Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rassistische Angriffe: "Das Opfer vernichten"
> Nach einer rassistischen Attacken werden viele Betroffene durch Polizei
> und Justiz noch mal zum Opfer gemacht, sagt der Psychotherapeut Eben
> Louw.
Bild: Rassismus hat schon viele Opfer gefordert.
taz: Herr Louw, was haben die Menschen erlebt, die Sie therapieren?
Eben Louw: Sie wurden auf offener Straße angegriffen, geschlagen, von
erkennbaren, aber auch von nicht erkennbaren Nazis. Sie wurden rassistisch
beschimpft, auf U-Bahn-Schienen geworfen, in ihren Geschäften überfallen.
Es kommen auch Menschen, die Drohbriefe aus der Nachbarschaft bekommen, sie
sollten wegziehen, oder denen regelmäßig Zettel mit rassistischen
Beschimpfungen an die Türen geklebt werden. Oder Menschen, die an ihrem
Arbeitsplatz, in Behörden, beim Jobcenter rassistisch gemobbt oder
beleidigt wurden. Auch Menschen, die nicht körperlich angegriffen wurden,
entwickeln Angstsymptome.
Gibt es Menschen, die besonders oft Opfer rechter Gewalt werden?
Vor allem schwarze Männer. Nicht nur das Ausmaß, auch die Intensität
rassistischer Gewalt, mit der sie konfrontiert sind, ist besonders hoch.
Auslöser rassistischer Gewalt ist eben in ganz besonderem Maße die
Hautfarbe. Aber wir betreuen nicht nur Afrodeutsche, sondern auch
türkeistämmige Deutsche der zweiten und dritten Generation, weiße jüdische
Menschen, die teils Einwanderer sind, teils deutsche Wurzeln haben, neu
eingewanderte Menschen, Flüchtlinge, auch alternative deutschstämmige
Jugendliche. Entscheidend ist die Motivation der Täter, nicht das Profil
des Opfers.
Vor einer Woche wurde ein aus Kenia stammender Berliner an seinem
Arbeitsplatz, der Diskothek Q-Dorf, von Schlägern schwer verletzt. Das
Opfer spricht von einer rassistischen Tat, die Polizei brauchte etwas, um
das auch so zu sehen. Ein typischer Fall?
Dass die Opfer sich nicht ernst genommen fühlen, wenn sie ein rassistisches
Motiv vermuten, kommt sehr oft vor.
Warum?
Bei den Ermittlungen muss die Polizei verschiedene Fragen in
unterschiedliche Richtungen stellen. Wenn aber ein Betroffener als Erstes
danach gefragt wird, ob er Schulden hat, wird damit eine Mitschuld
angedeutet, die Unterstellung, dass die Tat aus anderen als rassistischen
Motiven stattgefunden hat. Für die Opfer ist das sehr verwirrend.
Was hat es für Folgen für die Opfer, wenn ihnen nicht geglaubt wird?
Das ist wie ein zusätzlicher Schlag. Sie fühlen sich schutzlos, im
schlimmsten Fall geben sie sich selbst die Schuld für das, was passiert
ist: Sie sollten eben nicht hier sein, wenn das schon als Zumutung
empfunden wird. Auch von den Angehörigen kommen nicht selten Reaktionen
wie: „Du hättest eben nicht so laut sprechen sollen.“ Da wird konstruiert,
dass es eine zulässige Art und Weise gibt, wie man sich hier zu verhalten
hat. Und wenn man das nicht tut, bekommt man eben eins auf den Deckel. Für
die Opfer wird es dann ganz schwer zu unterscheiden: Haben sie vielleicht
wirklich gegen irgendwelche Regeln verstoßen? Sind sie vielleicht
überempfindlich? Das führt zu psychischer Belastung.
In welcher Weise?
Wir verlassen uns bei der Einschätzung von Gefahr auf unsere Instinkte.
Jetzt ist der Glaube, dass man sich darauf verlassen kann, zerstört worden.
