# taz.de -- Abrechnung mit Goldman Sachs: Die Sehnsucht nach der guten Bank | |
> Greg Smith beschreibt in „Die Unersättlichen“ den Kulturverfall der | |
> Wallstreet. Er war erst Aufsteiger, dann Aussteiger bei der Bank Goldman | |
> Sachs. | |
Bild: Enttäuscht von Goldman Sachs: Greg Smith, ehemaliger Mitarbeiter der Ban… | |
Das allwöchentliche Meeting der Praktikanten bei Goldman Sachs in New York: | |
Die 20-Jährigen werden durch die Mangel gedreht. Die Bank will wissen, was | |
die „intelligentesten Studenten der Welt“ draufhaben, die alle einen Job an | |
der Wallstreet wollen. „Microsoft – was empfehlen wir? Kaufen? Verkaufen?�… | |
will der Leiter des Kurses wissen. Die Praktikantin zögert. „Na los, ich | |
brauche schnelle Antworten! Da ist doch nichts dabei – Microsoft ist eines | |
der größten Unternehmen der Welt!“ Sie weiß es nicht, schlechte Karten, der | |
Nächste. | |
Unter den Absolventen der Elite-Universitäten wählt Goldman Sachs noch | |
einmal die intellektuelle Oberschicht aus. Die Aspiranten müssen bestens | |
informiert, sehr hell im Kopf, durchsetzungsstark und absolut loyal sein. | |
Wochenlang sind sie mit Klapphockern in den Handelssälen der Bank | |
unterwegs, um sich neben die Computerterminals der Wertpapierhändler zu | |
quetschen und diese mit kleinen Dienstleistungen zu unterstützen – Lunch | |
besorgen, ein paar neue Biotech-Aktien analysieren. Nur wer einen | |
Fürsprecher findet, bekommt einen der begehrten Jobs. | |
Greg Smith, dem Autor des Buches „Die Unersättlichen“, ist das gelungen. | |
Als er 21 Jahre alt war, stellte Goldman ihn ein. Das war im Jahr 2000. | |
Zwölf Jahre später, im März letzten Jahres, erschien in der New York Times | |
ein Artikel von Smith unter der Überschrift „Warum ich Goldman Sachs | |
verlasse“. Tief enttäuscht, wie er schreibt, hatte er kurz zuvor aus freien | |
Stücken gekündigt. Im Artikel wie im Buch legt Smith den Grund für diese | |
Wendung dar: Goldman habe sich von einer guten in eine böse Bank | |
verwandelt. | |
Goldman Sachs galt und gilt vielen als die Bank der Banken, als Inbegriff | |
des Aufstiegs der sogenannten Finanzindustrie während der vergangenen 30 | |
Jahre, als Synonym für Erfolg, Krise und Absturz der Wall Street. Im April | |
2006 bescheinigte das Wirtschaftsmagazin Economist dem Institut per | |
Titelblatt die Position „on top of the world“. | |
Goldman Sachs’ ehemaliger Vorstandsvorsitzender Henry M. Paulson wurde | |
unter US-Präsident George W. Bush Finanzminister der USA. Buchautor Smith | |
beschreibt, wie Paulson zuvor seine Goldman-Aktien für 500 Millionen Dollar | |
verkaufte. Dem Jung- und Karriere-Banker Greg Smith, Spross einer weißen | |
südafrikanischen Familie mit jüdischer Tradition, gefiel es gut in dieser | |
Umgebung. | |
## Bewunderung von außen | |
Smith beschreibt sein Arbeitsleben und die Firmenkultur bei Goldman Sachs. | |
Er schätzt das Ethos der Firma, keine Fehler zu machen, die Genauigkeit, | |
mit der jedes Geschäft dreimal geprüft wird, und die Bewunderung, die er | |
von außen erhält. In seinen Zwanzigern verdient er 500.000 Dollar pro Jahr. | |
2006 erhält er eine Gesamtvergütung inklusive Bonus von rund einer Million. | |
Er ist unzufrieden damit, er meint, er habe mehr verdient. | |
