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# taz.de -- Polizeiwissenschaftlerin zu Rassismus: „Alle Stereotype der Mitte…
> Für die Polizeiwissenschaftlerin Astrid Jacobsen haben deutsche
> Polizisten kein Rassismusproblem. Stattdessen denken sie in typischen
> Mittelschichtklischees.
Bild: Aus der Kriminalstatistik können keine Rückschlüsse auf das tatsächli…
taz: Frau Jacobsen, im Zuge der Ermittlungen gegen die Terrorgruppe NSU
wird viel über mögliches Fehlverhalten der Ermittlungsbehörden diskutiert.
Hat die deutsche Polizei ein Rassismusproblem?
Astrid Jacobsen: Den Vorwurf der gezielten Diskriminierung von Menschen
anderer Hautfarbe und Herkunft durch die Polizei halte ich nicht für
gerechtfertigt. Die Polizei hat kein strukturelles Rassismusproblem. Diese
Perspektive geht am eigentlichen Problem vorbei. Das ist subtiler.
Wo liegt also das subtile Problem?
Polizisten müssen permanent Entscheidungen treffen, wen sie in den
polizeilichen Blick nehmen. Das ist unproblematisch, wenn es einen
begründeten Verdacht oder eine glaubwürdige Täterbeschreibung gibt. Wenn
aufgrund von Zeugenaussagen ein männlicher Bankräuber im Alter von 20–25
Jahren mit dunkler Hautfarbe gesucht wird, ist dagegen nichts einzuwenden.
Problematisch wird es, wenn unklar ist, nach wem gesucht oder wer
kontrolliert werden soll.
Dann müssen die Beamten selbst Kriterien entwickeln, wen sie auswählen.
Leider werden dann immer wieder gängige Vorurteile und Klischees
herangezogen, die auch an sichtbaren Merkmalen ethnischer Zugehörigkeit
festgemacht werden. Bestimmtes kriminelles Verhalten wird mit bestimmten
Gruppen verbunden. Beispielsweise Russen mit Gewalt, dunkle Hautfarbe mit
Aufenthaltsdelikten etc.
Woran orientieren sich Polizisten in der Regel?
Die wichtigste Quelle ist wohl die polizeiliche Erfahrung, die Einzelne
machen und die in Erzählungen weitergegeben werden. Polizeiarbeit lebt
davon, dass die Kollegen sich erzählen, was sie in ihrem Revier erlebt
haben. Zudem wird die Polizeiliche Kriminalstatistik für die Begründung der
Auswahl der Zielgruppe herangezogen.
Das ist aber problematisch. Schließlich weisen die Kriminalstatistiken
stets eine Häufung von Straftaten bei Ausländern auf, weil dort auch
Gesetzesverstöße erfasst werden, die deutsche Staatsbürger gar nicht
begehen können. Etwa die Verletzung der Residenzpflicht.
Richtig. Außerdem ist es ein Tätigkeitsbericht der Polizei. Man kann aus
ihm keine Rückschlüsse über das tatsächliche Aufkommen von Straftaten
ziehen. Die Verwendung dieser Quellen birgt die Gefahr der
Verallgemeinerung von Einzelfällen oder Häufungen, die dann zur
Stigmatisierung einer ganzen Gruppierung führen. Eingefahrene Vorstellungen
werden bestätigt, ohne jede empirische Grundlage. Damit sind sie unzulässig
und im Übrigen auch kaum brauchbar, um Ermittlungserfolge zu erzielen.
Was sind die häufigsten Klischees?
Alle Klischees, die sich in der Gesellschaft auch wiederfinden. Die
überwiegende Mehrheit der Polizisten rekrutiert sich aus der Mittelschicht
in Deutschland, entsprechend sind typische Mittelschichtsklischees
vertreten. Zum Beispiel: Einer meiner Studenten, dem man seinen
Migrationshintergrund ansah, wollte sich vor seinem Praktikum auf seiner
Dienststelle vorstellen. Er wurde, mit der Bitte zu warten, vor das
Vernehmungszimmer gesetzt.
Nach einer halben Stunde kam jemand vorbei und wunderte sich über den
Wartenden, da derzeit keine Vernehmung anberaumt war. Diese kleine
Geschichte zeigt, wie sehr Klischees – egal ob unter Kollegen oder im
Bürgerkontakt – polizeiliches Handeln beeinflussen. Dabei stellen
Polizistinnen und Polizisten natürlich genauso wenig eine homogene Gruppe
dar, wie es die Migranten sind.
In Rheinland-Pfalz (Betzdorf) wurde unlängst ein türkischer Vater
verhaftet, nachdem bei ihm eingebrochen worden war. Die Beamten gingen
ungefragt von häuslicher Gewalt aus.
Möglicherweise nahmen die Beamten an, dass ein türkischer Familienvater
eher Täter als Opfer ist. Unsere Forschungen zeigen, dass die allgemeine
Erwartung, dass Männer in der Regel Täter und Frauen in der Regel Opfer
sind, häufig verstärkt wird, wenn ein Migrationshintergrund mit im Spiel
ist.
Mit Blick auf die NSU-Ermittlungen. Wo könnten dort solche
Mittelschichtsklischees eine Rolle gespielt haben?
Die Ermittlungen wurden in die Richtung bestimmter Gruppen gelenkt, etwa
wurden Roma und Sinti verdächtigt. Das gesellschaftliche Bild von Roma und
Sinti wird gerne mit Kriminalität und Sippenverhalten verbunden. So rückten
die Opfer in die Nähe der organisierten Kriminalität.
An Bahnhöfen werden überdurchschnittlich viele Menschen mit dunkler
Hautfarbe kontrolliert. Verstärkt dieses „racial profiling“
fremdenfeindliche Vorurteile in der Gesellschaft?
Die überdurchschnittlichen Kontrollen von Menschen mit sichtbarem
Migrationshintergrund in Deutschland sind durch eine EU-Studie von 2010
empirisch belegt. Auch die öffentliche Wirkung der vermehrten Kontrollen
ist bekannt: Sie fördern ethnische Spannungen sowie die Ablehnung der
betroffenen Minderheiten gegenüber der Polizei und der
Mehrheitsgesellschaft.
Welche Möglichkeiten zur Verbesserung sehen Sie?
Wir müssen mehr über polizeiliche Auswahlkriterien wissen. Forschung kann
hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie polizeiliche
Handlungsmuster untersucht und kritisch hinterfragt. Klischees in der
Polizeiarbeit müssen aufgedeckt und thematisiert werden. Das setzt die
Bereitschaft von Polizei und Politik voraus, diese Forschungsergebnisse zur
Kenntnis zu nehmen und etwa in Aus- und Fortbildung oder in der
Formulierung polizeilicher Ziele umzusetzen.
Die Debatte um die NSU-Ermittlungen konzentriert sich bislang auf das
Konkurrenzgerangel und die Kommunikation zwischen den Behörden. Warum?
Ich bedaure, dass die Debatte, wie es zu falschen Verdächtigungen
bestimmter Gruppierungen kam, so schnell abgeklungen ist. Offensichtlich
ist es einfacher, aus Kommunikationsproblemen politische Konsequenzen zu
ziehen, als sich mit polizeilichen Wahrnehmungs- und Selektionsmustern zu
beschäftigen.
10 Dec 2012
## AUTOREN
Fabian Jellonnek
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Polizei
Forschungsprojekt
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Gericht
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