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# taz.de -- Interview Hamburgs Schüler: "Viele Kinder brauchen Zeit"
> Auch wenn es die jüngste Grundschul-Studie nahe legt: Dass Fachlehrer
> besser unterrichten als Fachfremde, ist nicht belegt, sagt der frühere
> Staatsrat Ulrich Vieluf.
Bild: "Wer Mathe studiert, wird selten Grundschullehrer": Und Mathe deshalb zum…
taz: Herr Vieluf, seit das Institut zur Qualitätsentwicklung im
Bildungswesen (IQB) die Grundschulen getestet hat, wird über den
Mathe-Unterricht debattiert. Der Studie zufolge lernen Kinder mehr, wenn
Fachlehrer unterrichten. Und in Hamburg habe die Hälfte der
Grundschullehrer nicht Mathe studiert.
Ulrich Vieluf: Ich wäre als Wissenschaftler hier vorsichtig. Die Datenbasis
der IQB-Studie ist für solche Schlüsse sehr klein. In Bayern haben laut
Studie nur 16 Prozent keine Lehrberechtigung in Mathematik – es haben aber
nur 76 Lehrkräfte von etwa 5.000 Klassen den Fragebogen ausgefüllt. In
Hamburg waren es 79 Lehrkräfte vonetwa 640 Klassen. Vor diesem Hintergrund
ist es recht kühn zu behaupten, der Leistungsunterschied beruhe auf dem
Fachlehrereffekt. Die Wahrscheinlichkeit, dass hier andere Faktoren wie der
unterschiedliche Migrantenanteil durchschlagen, ist nicht gering.
Sie leiten die Kess-Langzeitstudie, die 2003 auch alle Hamburger
Viertklässler testete. Was sagt die zur Fachlehrer-Frage?
Laut Kess hatten Hamburgs Schüler gegenüber der älteren Lau-Studie gute
Fortschritte gemacht. Es gab dabei keinen Unterschied, ob Fachlehrer oder
Fachfremde unterrichten, weder in der Lesekompetenz noch bei Mathematik.
Damals hatten 450 Lehrkräfte den Fragebogen ausgefüllt, von denen hatten 69
Prozent keine Lehrberechtigung in Mathematik. Das ist nicht ungewöhnlich:
Wer Mathe studiert, wird selten Grundschullehrer. Was sich aber gezeigt
hat, war der Einfluss der Einstellung des Lehrers. Werden hohe
Anforderungen unabhängig von der sozialen Lage der Schülerschaft betont,
haben wir auch bessere Ergebnisse.
Der Philologenverband kritisiert jetzt auch den frühen Englischunterricht.
Der überfordere Migrantenkinder.
Wenn Hamburg auf etwas stolz sein kann, dann auf seine Erfolge in Englisch.
Auch die Lernrückstände der Migrantenkinder fallen da geringer aus als im
Fach Deutsch. Das ist nicht zuletzt auch eine Frage des Maßstabs. Wir
messen Deutschkenntnisse an Normwerten für Muttersprachler. Beim Englischen
sind es internationale Standards.
Warum gibt es dieses Länder-Ranking? Es ist unsinnig, weil Stadtstaaten mit
vielen Migranten immer hinten liegen.
Vor der ersten Pisa-Veröffentlichung im Jahr 2000 war durchaus überlegt
worden, lediglich nach Gruppen zu differenzieren. Ob ein Land einen
Mittelwert von 512 oder 519 hat, ist unter pädagogischen Aspekten kein
nennenswerter Unterschied. Einen solchen nehmen wir ab 20 Punkten an.
Pädagogisch bedeutsam werden Mittelwertdifferenzen nach unseren Erfahrungen
etwa ab 30 Punkten. Aber bei internationalen Studien gibt es diese
Mittelwert-Rankings. Und da gab es seinerzeit die Sorge, dass alle über uns
herfallen, wenn Deutschland es nicht so macht.
Das IQB hat auch 17 Großstädte getestet. Die schneiden besser ab als die
Stadtstaaten.
Aber in diesen Städten wurden nur sehr kleine Stichproben erfasst. Darunter
sind Städte wie Bonn und Düsseldorf mit hohem Sozialindex. Deren soziale
Lage unterscheidet sich erheblich von Bremen und Hamburg.
Angenommen, alle Länder machen große Fortschritte: Dann bleibt die
Rangfolge gleich.
Haben alle Länder mit ihren Programmen einen ähnlichen Erfolg, wird es so
bleiben. Es gibt zur Grundschulstudie Iglu 2006 leichte Verschiebungen,
aber das können immer auch Stichprobeneffekte sein.
Ob Hamburgs Schüler heute besser oder schlechter lernen, kann das IQB also
nicht sagen?
Die IQB-Studie ist mit Iglu 2006 nicht unmittelbar vergleichbar. Dort wurde
auf Basis internationaler Kompetenzmodelle getestet. IQB testet nun
deutsche Bildungsstandards, die sich auch auf Inhalte beziehen, die in den
Lehrplänen stehen.
Relevant scheint, ob Kinder die Mindeststandards verfehlen.
Das sind in Mathematik 20,5 Prozent, im Lesen 18,3 und im Zuhören 11,5. Es
sind überwiegend Kinder aus ärmeren Migrantenfamilien mit geringer
Unterstützung aus dem Elternhaus. Diese Werte sind erwartbar. Der gute Wert
beim Zuhören ist ein Hinweis auf das Potenzial dieser Schüler. Ihre
kommunikative Alltagssprache im Deutschen ist weiter entwickelt als ihre
Schriftsprache.
Was also tun?
Die Botschaft an die weiterführenden Schulen lautet: Ihr müsst diese Kinder
in der 5. Klasse zumindest in Teilbereichen auf Grundschulniveau fördern.
Zum Beispiel die Division vertiefen, wenn sie diese noch nicht beherrschen.
Tut man das nicht und beginnt gleich mit Bruchrechnen, produziert man am
Ende Schulversager. Das ist aber in Hamburg schon ganz gut eingespielt. Wir
erheben in Klasse 5 die Lernausgangslagen, so dass die Lehrer wissen, wo
Kinder Förderbedarf haben. Und viele Kinder, die nicht Deutsch als
Muttersprache haben, brauchen einfach etwas mehr Zeit.
18 Oct 2012
## AUTOREN
Kaija Kutter
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