Solche kulturellen Informationen machen das Buch lesenswert und spannend. | |
Erhellend ist auch, wie beiläufig und selbstverständlich, frei von | |
Vorwurfs- und Rechtfertigungsmotiven, das jüdische Leben in New York | |
beschrieben wird. Und wie geschäftsmäßig der Banker und seine Freundin | |
miteinander umgehen, als sie die Rollen-, Einkommens- und Arbeitsverteilung | |
im Hinblick auf die geplante Gründung einer gemeinsamen Familie | |
diskutieren. Bei den Vertragsverhandlungen wird ihnen klar, dass ihre | |
Partnerschaft vermutlich kein guter Deal ist. So trennen sie sich, | |
pragmatisch und abgeklärt in jungen Jahren. | |
Im Kern des Buches jedoch geht es um den Kulturwandel innerhalb der Bank, | |
den Smith eher Revue passieren lässt, als dass er ihn analysiert. Er bringt | |
die Wende, die sich seit 2000 vollzogen habe, auf diesen Punkt: Früher sei | |
Goldman Sachs „longterm greedy“ gewesen – gierig mit langfristiger | |
Perspektive, heute dagegen „shortterm greedy“, die Gewinne müssten sofort | |
oder mindestens sehr bald fließen. | |
Wie soll man sich diesen Wandel am Beispiel einer Investmentbank | |
vorstellen? Früher, so Smith, setzte sich das Institut für seine Kunden | |
ein, handelte in ihrem Auftrag, vermittelte ihnen gute Geschäfte und redete | |
ihnen schlechte aus. Goldman sammelte von anderen Banken, Pensionsfonds, | |
Versicherungen oder Hedgefonds Milliarden Dollar ein, um diese in | |
Aktienkäufe, Firmenübernahmen und Rohstoffhandel zu investieren. | |
Im Sinne des internen Leitsatzes „Das Interesse unserer Kunden steht an | |
erster Stelle“ war die Bank bestrebt, für ihre Klienten eine langfristige | |
Rendite zu erwirtschaften und daran mit Provisionen zu partizipieren. | |
## Schneller, höher | |
Allmählich aber begann der Eigenhandel in den Mittelpunkt zu rücken. Die | |
Bank investierte Milliarden auf eigene Rechnung – auch um den finanziellen | |
Aderlass der Finanzkrise ab 2007 zu kompensieren. Die Angestellten und | |
Manager wurden angehalten, „elephant trades“ zu tätigen, Transaktionen mit | |
schneller, hoher Gewinnmarge. | |
Wie derartige Geschäfte funktionierten, stellt Smith am Beispiel eines | |
Wertpapieres dar, mit dem auch die IKB-Bank in Düsseldorf rund 100 | |
Millionen Euro Verlust machte. Goldman Sachs verkaufte unter anderem den | |
Deutschen ein spezielles Papier, in dem US-Immobilienkredite gebündelt | |
waren. | |
Dem Manager, der das Wertpapier für die Bank zusammengestellt hatte, war | |
klar, dass ein guter Teil dieser Kredite ausfallen würde. Die Käufer ließ | |
man jedoch in dem Glauben, dass sich der US-Immobilienmarkt und damit der | |
Kurs des Wertpapieres positiv entwickeln werde. Die Bank spekulierte also | |
gegen ihre Kunden. Während sie durch den Verkauf gewann, verloren die | |
Käufer. | |
## Angewidert von Kollegen | |
Jahre später kam die US-Finanzaufsicht SEC dahinter und klagte Goldman | |
Sachs wegen Betrugs an. Smith schreibt, dass nicht nur dieser Fall sein | |
Weltbild erschüttert habe. Angewidert war er von Kollegen, die sich über | |
vertrauensselige Kunden lustig machten und ihnen gleich noch eine Million | |
Dollar versteckter Gebühren in Rechnung stellten. Solche Erlebnisse nennt | |
Smith als Grund für seine Kündigung. Er habe die Selbstachtung verloren und | |
