| # taz.de -- Playlist der Wirtschaftskrise: C'est la panik economique | |
| > Ist die Krise tanzbar? Kann man sie singen? Ein Jahr nach der | |
| > Lehman-Pleite hier die kommentierte Hitparade zu Pop und Kapitalismus. | |
| > Mit PeterLicht, Heaven 17, Abba und Lady Gaga. | |
| Bild: Hilft der Griff zur Platte auch in der Krise? Ja, wenn es die richtige is… | |
| REM, 1987: Its the end of the world as we know it / And I feel fine | |
| Wie geht es uns notorischen Besserwissern und unerbittlichen | |
| Scheißefindern, wenn das falsche Ganze mit Kawumm auseinanderbricht? So wie | |
| in diesem Jangle-Pop-Klassiker: Aufgewühlt, verwirrt, aber insgesamt - | |
| doch, gut, danke der Nachfrage. | |
| Supertramp, 1975: I dont know what to say / It just seems a normal day | |
| Andererseits: Wer hat denn, Hand aufs Herz, hierzulande die Krise am | |
| eigenen Leib zu spüren bekommen? Wenn aber die Stimmung besser ist als die | |
| Lage, passt Peter Fox "Stadtaffe" genauso gut wie dieses Stück Schmuserock | |
| aus einem inmitten des Ölschocks erschienenen Album. Dessen berühmter | |
| Titel: "Crisis? What Crisis?" | |
| Múm, 2009: The smell of today / Is sweet like breastmilk in the wind | |
| Und wie hört sich die Krise dort an, wo sie heftig wütet? Sagen wir: in | |
| Island? Popdiva Björk wirbt für eine Investmentfirma, die "weibliche Werte" | |
| an die Börse bringen will, Gus Gus bitten mit House zum Tanz, und die | |
| experimentelle Elektroband Múm gibt sich melancholisch, aber verspielt und | |
| mit nur wenigen Bezügen zur Lage im Land. Hier fragen Múm, wie der letzte | |
| aller Tage riechen wird. Die Antwort: wie Muttermilch im Wind. Und den Beat | |
| schlägt eine Kuhglocke. | |
| Bob Dylan, 2009: Brick by brick they tear you down / A teacup of water is | |
| enough to drown / You oughta know if they could, they would / Whatever | |
| going down, its all good | |
| Blicken wir auf die Neuveröffentlichungen der Songwriter aus dem Mutterland | |
| von Krise, Pop und Kapitalismus: Bruce Springsteens "Working on a dream" | |
| klingt zu sehr nach einer Auftragsarbeit für Obama, während Neil Young zu | |
| sparsamen Autos rät. Bleibt Dylan. Ein Album lang besingt er mit | |
| gutgelauntem, uraltem Country und Blues und whiskeyrauer Stimme die | |
| Zweisamkeit, ehe er sich dem Bösen stellt: Politiker taugen nichts, | |
| Menschen gehen kaputt, das Land verelendet, rattert er runter, um zu | |
| wiederholen: Es ist okay. Sarkasmus möglicherweise, aber mehr noch die | |
| Verweigerung von Antworten, die man nicht oder nicht mehr nicht hat. | |
| Lady Gaga, 2008: Thats M-O-N-E-Y, so sexy, ay / Thats money honey | |
| 60 Jahre nach Monroe und 20 nach Madonna wäre Lady Gagas Erotisierung des | |
| Geldes nicht von Belang, handelte es sich bei ihr nicht um die neue | |
| Popikone. Sie haben noch nie von ihr gehört? Dann wissen Sie jetzt, warum | |
| es den Krisensong nicht gibt: Pop ist zu fragmentiert, die große Erzählung | |
| ist passé - egal ob eine Lady Gaga Geld geil findet oder ein Sir Nono aus | |
| allem Kleinholz machen will. | |
| Woody Guthrie, 1964: | |
| I check up your shortage and bring down your mortgage. / Singin Im a jolly | |
| banker | |
| Dass ein Wort wie Hypothek in zeitgenössischen Volksliedern auftauchte, | |
| hielt Tucholsky für "echte, unverlogene Lyrik". Wenig später, während der | |
| Großen Depression, sang der große Woody Guthrie vor Farmern und Arbeitern | |
| von ähnlichen Dingen. Späteren Datums ist sein Song über den "lustigen | |
| Banker", den nun die Folk-Rocker von Wilco aus gegebenem Anlass gecovert | |
| haben. | |
| Heaven 17, 1981: Brothers, sisters, / we dont need this fascist groove | |
