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# taz.de -- Bildungsforscher über Migranten: „Die Eltern sind überalarmiert…
> Viele Eltern meiden Schulen mit vielen Kindern aus Zuwandererfamilien –
> zu Unrecht, so Bildungsforscher Wilfried Bos. Heterogenität sei sogar von
> Vorteil.
Bild: Wo kommen diese Kinder her? Aus einer Grundschule in Kassel.
taz: Herr Bos, diese Woche haben Sie mit den Vergleichsstudien Iglu und
Timss den Grundschülern aus Zuwandererfamilien eine Aufholjagd bescheinigt.
Ist jetzt alles gut?
Wilfried Bos: Die Migranten sind in der Tat die großen Gewinner der
vergangenen zehn Jahre. Migrantenkinder hinken deutschstämmigen Schülern
aber im Schnitt immer noch fast ein Schuljahr in ihrer Leseentwicklung
hinterher. Das Problem ist nur etwas weniger schlimm geworden. Da ist noch
was zu tun.
Drohen Migranten nicht sogar wieder zurückzufallen? Im Lesen hat sich in
der jüngsten Iglu-Studie kaum noch etwas getan.
Nein. Man muss berücksichtigen, dass auch der Anteil der Kinder mit
Migrationshintergrund um 25 Prozent gestiegen ist. Unter diesen Bedingungen
den Stand im Lesen zu halten und in Mathe und den Naturwissenschaften sogar
noch zuzulegen, das ist schon okay.
Warum konnten sich Migranten verbessern?
Ich vermute, dass die Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer heute
sensibler sind im Umgang mit Migranten. Andererseits dürften auch die
Migranten mitbekommen haben, dass der Aufstieg hierzulande über Bildung
läuft. Wenn die Leistungen stimmen, sind sie sogar eher als deutschstämmige
Familien geneigt, ihr Kind aufs Gymnasium zu schicken. Und die dritte
Erklärung: Wahrscheinlich zeigen die vielen Sprachförderprogramme, die die
Bundesländer gestartet haben, erste Wirkungen. Aber beweisen kann ich das
nicht.
Warum nicht?
Weil diese Förderprogramme völlig unzureichend evaluiert werden. Wir haben
vor einiger Zeit einmal gezählt und sind auf 69 Programme in 16
Bundesländern gekommen. Davon werden 7 evaluiert. Und das meistens nach dem
Prinzip: Wir fragen den Lehrer, ob’s geholfen hat. Und der sagt dann: Ja,
alles super.
Wie sollte man die Programme evaluieren?
Man braucht ein sogenanntes Kontrollgruppendesign: Ein Leseförderprogramm
wird zum Beispiel an zehn Schulen ausprobiert. Dann nimmt man zehn
vergleichbare Schulen und überprüft, ob die geförderten Schüler in
Leistungstests besser abschneiden als die nichtgeförderten. Und erst wenn
das der Fall ist, geht man mit dem Programm in die Fläche. Aber nicht
vorher.
Haben wir nicht langsam mehr als genug Bildungsstudien?
Im Gegenteil. Bevor ein neues Medikament auf den Markt kommt, muss es erst
wissenschaftlich haltbar seine Wirksamkeit nachweisen. Das brauchen wir in
der Bildung auch. Es kann nicht egal sein, ob die Schüler bei neuen
Leseprogrammen wirklich etwas lernen oder sich vielleicht sogar
verschlechtern.
Warum tun die Kultusminister das nicht?
Ein Bildungspolitiker, der für sein neues Leseprogramm trommelt, will nicht
hinterher von einem Experten hören: Das Programm ist suboptimal. Das
blamiert die Politik.
Kürzlich hat eine Studie gezeigt: Deutsche Eltern aus der Mittelschicht
meiden Schulen mit einem hohen Zuwandereranteil. Sollten die Eltern Ihre
Untersuchung lesen und sich beruhigen?
Die Eltern sind überalarmiert. Wir haben Hinweise darauf, dass es sogar ein
Vorteil ist, wenn die Klassen eher heterogen sind.
Die Eltern sind schlecht beraten, wenn sie sich Schulen ohne
Migrantenkinder suchen?
Solange der Anteil der nichtdeutschsprachigen Kinder nicht zu groß ist, ist
das überhaupt nicht bedenklich. Ganz im Gegenteil.
16 Dec 2012
## AUTOREN
Bernd Kramer
## TAGS
Grundschule
Bildung
Migrationshintergrund
Vielfalt
Schule
Waldorfschule
Schule
Vergleich
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