keinem Praktikanten mehr guten Gewissens empfehlen können, einen Job bei | |
Goldman anzunehmen. | |
Als Konsequenz verlangt Smith die alte Firmenkultur zurück. | |
Ursachenforschung, warum diese auf der Strecke blieb, und politische | |
Rückschlüsse sind seine Sache nicht. Nur am Rande, auf den letzten paar der | |
insgesamt 366 Seiten beschäftigt er sich mit Politik, etwa der Frage der | |
Notwendigkeit einer neuen, schärferen Bankenregulierung – deren Abwesenheit | |
viele Experten für die eigentliche Ursache der Finanzkrise und der Hybris | |
bei Instituten wie Goldman halten. | |
## Wofür brauchen wir Banken? | |
Wobei solche Fragen für die Leser in ihrer Rolle als Staatsbürger | |
entscheidend sind: Wofür brauchen wir Banken? Was sollen sie tun dürfen? | |
Wäre alles okay, wenn Goldman Sachs, wie Greg Smith es wünscht, zu seiner | |
alten Firmenkultur zurückkehrte? | |
Dieses Plädoyer ist heute en vogue: Banken, so heißt es, sollen sich wieder | |
auf ihr Kerngeschäft besinnen und die Realwirtschaft finanzieren. Sie | |
sollen Unternehmen und Bürgern Kredite zur Finanzierung von Investitionen | |
und Lebensstandard zur Verfügung stellen. Dies müsse die Politik durch eine | |
wirksame Regulierung sicherstellen. Aber wären wir damit die Probleme los? | |
Wohl kaum. Dann gäbe es vielleicht keine Spekulation der Banken mehr auf | |
eigene Rechnung, wohl aber gefährliche Geschäfte im Auftrag der Kunden. | |
Ist es also ein schöner Traum, sich ein sozialverträgliches Bankwesen zu | |
wünschen, das niemals mehr eine der Spekulationskrisen hervorbringt, die | |
die Wirtschaft seit Jahrhunderten begleiten? Wahrscheinlich ist das eine | |
Utopie. Gigantische Unternehmen wie Volkswagen oder Apple brauchen | |
Financiers, die Dutzende Milliarden bewegen können. Gigantische Kapitalien | |
aber beinhalten die Möglichkeit gigantischen Missbrauchs. Wer dagegen etwas | |
tun wollte, müsste bereit sein, auf Autos oder Smartphones zu verzichten. | |
Wer ist das schon? | |
## Gesetze gegen den Eigenhandel | |
Bleibt der Versuch, das globale Hochgeschwindigkeitsgeldgeschäft ein wenig | |
zu bremsen – mit Gesetzen gegen den Eigenhandel der Banken, wie der | |
ehemalige US-Notenbankchef Paul Volcker 2010 vorschlug, oder mit | |
Vorschriften für ein höheres Reservekapital der Institute, wie es das | |
internationale Bankenabkommen Basel III vorsieht. | |
Gerade die zweite Idee ist eine sehr gute: Wenn eine Bank beispielsweise | |
für jedes Geschäft 50 Prozent als Notgroschen zurückhalten müsste, fehlte | |
ihr Geld für die risikoreichen Transaktionen, die die vergangenen zehn | |
Jahre kennzeichneten. Leider nur, so muss man feststellen, gelingt es den | |
Banken und ihren Lobbyisten trotz Finanz- und Schuldenkrise erneut, allzu | |
strenge Regulierungen abzuwenden. | |
Solche Dinge allerdings interessieren Smith kaum. Sein Credo lautet: „Ich | |
bin ein bekennender Kapitalist. Ich bin sehr dafür, dass Menschen reich | |
werden und Unternehmen möglichst viel Geld verdienen.“ Da war er bei | |
Goldman Sachs genau richtig. | |
## „Die Unersättlichen. Ein Goldman-Sachs-Manager rechnet ab“. Rowohlt | |
Verlag, Reinbek bei Hamburg 2012. 366 Seiten, 19,95 Euro | |
10 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
Hannes Koch | |
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