# taz.de -- Umwelt erhalten: "Ein Kirschbaum spart nicht" | |
> Michael Braungart ist Miterfinder des Prinzips "cradle to cradle" - von | |
> der Wiege zur Wiege. Durch eine Produktionsweise, die alles Material | |
> immer wieder neu nutzt, könnte die Erde auch 30 Milliarden Menschen | |
> tragen, behauptet der Gründer des Umweltinstituts Epea. Von einer Politik | |
> des Verzichts hält der ehemalige Greenpeace-Aktivist: nichts. | |
Bild: "Haben Sie jemals einen klimaneutralen Baum gesehen? Kein Baum ist kliman… | |
taz: Herr Braungart, müssen wir werden wie die Ameisen? | |
Michael Braungart: Wir müssen überhaupt nichts: Wir können aber von den | |
Ameisen etwas lernen. Bei dem Prinzip „cradle to cradle“ – von der Wiege | |
zur Wiege – das wir propagieren, gibt es kein Müssen: Es ist ein Angebot, | |
eine Unterstützung. Die Ameisen wiegen etwa viermal mehr als wir Menschen, | |
sie leben nur drei bis sechs Monate und sie sind körperlich aktiver als | |
wir. Dadurch entsprechen sie in ihrem Kalorienverbrauch etwa 30 Milliarden | |
Menschen. Wir sind nicht zu viele – nur zu blöde. | |
Was machen die Ameisen besser? | |
Die Ameisen sind nützlich. Nur durch die Ameisen gibt es den | |
brasilianischen Regenwald, weil die Nährstoffe sonst gar nicht in die | |
Kreisläufe zurückgehen würden. Wer die Umwelt schützen will in der | |
traditionellen Logik, der fährt weniger Auto und macht weniger Abfall. In | |
dieser Logik sind die Ameisen schlecht, weil sie sich körperlich stark | |
betätigen und nur kurz leben. Im Gegensatz zu uns nehmen sie sozusagen | |
stets die Treppe. Jemand, der eine Treppe steigt, braucht aber fünfmal mehr | |
Energie als einer, der Aufzug fährt. Wer die Umwelt schützen will, sollte | |
also immer Aufzug fahren. Von den Ameisen können wir lernen, dass wir dann | |
verschwenderisch sein können, wenn wir die Dinge in Kreisläufe bringen. | |
Ist Autofahren auch ökologischer als zu Fuß zu gehen? | |
In keinem Fall, weil die Herstellung des Autos große Zerstörungen | |
verursacht. Die Komponenten des Aufzuges sind für Kreisläufe gemacht, weil | |
die Aufzugfirma traditionell den Aufzug zurücknimmt, wenn er nicht mehr | |
funktioniert und durch einen neuen ersetzt. Aufzüge sind viel besser | |
konstruiert als Autos. Und nicht nur das: Der Reifenabrieb ist eine | |
Katastrophe für die menschliche Gesundheit. Die Menschen denken, es sei gut | |
für die Umwelt, dass die Reifen länger halten. Aber die Reifen sind nie zum | |
Einatmen entwickelt worden. | |
Und was spricht nun gegen Haltbarkeit? | |
Dadurch ist der Abrieb viel feinteiliger. Und von den 600 Chemikalien, die | |
verwendet werden, dürften 500 nie in die Umwelt gelangen, schon gar nicht | |
in meine Lunge. Allein der Gummi, der feinteilig eingeatmet wird, ist stark | |
sensibilisierend. Das heißt: Zu Fuß gehen ist immer besser, obwohl die | |
Schuhsohle auch nicht für Abrieb gestaltet worden ist. Wir werden im | |
Februar die ersten Schuhe von Puma haben, die für den Kavalierstart an der | |
Fußgängerampel konzipiert worden sind. | |
Wer ist „wir“? | |
Unser Institut Epea – Environmental Protection Encouragement Agency –, das | |
vor 25 Jahren entstanden ist. Natürlich nutze ich als Professor die | |
Möglichkeiten der Universitäten, Studenten mit zu beschäftigen. Darum ist | |
„wir“ ein fließender Begriff. Das sind mal Studenten, mal Doktoranden, es | |
sind auch Leute in Bürgerinitiativen, mit denen ich gemeinsam Dinge | |
ausprobiere. | |
Warum haben Sie Epea gegründet? | |
Ich habe sieben Jahre lang bei Greenpeace mitgeholfen, hauptsächlich zu | |
protestieren, in der Nordsee zu schwimmen, Schiffe aufzuhalten und | |
Abwasserrohre von Zellstofffabriken zuzumachen. Irgendwann war es Zeit, | |
Lösungen zu entwickeln. Dafür ist Epea entstanden – aber auch dazu, anderen | |
Greenpeace-Büros international wissenschaftliche Hilfestellung zu geben. | |
Zuerst hat Greenpeace das Institut voll finanziert. Dann kamen der Sierra | |
Club, Friends of the Earth und andere große Umweltorganisationen dazu und | |
Industrieunternehmen, die wissen wollten, wie es anders geht. | |
Ist es nicht heikel, durch die Industrie finanziert zu werden? | |
Nein. Das schafft keine Abhängigkeiten. Die Leute, die mit uns | |
zusammenarbeiten, wissen, dass wir ein klares Profil haben. Da kommt | |
niemand, der uns korrumpieren könnte. Die Gentechnikfirma Monsanto käme | |
nicht auf die Idee, etwas mit uns zu tun haben zu wollen. | |
Wer kommt auf die Idee, mit Ihnen etwas zu machen? | |
Zum Beispiel Puma. Wir haben mit denen einen Vertrag über zehn Jahre | |
