# taz.de -- Jagd auf „Illegale“ in Schweden: Rassistische Ausweiskontrollen | |
> Schwedens Polizei überprüft verstärkt Personen, die keine gültigen | |
> Aufenthaltsgenehmigungen haben könnten. Ein Kriterium für die Kontrollen: | |
> die Hautfarbe. | |
Bild: Fahrgäste in der Stockholmer U-Bahn | |
STOCKHOLM taz | Gonzalo Munoz ist Schwede. Das muss er derzeit regelmäßig | |
beweisen, wenn er in Stockholms U-Bahn unterwegs ist. Polizei in Zivil oder | |
Uniform sortierte ihn wiederholt aus der Menge der Reisenden aus und | |
erklärte ihm auf Englisch, er habe sich auszuweisen, da er unter Verdacht | |
stehe, sich illegal im Land aufzuhalten. | |
Das einzige Kriterium für diesen Verdacht scheint seine Hautfarbe zu sein – | |
er hat chilenische Eltern. „Diskriminierend“ findet er das: „Kontrollen | |
sind offenbar alleine auf Vorurteilen und Rassismus begründet.“ | |
Munoz steht mit dieser Erfahrung nicht allein. Schwedens Polizei hat seit | |
zwei Wochen ihre Jagd auf „Illegale“ verschärft. Reva heißt die Aktion – | |
„Rechtssichere und effektive Vollzugsarbeit“. | |
Ziel ist eine Verminderung der Anzahl von Menschen, die sich ohne | |
erforderliche Aufenthaltpapiere im Land aufhalten. Nach Schätzungen von | |
Sozialbehörden sind das zwischen 10.000 und 50.000 Personen. | |
Die Vorgehensweise: Papierlose mit Hilfe systematischer Kontrollen dort | |
aufspüren und festnehmen, wo sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit | |
aufhalten: in öffentlichen Verkehrsmitteln, Einkaufszentren, auf | |
Wochenmärkten. Ein Polizeisprecher skizzierte auch schon die nächste | |
mögliche Stufe: Razzien in Obdachlosenunterkünften und Krankenhäusern. Und | |
auch schon mitten in eine Hochzeitsfeier drangen Beamte ein. | |
Hinter der verschärften Praxis steht die konservativ-liberale Regierung, | |
die sich bislang im EU-Vergleich eher mit einer unaufgeregten | |
Migrationspolitik ausgezeichnet hatte. Doch in letzter Zeit hat eine | |
deutlich einwanderungskritischere Rhetorik Einzug gehalten. | |
Da warnt Migrationsminister Tobias Billström von einem zu großen „Volumen“ | |
an Flüchtlingen. Man müsse Fragen im Zusammenhang mit einer zu hohen | |
Belastung des Sozialstaats stellen, Zuwanderung im Rahmen der | |
Familienzusammenführung solle begrenzt werden. | |
## „Polizeistaat? Nein Danke„ | |
Was wie ein Echo auf die migrationsfeindliche Hetze der | |
rechtspopulistischen „Schwedendemokraten“ klingt, ist offenbar deren | |
positiven Umfragewerten geschuldet: Zumindest Teile der Regierung glauben | |
„Initiative“ zeigen zu müssen. | |
Doch dieses Vorgehen macht böses Blut. „Sollen unsere Städte in Orte | |
verwandelt werden, wo Menschen gejagt werden, deren einziges Verbrechen es | |
ist, keine gültigen Ausweispapiere zu haben“, heißt es in einem am Freitag | |
lancierten Aufruf mit dem Titel „Polizeistaat? Nein danke!“ | |
Zu den Erstunterzeichnern gehören 161 Schriftsteller, Journalisten, | |
Kirchenleute und Kulturschaffende. Sie wenden sich dagegen, dass die | |
Polizei mit Kontrollkriterien wie einem „ausländischen Aussehen“ ein | |
„Mandat bekommen hat, strukturell rassistisch zu agieren“. | |
## „Rassengesetze" | |
Über „Rassengesetze in der U-Bahn“ schreibt auch das sozialdemokratische | |
Aftonbladet. Und der liberale „Dagens Nyheter“ titelt: „Blast diese Jagd | |
ab.“ „Papierlose“ seien ein vielschichtiges Problem, dem man anders | |
begegnen müsse. Und die Zeitung fragt: Wie viele Polizisten sich wohl für | |
das schämen, wozu sie hier gezwungen würden? | |
Das Fernsehens schilderte den Fall eines Kranken, der in Lebensgefahr | |
geriet, weil er sich wegen der Kontrollen nicht mehr traute, zum Arzt zu | |
gehen. Mittlerweile wird [1][mit Flugblättern vor den Polizeikontrollen | |
gewarnt] und diese stehen selbst unter Überwachung. Über den | |
Facebook-Account „RevaSpotter“ werden deren Standorte sofort verbreitet. | |
Flüchtlingsnetzwerke fordern auf, sich in der Nähe der Kontrollen | |
aufzuhalten und zu fotografieren. | |
Auf diese Initiativen reagierte die Polizeiführung irritiert. Am Dienstag | |
warnte ein Menschenrechtsexperte des Außenministeriums in der Tageszeitung | |
Svenska Dagbladet, diese Kontrollen seien ein Verstoß gegen die Europäische | |
Menschenrechtskonvention und Stockholm laufe Gefahr, in Straßburg deswegen | |
verurteilt zu werden. | |
26 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://sphotos-b.ak.fbcdn.net/hphotos-ak-ash3/563419_329153847196331_341168… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
Reinhard Wolff | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Migration | |
Flüchtlinge | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anonyme Sprechstunde für Flüchtlinge: Papierlose Patienten | |
Der Staat verweigert Menschen ohne Aufenthaltsstatus die | |
Gesundheits-Versorgung. In Oldenburg fordern Grüne, Linke und Piraten eine | |
anonyme Sprechstunde. | |
Brennende Autos in Stockholm: Aus Frust wird Gewalt | |
Seit Pfingsten werden im Stockholmer Vorort Husby jede Nacht Autos | |
angezündet. Dort sind 40 Prozent der unter 25-Jährigen arbeitslos. | |
Rassistische Angriffe: "Das Opfer vernichten" | |
Nach einer rassistischen Attacken werden viele Betroffene durch Polizei und | |
Justiz noch mal zum Opfer gemacht, sagt der Psychotherapeut Eben Louw. | |
Polizeigewerkschafter über Rassismus: „Ich verstehe den Vorwurf nicht“ | |
Wer nichts verberge, kann sich auch kontrollieren lassen, sagt | |
Polizeigewerkschafter Witthaut. Eine unabhängige Beschwerdestelle findet er | |
dennoch nicht gut. | |
Polizeiwissenschaftlerin zu Rassismus: „Alle Stereotype der Mittelschicht“ | |
Für die Polizeiwissenschaftlerin Astrid Jacobsen haben deutsche Polizisten | |
kein Rassismusproblem. Stattdessen denken sie in typischen | |
Mittelschichtklischees. | |
Rechte „Schwedendemokraten“: Rücktritte nach Randale | |
Zwei Lokalpolitiker der rechten „Schwedendemokraten“, die randalierend | |
durch Stockholm zogen, treten zurück. Dabei wollte sich die Partei ein | |
neues Image geben. | |
Europäische Flüchtlingspolitik: Todesfalle Mittelmeer | |
Lange waren nicht mehr so viele „Boatpeople“ aus Afrika nach Europa | |
unterwegs. Die Anrainer versuchen sich vor der Verantwortung drücken. Viele | |
Menschen ertrinken. |