minister für Versöhnungspolitik. Auch seine Telefone vibrieren wie
wild. Er ignoriert es.
Auch er schildert, wie eine neue Verwaltung entsteht: Ministerien wurden
eingerichtet. Die M23 übernehme jetzt die Buchführung über die Staatskasse
und die Zolleinkünfte. Kambasu verspricht, dass alle Staatsangestellten wie
Polizisten jetzt „ordnungsgemäß und pünktlich“ bezahlt werden. Also ande…
als früher. Er lächelt. „Wir schaffen einen Modellstaat mit null Toleranz
für Korruption.“
Und die vielen geflohenen Gefangenen? Die M23 baut jetzt eine
Parallelstruktur zum „korrumpierten“ Justizapparat auf, sagt der Minister:
Sicherheitskomitees, die bereits in den von der M23 „befreiten“ Gebieten
erfolgreich gearbeitet hätten. Sie sollen nun 48 Stunden Zeit haben, die
Ausbrecher zu finden. Damit sie wieder eingesperrt werden können – sobald
die M23 das Gefängnis aufgeräumt hat. „Unter diesen Bedingungen kann man da
ja keinen reinstecken.“
28 Nov 2012
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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