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# taz.de -- Debatte Doping: Die Lebenslüge des Sports
> Das Innenministerium, der Bundestag und der Olympische Sportbund
> verhindern eine wirksame Doping-Politik. Das sollte sich ändern.
Bild: Deutschland braucht eine Doping-Agentur, die die Kontrolle übernimmt.
Machen wir uns nichts vor: Doping ist ein Gevatter aus Deutschland. In den
Giftküchen dieses Landes, im Osten und im Westen, wurden über lange
Jahrzehnte verbrecherische Blut- und Hormoncocktails gemischt. Das
Staatsdoping der DDR und das mit staatlicher Mithilfe organisierte Doping
in der Bundesrepublik, etwa an der Uniklinik Freiburg, sind bis heute
äußerst effektiv.
Denn wurde Sportgeschichte je umgeschrieben? Mussten DDR-Seriensieger oder
die Telekom-Doper um Jan Ullrich all ihre Medaillen, Siegerkränze und
Preisgelder zurückgeben? Wurden ihre Namen konsequent aus den
Medaillenlisten gelöscht? Dürfen sie sich nicht mehr „Sportler des Jahres“
nennen? Dürfen die Dopingärzte Ost und West nicht mehr praktizieren? Dürfen
Dopingtrainer nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten? Wurden
Funktionäre flächendeckend zur Verantwortung gezogen?
Hat Deutschland jemals eine bahnbrechende Initiative zur Dopingbekämpfung
durchgesetzt? Wurden Sportverbände, die gegen sogenannte
Antidopingrichtlinien verstießen, wirkungsvoll mit dem Entzug von
staatlichen Fördermitteln bestraft? Hat dieses Land wenigstens eine
unabhängige Antidopingagentur, die finanziell gut ausgestattet wäre und auf
der Höhe der Zeit agiert? Und schließlich: Hat Deutschland ein knallhartes
Antidopinggesetz, das alle Möglichkeiten ausloten und eine klare Botschaft
ans kriminelle Milieu senden würde?
Sämtliche Fragen sind mit einem deutlichen Nein zu beantworten. Die Mär von
der konsequenten Dopingbekämpfung ist die Lebenslüge des organisierten
deutschen Sports.
## Die Einheitspartei des Sports
Tatsächlich dominiert in Deutschland die Kultur des Duldens und Schweigens.
Die Einheitspartei des Sports, Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB)
genannt, wird von ihrem Präsidenten, dem Industrielobbyisten Thomas Bach
(FDP), und vom Generalsekretär, dem Grünen Michael Vesper, mit harter Hand
geführt. Der DOSB und das für die Spitzensportförderung zuständige
Bundesinnenministerium (BMI) müssen Transparenz und Kontrolle kaum
fürchten.
Denn im Sportausschuss des Bundestages, in jenem Gremium, das die jährliche
Vergabe von rund 250 Millionen Euro Steuermittel kontrollieren und eine
strikte, moderne und effektive Antidopingpolitik einfordern könnte, sitzen
bis auf wenige Ausnahmen Sportfans und Sportlobbyisten, die ihren
verfassungsgemäßen Pflichten nicht gerecht werden. Dieser sportpolitische
Komplex aus DOSB, BMI und Sportausschuss verhindert seit langem ein Gesetz
gegen Doping und Korruption im Sport.
Dabei wäre es einfach. Jawohl: einfach. Das kostet alles keine Milliarden.
Verantwortung ist gefragt. Wissen. Verstand. Guter Wille und die
Bereitschaft, wirklich etwas zu tun.
Erstens: Deutschland braucht ein Antidopinggesetz, das diesen Namen
verdient. Um einmal eine CSUlerin zu zitieren, Bayerns Justizministerin
Beate Merk: „Die gesetzlichen Instrumente sind schlicht ungeeignet, um an
den dopenden Spitzensportler heranzukommen“, so die langjährige einsame
Streiterin für ein solches Gesetz.
## Verlogene Branche
Doping, ein Verbrechen am Wettbewerb, ist kriminell und muss folglich
kriminalisiert werden. Kernpunkte eines solchen Gesetzes wären etwa die
uneingeschränkte Strafbarkeit des Besitzes von Dopingmitteln und eine seit
langem nötige Kronzeugenregelung. Doch ein entsprechender Antrag des
Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) wurde vor einer Woche auf der
DOSB-Mitgliederversammlung in Stuttgart mit 94 Prozent der Stimmen
abgeschmettert. Bezeichnend für die Verlogenheit der Branche ist der
Umstand, dass wichtige Verbände dagegen stimmten, obwohl sie die
Notwendigkeit einer schärferen Gesetzgebung längst erkannt haben.
Man wolle doch gerade jetzt Thomas Bach keine Probleme bereiten, heißt es
hinter vorgehaltener Hand, schließlich will der im September 2013 Präsident
des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) werden. Danach könne man die
Sache mit der Dopinggesetzgebung ja neu diskutieren. Auch das ist ein
Problem des Sports: Privatinteressen von Figuren wie Bach, der in der
Grauzone von Wirtschaft und Politik beheimatet ist, stets in Skandalnähe
agiert und als Lobbyist ein fürstliches Auskommen genießt, sind seit je
dominant.
Die Propaganda von DOSB und BMI lautet seit langem, die bisherigen
Regelungen im Rahmen des Arzneimittelgesetzes reichten aus, es herrsche
lediglich ein „Vollzugsdefizit“. Das ist totaler Nonsens, nah an der Lüge.
Wahr ist: Sport und Politik haben ein Willensdefizit. Gesetze müssen auch
abschreckend wirken. Sportler, die dopen, haben derzeit kaum etwas zu
befürchten. Dopingärzte kommen ohnehin immer davon. Dopende Spitzensportler
dürfen aber nicht mehr länger vom Staat finanziert und geschützt werden –
und sie müssen zur Verantwortung gezogen werden können.
## Nada aufstocken
Zweitens: Die Nationale Antidopingagentur (Nada) muss dem Diktat des
sportpolitischen Komplexes entrissen werden. Fünf oder besser zehn Prozent
der Spitzensportfördermittel müssten für die Nada abgezweigt werden – schon
wäre genug Geld vorhanden, um personell mit erstklassigen Wissenschaftlern
und Kriminalisten aufzustocken und die jetzige Führung auszuwechseln.
Dopinganalyse, Fahndung und Prävention könnten auf ein neues Niveau gehoben
werden.
Wie wirksam eine nationale Agentur agieren kann, hat gerade die
amerikanische Usada im spektakulären Fall Lance Armstrong bewiesen.
Usada-Chef Travis Tygart hat gezeigt, was möglich ist, wenn sich eine
Agentur dem Druck von Sport, Politik und Sponsoren nicht beugt, sondern
selbständig ermittelt, alle Möglichkeiten auslotet und ihrer Kernaufgabe
nachkommt. „Es ist unser Job, nach der Wahrheit zu suchen und Gerechtigkeit
walten zu lassen“, hat Tygart gesagt. Wahrheit? Gerechtigkeit? Deutschland
hat keine funktionierende Nada und niemanden wie Tygart. Das Land braucht
beides. Dringend. Und endlich ein Antidopinggesetz.
Diese Forderungen sind keine Utopie. Es ist nur utopisch, sie gegen den
Widerstand des sportpolitischen Komplexes durchzusetzen.
17 Dec 2012
## AUTOREN
Jens Weinreich
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