# taz.de -- Polizeigewerkschafter über Rassismus: „Ich verstehe den Vorwurf … | |
> Wer nichts verberge, kann sich auch kontrollieren lassen, sagt | |
> Polizeigewerkschafter Witthaut. Eine unabhängige Beschwerdestelle findet | |
> er dennoch nicht gut. | |
Bild: Dieser Mann hat offensichtlich nichts zu verbergen: Polizeikontrolle in F… | |
taz: Herr Witthaut, im Zuge der NSU-Affäre ist die Polizei in die Kritik | |
geraten: Sie habe nur gegen Migranten ermittelt und Rechtsextreme als Täter | |
ausgeschlossen. Was sagen Sie dazu? | |
Bernhard Witthaut: Ich kann nachempfinden, dass die Angehörigen emotional | |
stark betroffen sind und dass dann auch pauschal Vorwürfe erhoben werden. | |
Aber man kann es den Kollegen in der Mordkommission nicht vorwerfen, dass | |
am Ende nur noch in eine Richtung ermittelt wurde. Dass das | |
Bundeskriminalamt nicht zentral die Ermittlung übernommen hat, ist das | |
Ergebnis politischen Gerangels und die Entscheidung der Innenminister. Wir | |
können aber heute nicht wissen, ob das BKA überhaupt andere | |
Ermittlungsansätze gefunden hätte als die Mordkommissionen. | |
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, hat | |
von „institutionellem Rassismus“ gesprochen. | |
Das ist völlig falsch, und das weise ich vehement von uns. Wir sind nicht | |
auf dem rechten Auge blind, und es gibt bei der Polizei auch kein | |
Mentalitätsproblem. Und ich kann nur plädieren, mit dem Wort „Rassismus“ | |
etwas vorsichtiger umzugehen, wenn einem an einer sachlichen | |
Auseinandersetzung gelegen ist. | |
Was kann die Polizei tun, um bei Migranten wieder mehr Vertrauen zu | |
gewinnen? | |
Wir sind schon seit Jahren dabei, nicht nur die interkulturelle Kompetenz | |
unserer Kolleginnen und Kollegen zu fördern, sondern auch Menschen mit | |
Migrationshintergrund den Weg in den Polizeidienst zu öffnen. Und da es | |
immer mehr werden, kann es um das Image der Polizei in der | |
Migranten-Community nicht so schlecht bestellt sein. | |
Im Rahmen der NSU-Affäre wurde bekannt, dass zwei Polizisten in | |
Baden-Württemberg mal beim Ku-Klux-Klan waren. Muss die demokratische | |
Einstellung von Bewerbern stärker kontrolliert werden? | |
Bei der Polizei gibt es keine Gesinnungstests. Natürlich interessiert bei | |
den Einstellungsgesprächen, ob die demokratische Grundhaltung vorhanden | |
ist. Auch die Gewerkschaft der Polizei ist sehr daran interessiert, dass | |
Leute, die sich etwa während der Ausbildung in Uniform mit dem Hitlergruß | |
abbilden lassen, meist unter dem Einfluss alkoholischer Getränke, sofort | |
aus dem Polizeidienst entlassen werden. Solche Fälle gibt es. Der | |
Selbstreinigungsprozess funktioniert aber. Und aus meiner Sicht machen | |
solche schwarzen Schafe angesichts von 260.000 Polizisten bundesweit | |
allerdings nur einen verschwindend geringen Anteil aus. | |
Dennoch bleiben die schwarzen Schafe beim Ku-Klux-Klan. | |
Was mich an dem Fall ärgert, ist, dass man das nicht rechtzeitig aufgeklärt | |
hat und auch später, als man es wusste, gezögert hat, daraus Konsequenzen | |
zu ziehen. Das halte ich für falsch. | |
Opferverbände beklagen, dass die Polizei bei rassistischen Taten oft | |
einseitig ermitteln würde. Zu Recht? | |
Ich verstehe den Vorwurf nicht. Da muss man sich jeden Einzelfall genau | |
ansehen. Die Polizei muss ja be- und entlastendes Material sammeln, im | |
Auftrag und in enger Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. Es kommt | |
aber oft vor, dass erst in der Gerichtsverhandlung die wahren Tatmotive | |
zutage treten. | |
Die Amadeu Antonio Stiftung wirft der Polizei vor, dass Rassismus als Motiv | |
zu oft vorschnell ausgeschlossen werde. | |
Die Stiftung geht von 190 Mordfällen seit 1990 aus, bei denen ein | |
rechtsradikales Motiv vorgelegen haben soll, die offiziellen Zahlen liegen | |
bei 46 oder 47. Die Stiftung sagt aber nicht, wie sie zu dieser Beurteilung | |
kommt. Es wäre aus meiner Sicht wichtig, mal aufzuklären, worauf diese | |
Differenz beruht. Vielleicht kommt es auch darauf an, ob man die Zahl vor | |
Beginn eines Verfahrens erhebt oder danach. Sonst wird nur mit Vorwürfen | |
gearbeitet, aber das Problem nicht gelöst. | |
Menschen mit dunkler Hautfarbe klagen darüber, dass sie häufiger von der | |
Polizei kontrolliert werden als andere Bürger. Gerade wurde eine Petition | |
eingebracht, um verdachtsunabhängige Kontrollen zu verbieten. Ist das | |
angebracht? | |
Ein Polizist muss sein Erfahrungswissen anwenden können. In der Region, aus | |
der ich komme, gibt es zum Beispiel ein Asylbewerberheim, von dem die | |
Polizei weiß, dass da mit Rauschgift gehandelt wird. Da leben viele | |
Menschen aus afrikanischen Ländern, von ihnen bestimmen viele die | |
Drogenszene. Wenn ein Polizist dann so jemanden am Bahnhof in Osnabrück | |