| thang | |
| Ein Stück aus der letzten großen Krise, aus dem England der frühen | |
| Thatcher-Jahre, als zwar ein Billy Bragg mit Folkpunk vor streikenden | |
| Bergleuten auftrat, aber andere mit zumeist romantischen oder | |
| hedonistischen Texten bleibende Klangentwürfe schufen und selbst politische | |
| Bands wie Heaven 17 mit kaltem Synthesizersound vom Beginn einer neuen Ära | |
| kündeten. | |
| Sex Pistols, 1977: God save the queen / We mean it man / And there is no | |
| future / In Englands dreaming / No future, no future / No future for you | |
| Herbert Marcuses "Große Verweigerung" als rotzige Punkhymne in drei | |
| Akkorden. Aggressiv, pessimistisch, selbstzerstörerisch. Oder doch eine | |
| böse Prophezeitung an die Adresse der herrschenden Klasse? | |
| James Brown, 1969: I dont want nobody / To give me nothing / Open up the | |
| door / Ill get it myself | |
| Anders als der Rock, der vom frühen Dylan über den Punk bis zu Nirvana gern | |
| Verweigerung zelebrierte, ging es in der Black Music oft um Teilhabe; bei | |
| James Brown etwa als urliberale Forderung nach Chancengleichheit. Freilich | |
| mit jeder Menge Bumm-Tschaka-uuh-aah. | |
| Abba, 1976: Money, money, money / Must be funny / In the rich mans world / | |
| Money, money, money / Always sunny | |
| Die kritische Poptheorie sagt: Pop ist das Versprechen eines besseren | |
| Lebens und Affirmation des Bestehenden in einem. Abba eben. | |
| Funny van Dannen, 2002: Ich will den Kapitalismus lieben, / weil so viel | |
| für ihn spricht. / Ich will den Kapitalismus lieben, / aber ich schaff es | |
| einfach nicht | |
| Dass es sich vielleicht besser über manche Dinge singt, wenn sie nicht en | |
| vogue sind, zeigt Funny van Dannen, Liedermacher mit menschlichem Antlitz, | |
| wenn er sein Verhältnis zum Kapitalismus als amour fatale beschreibt. | |
| Komischer und ehrlicher als die Büttenreime auf seinem neuen Album ("Jetzt | |
| spielt der Staat den Bürgen, / wird er sich mit den eigenen Händen | |
| erwürgen?") | |
| Silbermond, 2009: Gib mir ein kleines bisschen Sicher-heit / in einer Welt, | |
| in der nichts sicher scheint. / Gib mir in dieser schweren Zeit irgendwas, | |
| das bleibt | |
| Irgendwer muss doch den großen Krisensong schreiben. Warum nicht Pop-Rocker | |
| aus Bautzen? Müssen sich wohl die Pop-Rocker aus Bautzen gedacht haben. Und | |
| genauso wohlfeil, weinerlich und harmlos klingt das Ergebnis auch. | |
| Pet Shop Boys, 2009: A super car to get far / Dont have to live / A life of | |
| power and wealth / Dont have to be | |
| Jede Menge Geld wollten Neil Tennant und Chris Lowe einst machen. In "Love | |
| etc." heißt es nun, Autos, Villen und andere Annehmlichkeiten seien zwar | |
| nützlich, aber längst nicht so wichtig wie - na klar, siehe | |
| Lennon/McCartney - die Liebe. Aber die Pet Shop Boys wären nicht die Pet | |
| Shop Boys, wenn das alles nicht gewohnt abwechslungsreich, aber eingängig | |
| und tanzbar daherkäme; noch dazu unter selbst Obama überbietenden | |
| optimistischen Albumtitel "Yes". | |
| PeterLicht, 2006: Der Kapitalismus, der alte Schlawiner, / ist uns lange | |
| genug auf der Tasche gelegen. / Vorbei, vorbei, vorbei, vorbei, / jetzt | |
| isser endlich vorbei | |
| Etwa so abwegig wie seine frühere Hymne gegen die Schwerkraft klang es, als | |
| der Kölner Multikünstler 2006 das Ende des Kapitalismus kundtat. Eine Frage | |
| ließ er irritierenderweise offen: Was isn dann? | |
| Motörhead, 1987: Come on baby, eat the rich, / Bite down on the son of a | |
| bitch / Dont mess up, dont you give me no switch / Cmon baby and eat the | |
| rich | |
| Klassenkampf ist eine ernste Sache. Und was das überlieferte Liedgut | |
