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# taz.de -- Verlegung des Frauenvollzugs: Von der Inhaftierten zur Prostituiert…
> Die Pläne von Hamburgs Justizsenatorin Jana Schiedek, den Frauenvollzug
> im Männerknast unterzubringen, stoßen auf Widerstand. Experten warnen vor
> Prostitution. Eine Ex-Gefangene bestätigt das.
Bild: Vorbildliches Resozialisierungsangebot in Gefahr: Gefangene auf Hahnöfer…
HAMBURG taz | Heftiger Wirbel um den Plan von Hamburgs SPD-Justizsenatorin
Jana Schiedek, den Frauenknast Hahnöfersand in das
Hochsicherheits-Gefängnis für schwer kriminelle Männer in
Hamburg-Billwerder zu verlegen. Damit würde aus Spargründen ein bundesweit
anerkanntes Konzept der Resozialisierung aufgegeben. Alle vier
Oppositionsparteien (CDU, FDP, Grüne und Linke), Experten und auch die
ehemalige Justizsenatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit (SPD) laufen dagegen
Sturm.
„Die Bewegungsfreiheit der Frauen wird enorm eingeschränkt, weil in
Billwerder das Alles-in-einem-Haus Prinzip aufgegeben werden müsste“, sagt
die justizpolitische Sprecherin der Linkspartei, Christiane Schneider. „Die
Frauen, die oft Erfahrungen mit Männergewalt haben, haben regelrechte
Angst, in Billwerder wieder Anmache und sexualisierter Gewalt ausgesetzt zu
sein“, sagt Schneider. In einer internen Expertenanhörung im
Justizausschuss der Bürgerschaft warnte die Leiterin der
Justizvollzugsanstalt Bützow, Agnete Mauruschat, dass in
gemischtgeschlechtlichen Gefängnissen Prostitution nicht zu verhindern sei.
Davon berichtet auch Nadine Nest (Name geändert). Gerade mal 29 Jahre alt,
hat sie drei Jahre im Gefängnis verbracht. „Ich hab’ meinen damaligen
Freund aus Angst erstochen“, berichtet die zierliche Frau, die ihre
dunkelblonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden hat. Sie habe ihren Freund
in einer Bank während ihrer Lehre kennengelernt. Es sei anfangs die große
Liebe gewesen. „Erst als wir eine gemeinsame Wohnung bezogen haben, habe
ich gemerkt, dass er gewalttätig ist“, sagt Nest heute.
Irgendwann sei es passiert. Ihr Freund sei wieder einmal vor Eifersucht
ausgerastet, habe ihre Klamotten aus dem 3. Stock des Mietshauses geworfen
und sie verprügeln wollen. „Ich bin in die Küche gerannt und habe zum
Schutz ein Küchenmesser gegriffen – plötzlich stand er vor mir und ich hab�…
zugestochen“, erzählt die junge Frau.
Eine Notwehrsituation wollte die Staatsanwaltschaft Nadine Nest vor Gericht
nicht zubilligen. Erheblich strafmildernd hielt sie ihr aber zu Gute, dass
sie sofort Erste Hilfe geleistet habe. Dennoch musste Nadine Nest wegen
Totschlags für vier Jahre ins Gefängnis. „Und das hat mich in den Abgrund
geführt“, berichtet Nest.
Denn von Resozialisierung oder „psychischer Stabilisierung“ habe in sie dem
Frauen und Männer-Gefängnis in Süddeutschland nichts zu spüren bekommen.
„Wenn du über den Gefängnishof von den Schließern von einem in den anderen
Gebäudetrakt gebracht wirst, dann erkennen die Typen trotz Baseball-Cap
schon, dass in der Jogginghose ein Frauenarsch steckt“, sagt Nest.
Sie habe zwar nie direkt mit Männern arbeiten müssen, „in einem großen
Knast gibt es aber immer eine Ecke, wo du plötzlich allein einem Typen
gegenüberstehst und der dir an die Wäsche will“. Gerade Langzeitgefangene,
die aufgrund guter Führung über Privilegien verfügen, hätten da viele
Gelegenheiten – zumal sich manche Schließer bestechen ließen.
Nach drei Vergewaltigungsversuchen, die sie abwehren konnte, dafür
allerdings Morddrohungen kassierte, sei sie zermürbt gewesen. „Ich habe die
Not zur Tugend gemacht und sexuelle Dienste angeboten“, räumt Nest ein.
Dadurch habe sie sich durch die Knastfreier einen gewissen Schutz vor
ekelhafter Männergewalt erkauft. Die Schließer hätten ihr die nötigen
Freiräume für die Prostitution geschaffen. „Denn so etwas kannst du nicht
einfach in der Zelle machen. Du brauchst Nischen, die unbeobachtet sind“,
berichtet Nadine Nest.
Als sie vor zwei Jahren nach Zwei-Drittel-Haft aus dem Gefängnis entlassen
worden sei, habe sich vor ihr ein tiefes Loch aufgetan. „Bei einer Bank
hatte ich mit der Vorstrafe keine Chance einen Job zu finden“, sagt Nest.
Deshalb habe sie weiter als Prostituierte gearbeitet.
Nadine Nest lebt heute im Hamburger Umland. Sie pendelt täglich mit dem Zug
in die Stadt, um dort in einer Modellwohnung als freie Sexarbeiterin
anzuschaffen. Vor einer Verlegung des Frauengefängnisses nach Billwerder
kann sie nur warnen. „In Hahnöfersand haben die Frauen – soweit ich das
gehört habe – gute Chancen auf die Freiheit vorbereitet zu werden“, sagt
Nadine Nest. „Diese Chance hab’ ich nicht gehabt, da ich im falschen Knast
gelandet bin.“
7 Jan 2013
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Justiz
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