sieht, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Stoff dabei hat, ziemlich | |
hoch. Ob der Betroffene das als diskriminierend empfindet oder lediglich | |
sauer ist, dass die Polizei seine Drogengeschäfte vereitelt hat, mag | |
dahingestellt sein. Wenn ich nichts zu verbergen habe, dann kann ich mich | |
ja auch kontrollieren lassen, oder? | |
Manchmal eskalieren solche Situationen aber in Gewalt. | |
Das darf nicht passieren. Der Bürger muss akzeptieren, dass er kontrolliert | |
wird. | |
In Großbritannien gibt es eine unabhängige Beschwerdestelle, um | |
polizeiliches Fehlverhalten besser ahnden zu können. Eine gute Idee? | |
Bei uns liegt die Zuständigkeit für die Polizei bei den Bundesländern, in | |
England gibt es eine völlig unabhängige Organisationsstruktur. In | |
Sachsen-Anhalt etwa haben wir eine Beschwerdestelle, die beim | |
Innenministerium angesiedelt ist. Die Erfahrungen dort sind gut. Aber ich | |
finde es falsch, die Polizei unter einen Pauschalverdacht zu stellen. Und | |
das wird mit so einer Beschwerdestelle suggeriert. | |
Würde es die Polizei nicht entlasten, wenn andere gegen ihre Kollegen | |
ermitteln? | |
Wenn Kollegen betroffen sind, dann werden ja meist andere Dienststellen mit | |
den Ermittlungen beauftragt. Und dass Polizisten sich in so einer Situation | |
auch nicht scheuen, eine Strafanzeige gegen Kolleginnen und Kollegen zu | |
erstatten, wenn der Vorwurf im Raum steht, dass sie übermäßig | |
eingeschritten sind, hat sich oft gezeigt. Mittlerweile ist die Polizei | |
sensibilisiert. | |
Wie geht man mit Rassismus in den eigenen Reihen um? | |
Die Gewerkschaft der Polizei hat sich schon immer gegen solche Gesinnungen | |
gewandt. Wir waren die Ersten, die es Parteimitgliedern der Republikaner | |
untersagt haben, bei uns Mitglied zu sein. Für unseren Kampf gegen | |
Rechtsextremismus in der Gesellschaft sind wir seinerzeit mit der | |
Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet worden. Und wir haben mit unserer | |
gewerkschaftlichen Bildungsarbeit dazu beigetragen, die Kolleginnen und | |
Kollegen zu sensibilisieren. Die Sensibilität muss auch bei allen | |
Führungskräften vorhanden sein. | |
Gibt es da ein Ostproblem? | |
Wenn ich mir die jüngste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung anschaue, dann | |
gibt es in manchen Regionen offensichtlich einen höheren Anteil von | |
Rechtsextremen, und dazu gehören auch manche Regionen in den fünf neuen | |
Ländern. Die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Deshalb muss man | |
mit dem Instrument der inneren Führung für eine demokratische Grundhaltung | |
sorgen. Natürlich ist es aber auch so: Wenn manche Polizisten nur in | |
problematischen und konfliktreichen Milieus mit hohem Ausländeranteil zu | |
tun haben, kann das Vorurteile nähren. Deshalb muss man solche Kolleginnen | |
und Kollegen auch mal rotieren lassen. Pauschalschelte bringt uns dagegen | |
gar nicht weiter. | |
BKA-Chef Jörg Ziercke hat vor Kurzem eine Einstellungsquote für Polizisten | |
mit Migrationshintergrund vorgeschlagen. Was halten Sie davon? | |
Wir sind gegen eine Quote. Wir finden, jeder Bewerber sollte genau den | |
gleichen Qualifikationsansprüchen genügen und genauso einsteigen wie alle | |
anderen auch. Ein türkischer Kollege sagte mir: Was soll der Unsinn, ich | |
will kein Quotentürke werden. Wir müssen mehr Menschen mit | |
Migrationshintergrund davon überzeugen, zu uns zu kommen. In vielen | |
Präsidien gibt es deshalb bereits eigens Veranstaltungen für Bewerber mit | |
Migrationshintergrund. | |
Reicht das aus? | |
Jedes Mal, wenn ein neuer Ausbildungsjahrgang beginnt, sieht man viele neue | |
Kollegen mit Migrationshintergrund. Der Anteil wächst in verschiedenen | |
Bundesländern unterschiedlich, ich schätze, er liegt derzeit zwischen 3 und | |
8 Prozent. | |
Das ist weit weniger als im gesellschaftlichen Schnitt. Warum hinkt die | |
Polizei hinterher? | |
Unsere Anforderungen sind hoch, auch die gesundheitlichen. Aber wir sind | |
dagegen, das Niveau der Einstellungstests abzusenken, denn wir wollen keine | |
Polizisten zweiter Klasse schaffen. Im Inneren der Polizei müssen wir dafür | |
sorgen, dass Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund nicht | |
diskriminiert werden. Wenn das passiert, müssen sofort die entsprechenden | |
disziplinarischen Maßnahmen getroffen werden. Alle Kolleginnen und | |
Kollegen, Frauen und Männer, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, sollen | |
ganz normal ihren Weg gehen und irgendwann auch Führungspositionen | |
übernehmen, das ist ein ganz normaler Prozess. Er geht vielleicht langsamer | |
als in anderen Bereichen – aber es passiert ja. | |
22 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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