| anbetrifft, auch eine eher freudlose. Anders in diesem Titelsong aus dem | |
| gleichnamigen Film, in dem eine schräge Guerillagruppe ein Nobelrestaurant | |
| kapert und Managern ihresgleichen - wahlweise mit Pommes oder mit Reis - | |
| zum Dinner kredenzt. Klassenkampf im Viervierteltakt und Hardrock direkt in | |
| den Unterleib. | |
| Wu-Tang Clan, 1993: Cash rules everything around me / C. R. E. A. M. / Get | |
| the money / Dollar, dollar bill yall | |
| Wu-Tang lagen irgendwo zwischen der kritischen Darstellung der | |
| Ghettokriminalität und ihrer Glorifizierung, waren aber darin stilbildend, | |
| ihre eigene Modemarke zu kreieren. Inzwischen verdienen viele Rapper mehr | |
| mit dem Derivatenhandel als mit ihrer Musik - und haben, wie 50 Cent ("Get | |
| rich or die tryin'"), an der Börse viel Geld verloren. | |
| Lil Wayne, 2008: If you got money / and you know it / Take it out your | |
| pocket / and show it | |
| Vielleicht markiert Lil Waynes kurz vor der Lehman-Pleite veröffentlichtes | |
| Album "Tha Carter III" das Ende von "Bling-Bling", dem Protzen mit | |
| Statussymbolen aller Art. Zwar hat der Südstaatenrapper "Bling-Bling" nicht | |
| erfunden, aber immerhin den Begriff eingeführt und bekannt gemacht. Der | |
| Gangsta diente der ganzen US-Gesellschaft als Identifikationsfigur. Das ist | |
| endgültig vorbei. Und so blinkt es seither im HipHop immer weniger. | |
| Manu Chao, 2007: Cest la panik panik panik / Sur le peripherique / Trop de | |
| traffic / Panik economique | |
| Was macht Manu Chao, der musikalisch wie textlich sehr globale Superstar | |
| der Globalisierungskritiker? Er amüsiert sich, jedenfalls auf diesen von | |
| Sirenengeheul begleiteten 1:46 Minuten. "Am besten bringt man die Botschaft | |
| rüber mit einer großen, lustigen Party", meint er - auch wenn die Botschaft | |
| ("Is an evidence / politik is violence") zuweilen arg simpel klingt. | |
| Johannes Kreidler, 2009: Charts Music [instrumental] | |
| Um die Börse geht es auch beim Aktionskünstler Johannes Kreidler, dessen | |
| Stück "Melodien aus Millionen" als authentischster Krisensound gelten kann. | |
| Mithilfe des Musikprogramms Songsmith werden die fallenden Aktienkurse von | |
| Lehman oder GM zu Tonleitern. Ein kluges wie grässliches | |
| Spielautomatengedudel. Und ein YouTube-Hit. | |
| Merle Hazard, 2007: I was leveraged 10 to 1 but it should have been 2 or 3 | |
| / Oh how I wish I had a workin H-E-D-G-E | |
| Auch Banker haben Lieder, sogar selbst geschriebene. Wie die des | |
| Investmentbankers Jon Shayne, der als überzeichneter Countrymusiker Merle | |
| Hazard mit Balladen über Fehlspekulationen oder den Verlust von Job, Villa | |
| und Frau zum YouTube-Star wurde. Selbstironisch und in bestem Countrystil. | |
| Michael Jackson/Lionel Richie, 1985: We are the world / We are the children | |
| / We are the ones who make a brighter day / So let's start giving | |
| Und dann stirbt Michael Jackson, als die Menschheit ihn am nötigsten hat. | |
| Nicht dass er an einem Projekt Bank Aid gearbeitet hätte, aber bei "We are | |
| the world" hörte das Publikum vielleicht zum ersten Mal, was heute | |
| Gemeinplatz ist: Dass auf diesem Planeten alles mit allem zusammenhängt. | |
| Zum Beispiel: Dass man es in aller Welt zu spüren bekommt, wenn irgendwo | |
| viele Menschen viele Häuser kaufen, die sie sich nicht leisten können. | |
| Dieser Artikel erscheint in der Sonderausgabe der taz "Ein Jahr | |
| Lehman-Pleite" am Dienstag, 15. September 2009. | |
| 14 Sep 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Deniz Yücel | |
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