# taz.de -- Debatte Peer Steinbrück: Der Mann von gestern | |
> Nicht die Kommunikationspatzer Peer Steinbrücks sind das Problem, es ist | |
> seine autoritäre Staatsgläubigkeit. Sie passt nicht mehr zur Partei. | |
Bild: Der Kandidat schaut auf eine Grünpflanze. Peer Steinbrück auf der 13. L… | |
Im Falle Peer Steinbrücks ist derzeit häufig von Kommunikationspannen die | |
Rede. Diese oberflächliche Diagnose geht am Grundproblem vorbei. | |
Allerweltsäußerungen über magere Kanzlergehälter und vertrauenswürdige | |
Weinpreise haben nur dann das Zeug zum Fettnäpfchen, wenn sie zur | |
symbolischen Verdichtung eines latent vorhandenen Missbehagens taugen. | |
Dieses Missbehagen gründet auf der allzu großen inhaltlichen Differenz | |
zwischen Partei und Kandidat. Das Parteiimage von sozialer Gerechtigkeit | |
und mehr Demokratie kollidiert mit einem Kandidaten, der exekutiv und | |
leistungsorientiert denkt, lebt und einnimmt. | |
Zu den faszinierenden Absurditäten des Parteienwettstreits gehört die | |
institutionelle Autosuggestion. Zustimmungsraten jenseits der 90 Prozent | |
und eine angemessene Beifallslänge zählen zum Pflichtprogramm. In einer | |
politisierten Gesellschaft verpufft die Wirkung solcher | |
Geschlossenheitsrituale jedoch schnell, insbesondere wenn tiefer | |
abgespeicherte inhaltliche Erwägungen wieder ins Bewusstsein rücken. | |
## Leistung, Leistung, Leistung | |
Auf dem Nominierungsparteitag der SPD im Dezember warnte Peer Steinbrück | |
vor der ökonomisierten „Marktgesellschaft“. Der Beifall der Delegierten war | |
ihm sicher. Die SPD-Parteitagstauglichkeit der folgenden Aussage darf | |
hingegen bezweifelt werden: „Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, | |
eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes | |
tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen | |
und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die | |
Leistungen für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um | |
sie – muss sich Politik kümmern.“ | |
Die Aussage stammt aus einem 2003 erschienenen Gastbeitrag in der Zeit von | |
Steinbrück. Die beiden Steinbrücks stehen für zwei unvereinbare | |
Gerechtigkeitsvorstellungen. | |
Kommunikativ versucht man die Unterschiede zwischen dem jetzigen, | |
parteigezähmten Kandidaten und seinem angestammten Werteprofil mit dem Bild | |
vom manchmal überziehenden, aber immer Klartext sprechenden Macher zu | |
überdecken. Dass dies nur unzureichend gelingt, ist auf die Kontinuität von | |
Steinbrücks Denken zurückzuführen. | |
Zu geschlossen und intellektuell gefestigt ist die Politikvorstellung | |
dieses Mannes, der für den gescheiterten Versuch steht, die SPD zur | |
„Marktsozialdemokratie“ (Oliver Nachtwey) zu verwandeln. Der Wählerschaft | |
bleibt das nicht verborgen. Honorare und Aufsichtratstätigkeit sind nur | |
Vergegenwärtigungshilfen, die Steinbrücks leistungszentrierte | |
Positionierung bestätigen. Der nächste „Fehler“ ist vorprogrammiert, wenn | |
ein Politiker ob parteilicher Zwänge nicht nach seiner Fasson handeln und | |
das ökonomische Gemeinwohl zum alleinigen Maßstab erheben kann. | |
## Wutbürger sind ihm ein Graus | |
Die zweite Maxime der Steinbrück’schen Wertehierarchie ist die | |
Staatsdominanz. Seine Aufregung über unreguliertes Bankengebaren ist | |
deshalb authentisch. Im Umkehrschluss steht er dem gesellschaftlichen | |
Pluralismus und dessen ungezügelter Entfaltung kritisch gegenüber. Das | |
Exekutiv-Technokratische und gesellschaftliche | |
Demokratisierungsbestrebungen liegen bei den Sozialdemokraten traditionell | |
im Clinch. Vor dem Hintergrund der Wutbürgerdebatte mutet der Spagat | |
zwischen Steinbrücks Position und aktuellen Anforderungen an politische | |
Öffentlichkeit jedoch zu gewagt an. | |
In einem Aufsatz aus dem Jahr 2006 („Lobbyisten in die Produktion“) | |
legitimierte Steinbrück die große Koalition mit ihrer Fähigkeit, | |
gemeinwohlunverträgliche Einzelinteressen zu ignorieren – zugunsten der | |
ökonomischen Leistungsfähigkeit. Was rhetorisch gegen Wirtschaftslobbys | |
gerichtet war, kommt im Ergebnis einer abwehrenden Haltung gegenüber allen | |
Gruppenansprüchen gleich. Dieses gespaltene Verhältnis, dass der | |
Berufsregierende zum gesellschaftlichen Interessenpluralismus einnimmt, | |
verträgt sich schwerlich mit dem wiedererstarkten Anspruch der SPD, | |
Transparenz und Demokratisierung zu fördern. Sigmar Gabriel hat dies 2011 | |
in einem programmatischen Beitrag zum Ausdruck gebracht („Den Fortschritt | |
neu Denken“). Er will mehr Partizipation und mehr soziale Gerechtigkeit – | |
und formuliert damit eine Antithese zu Steinbrück. | |
## Noch hat die SPD nicht verloren | |
Man mag Steinbrücks Einstellung teilen oder nicht – Fakt ist, dass sich die | |
personelle Positionierung nur unzureichend mit dem aktuellen SPD-Werteimage | |
deckt, welches als Konsequenz aus den Erfahrungen von Agenda, großer | |
Koalition und – nicht zuletzt – eigener Traditionslinie resultiert. Sofern | |
man bei politischen Parteien von einer Strategie sprechen kann, bestand sie | |
bei dieser Kandidatenkür darin, mit einem beliebten Aushängeschild den | |
„Mitte-Wähler“ anzusprechen. Das ist mutig. Der Aderlass bei den Wählern | |
war 2009 zu großen Teilen in einem Spektrum zu verzeichnen, dass sich wegen | |
der defizitären Repräsentation von Gerechtigkeits- und | |
Umverteilungsaspekten nicht mobilisieren lässt. | |
Dennoch besteht weiterhin die Möglichkeit einer sozialdemokratisch | |
geführten Bundesregierung. Die aufgrund der Fettnäpfchenwahrscheinlichkeit | |
denkbare Gewöhnung an Ausrutscher des Kandidaten oder – möglich ist immer | |
alles – der Austausch der Spitzenfigur könnten dazu beitragen. | |
Entscheidender ist jedoch ein anderer Punkt. | |
Die zunehmende Personalisierung der Politik wird schon seit den 50er Jahren | |
stetig beklagt. Dass die Parteien an sicheren Stammwählern verlieren, führt | |
aber nicht automatisch zur stärkeren Orientierung an Kandidaten. Politische | |
Images, also politische Wertzuschreibungen an Parteien mitsamt ihrem | |
Personal, sind heute der primäre Bestimmungsgrund des Wahlverhaltens. | |
Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung von Gerechtigkeitsaspekten kann | |
die SPD, sofern sie diese Werte als Partei glaubhaft vertritt, das Desaster | |
von 2009 jederzeit vermeiden. Mit diesem Kandidaten sollte man dann aber | |
keine exponierte Personalisierungsstrategie verfolgen. | |
17 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Markus Linden | |
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