Man weiß nicht mehr, wem man vertrauen kann, wer gefährlich ist und wer
nicht. Dass kann zu der Reaktion führen, dass man alle Menschen für
potenzielle Täter hält. Es gibt aber auch Opfer, bei denen das zu
Schamempfinden führt.
Wie das?
Durch die Tat und die folgende Erkenntnis, dass sie sich als unfähig
erwiesen haben, solche Geschehnisse zu vermeiden oder zu kontrollieren,
sind sie erniedrigt worden. Auch der Umgang von Polizeibehörden mit den
Opfern führt oft zu Scham.
Warum?
Sie müssen beschreiben, was passiert ist, wiederholen, was zu ihnen gesagt
wurde. Das ist eine Reviktimisierung, oft durch weiße deutsche Männer, die
eventuell den Tätern ähneln. Was nicht selten dazu führt, dass Menschen
erst mal gar nichts sagen. Wenn sie dann vor einem Richter doch aussagen,
wird ihnen nicht mehr geglaubt.
Angst, Scham, Selbstvorwürfe – sind das nicht auch Reaktionen von Menschen,
die aus anderen Gründen überfallen wurden, etwa bei einem Raubüberfall?
Ein Raubüberfall hat aber nichts mit meiner Identität zu tun. Das Motiv
eines Handtaschenraubs – Habgier – zielt nicht auf das Opfer persönlich.
Der Angriff erfolgt nicht, um mich zu vernichten. Das aber ist das Motiv
einer rassistischen Straftat.
Was löst das beim Opfer aus?
Viele Opfer rassistischer Straftaten sagen, dass sie nicht begreifen
können, warum jemand sie so hassen kann. Sie versuchen Gründe dafür zu
finden, warum das passieren konnte.
Die Tat führt also zu einer stärkeren seelischen Verletzung als ein
Taschenraub?
Ja. Oft versuchen die Opfer das zu überwinden, indem sie begründen, warum
sie nicht Opfer hätten werden dürfen: Sie sind doch integriert, sie haben
Deutsch gelernt, sie haben niemandem etwas getan – sie sind nicht wie die,
die der Täter eigentlich meint. Sie versuchen sich von der Zielgruppe des
Täters abzuheben – und identifizieren sich so mit dessen Motiven. Das ist
ähnlich wie bei Beziehungstaten.
Das heißt, sie isolieren sich von der Opfergruppe. Von der sogenannten
Mehrheitsgesellschaft sind sie ohnehin isoliert.
Richtig. Ihr Anspruch, dazuzugehören, wurde ihnen verwehrt. Andererseits:
Wer ist das eigentlich, die „Mehrheitsgesellschaft“? Es sind auch Menschen
mit Migrationshintergrund unter den Tätern rassistischer Gewalt. Wenn man
die Menschen in solche mit Migrationshintergrund und Mitglieder der
Mehrheitsgesellschaft aufteilt, kann man solche Fälle abtun, als würden die
die Mehrheit nicht betreffen. Da muss man dann gar keine Solidarität mehr
zeigen.
Was wäre die richtige gesellschaftliche Reaktion?
Zu viele Menschen glauben, Rassismus sei ein Problem des rechten Rands der
Gesellschaft und der Migranten als Opfer. Das stimmt aber nicht. Rassismus
schadet allen und ist auch auch eine Gefahr für uns alle. Diese Einsicht
fehlt. Das verhindert Solidarität.
Wie kann man in solchen Fällen mit Therapie helfen?
90 Prozent unserer Patienten sagen: Wir wollen, dass so etwas nie wieder
passiert. Das können wir natürlich nicht garantieren. Wir können aber die
Angst verringern und das Gefühl von Minderwertigkeit – zugunsten des
Gefühls, wieder selbst bestimmen zu können, wer man ist. Dann kann auch die
Wand zwischen dem Opfer und anderen Menschen wieder durchlässiger werden in
der Erwartung, auch wieder positive Erfahrungen zu machen.
8 Jan 2013
## AUTOREN
Alke Wierth
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.