abgeschlossen. Nicht irgendein Projekt, sondern wir sollen die Firma so | |
ändern, dass alle Produkte in biologische und chemische Kreisläufe gehen | |
können. | |
Die Tatsache, dass Dinge zu 100 Prozent recycelt werden können, bedeutet | |
aber noch nicht, dass sie nicht giftig wären. | |
Dass kein Gift drin ist, reicht auch noch nicht aus. Wenn ich sage, ich | |
schlage mein Kind nicht, dann habe ich auch noch nichts geleistet. Das ist | |
gerade das Minimum. Greenpeace macht eine Detox-Kampagne, die sagt: Dieses | |
Gift soll nicht drin sein und jenes nicht. Die Hersteller sind aber findig. | |
Statt Pentachlorphenol verwenden sie dann eben Tetrachlorphenol zur | |
Lederkonservierung. Aber es steht drauf: „Frei von Pentachlorphenol“. Detox | |
ist ein guter Anfang, aber es ist wichtig, die Dinge positiv zu definieren, | |
die drin sind. Wir machen Dinge, die nützlich sind, nicht weniger | |
schädlich. | |
Wäre es nicht klüger, wir würden uns als Menschheit einfach bescheiden? | |
Hamburg möchte 2040 klimaneutral sein. Haben Sie jemals einen | |
klimaneutralen Baum gesehen? Kein Baum ist klimaneutral – zum Glück nicht. | |
Aber für uns ist es, wenn es um die Umwelt geht, das Höchste, nicht zu | |
existieren. Das ist pervers. Wir möchten einen Zustand erreichen, wo die | |
Dinge gleichermaßen nützlich sind für die Wirtschaft, die Gesellschaft und | |
die Umwelt. Und dann können wir auch mehr sein auf der Erde, dann sind wir | |
keine Bürde mehr. Es geht nicht darum, den ökologischen Fußabdruck zu | |
minimieren, sondern einen großen Abdruck zu haben, der ein Feuchtgebiet | |
ist. | |
Das wäre ja schöner als das Perpetuum mobile, weil es nicht nur von alleine | |
immer weiterläuft, sondern immer besser wird. Woher soll die Energie | |
kommen, die das ermöglicht? | |
Wir erhalten durch die Sonne einen Überschuss an Energieeintrag, haben aber | |
im Denken eine Polarperspektive eingenommen und die globalisieren wir | |
jetzt. Wenn es dunkel und kalt ist in Schweden, dann müssen Sie sparen, | |
verzichten, vermeiden, reduzieren. Aber global gesehen können wir | |
verschwenden, wenn die Dinge in Kreisläufe zurückgehen. Ein Kirschbaum | |
spart nicht, vermeidet nicht, reduziert nicht – er ist nützlich, nicht | |
weniger schädlich. | |
Was bedeutet das für uns? | |
Wären wir nützlich, könnten wir mehr sein. Stattdessen romantisieren wird | |
die Natur und machen uns selber klein wie Prince Charles oder Vandana | |
Shiva, die mit den Augen rollen und sagen: „What did we do to Mother | |
Earth?“ Es gibt keine Mutter Natur. Die am stärksten Krebs erzeugenden | |
Stoffe sind Naturstoffe. Dass wir älter als dreißig werden, liegt an uns: | |
an den Medizinern, den Biologen, den Ingenieuren. | |
Können Sie ein komplexes Produkt nennen, das komplett recycelt wird und | |
giftfrei ist? | |
Es gibt Beispiele ohne Ende, etwa den Fernseher, den wir mit Philipps | |
zusammen entwickelt haben. Das ist der erste Fernseher für Innenräume. Die | |
Luft in Gebäuden ist drei- bis achtmal schlechter als die schlechteste | |
Hamburger Außenluft. In diesem Fernseher wurden alle stinkenden | |
Plastikverbindungen durch Metall ersetzt. Gegenüber jedem anderen Fernseher | |
gast er 30.000-mal weniger Stoffe aus. Es steckt überwiegend recyceltes | |
Aluminium drin und kein Gramm PVC. Wir haben die seltensten Elemente | |
ersetzt durch völlig neue Techniken. Ein spezifisches Zinkoxid kann die | |
seltenen Erden Indium, Germanium und Gallium ersetzen. Er gibt im Vergleich | |
zu einem Menschen 50-mal weniger Formaldehyd ab. | |
Wie viel teurer ist er als ein herkömmlicher Fernseher? | |
Er ist eigentlich billiger herzustellen. Weil er danach entwickelt worden | |
ist, dass er leicht zerlegt werden kann, ist der Zusammenbau viel | |
einfacher. | |
Was heißt „eigentlich billiger“? | |
Philipps schreibt „Eco Nova“ drauf und macht ihn 200 Euro teurer, weil sie | |
die Entwicklungskosten gleich wieder drin haben wollen. Dieser Fernseher | |
spart gegenüber vergleichbaren Geräten zwei Drittel Strom ein. Daraus | |
könnte Philipps ein Geschäft machen und sagen: Wir verkaufen nur noch zwölf | |
Jahre Nutzung und packen eine Schutzgebühr drauf, denn eigentlich | |
finanziert er sich durch die Stromeinsparung selber. Stattdessen machen sie | |
ihn 200 Euro teurer und sagen: Die Leute wollen keinen Öko-Fernseher. | |
4 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
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Regenwald | |
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